laut.de-Kritik

Beklemmender Soundtrack für ein fiktives Endzeitszenario.

Review von

Das letzte Lebenszeichen von 65daysofstatic, der Soundtrack zum Videospiel "No Man's Sky", liegt mittlerweile mehr als drei Jahre zurück. Danach entwickelten sie selbst eine algorithmisch-basierte Kompositionstechnik für ihre "Decomposition Theory"-Shows. Ein Systemkollaps hätte dann die Realisierung des nun veröffentlichten Nachfolgers "replicr, 2019" beinahe über den Haufen geworfen. Die Band aus Sheffield erschuf aus den Trümmern der kaputten Software-Maschinen aber dann doch noch das neue Album.

Dazu dient es laut Pressetext als "melancholischer, schlafloser Soundtrack der Beschleunigung", der "in die abgrundtiefe Zukunft des Spätkapitalismus starrt". Demgemäß zeichnet es ein ziemlich trostloses Bild, was die fortschreitende Technologisierung und den unaufhaltsamen Klimawandel angeht.

Das gestalten die Briten mit dystopischen Ambient-Texturen aus, die gelegentlich kraftvolle IDM-Ausbrüche auflockern. Postrockige Elemente setzen sie vor allem zur Intensivierung der beklemmenden Grundstimmung ein. Insgesamt knüpft die Platte zwar an die atmosphärische Ausrichtung von "No Man's Sky" an, dient jedoch als düsteres Gegenstück.

Schon "pretext" führt mit tiefen, verwaschenen Synthies in eine retrofuturistische Großstadtwelt, die an Blade Runner denken lässt. "stillstellung" steht dann mit hektischen IDM-Beats sinnbildlich für Schnelllebigkeit und Hektik. "bad age" scheint schließlich mit schlafversunkener, heller Elektronik die Vernebelung und Ruhigstellung der Masse mit Tabletten und Psychopharmaka zum Ausdruck zu bringen. Hoffnungsschimmer findet man jedenfalls bisher nicht.

Die erscheinen erst zu rotierender Elektronik, die sich über hektische Breakbeats legt, in "five waves" kurzzeitig durch. Zuvor ertönen in "popular beats" defekte Maschinen im Gleichschritt und lassen eine monotone Arbeitswelt vor dem inneren Auge entstehen, in der nur gleichförmiges Funktionieren zählt. Auch sonst hat man während des restlichen Verlaufs nicht viel zu Lachen.

"interference_1" hält mit schabender Elektronik und nebligen Ambient-Flächen die subtile Spannung aufrecht und erinnert ein wenig an die Bedrohlichkeit von SURVIVE. "z03" erzeugt mit klackernden Beats und abgehackten Synthie-Klängen eine dämmrige Stimmung. Das Retrofuturistische des Synthwaves schwingt hier ziemlich mit.

"trackerplatz" erweist sich zum Schluss mit seinen Ambient-Texturen in Moll vom Grundgefühl her einerseits als recht traurig, findet sich jedoch andererseits nach und nach durch die sich auftürmenden verzerrten Gitarren-Sounds in immer zuversichtlicheren Postrock-Sphären wieder. Somit scheint die Welt zwar noch nicht ganz vor die Hunde zu gehen, aber dass es schon längst zwei nach zwölf ist, daran hegt man nach dem Verhallen der letzten Töne keine Zweifel mehr.

Demzufolge fungiert "replicr, 2019" als beklemmend intensiver Soundtrack für ein fiktives Endzeitszenario, das in naher Zukunft beängstigende Realität sein könnte.

Trackliste

  1. 1. pretext
  2. 2. stillstellung
  3. 3. d|| tl | | |
  4. 4. bad age
  5. 5. 05|| | 1|
  6. 6. sister
  7. 7. gr[]v-_s
  8. 8. popular beats
  9. 9. five waves
  10. 10. interference_1
  11. 11. []lid
  12. 12. z03
  13. 13. u| || | th | r| d
  14. 14. trackerplatz

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