laut.de-Kritik
Die Perfektion dieser Band wirft einen langen Schatten.
Review von Michael SchuhDa wird einem mal ein saftiges Package kredenzt - Melissa auf der Maur plus A Perfect Circle - und prompt geht alles schief. Ein Kollege wird erstmal am Zoll abgefangen, Ausweis abgelaufen, und dann ist am zentral gelegenen Volkshaus natürlich auch kein Parkareal für Konzertbesucher vorgesehen. Am Ort des Geschehens selbst formiert sich dann eine Traube (okay, ein Halbkreis) von APC-Fans vor dem einzigen geöffneten Halleneingang, an dem die Kontrollen ihren strengen Auflagen nachgehen.
Kein sehr dankbarer Job, nimmt es der liebe Maynard James Keenan ja doch gerne sehr genau. Neben Glasflaschen, Fotoapparaten oder Aufnahmegeräten, die bekanntlich ohnehin nicht zu des Künstlers Lieblingsutensilien gehören, prangen in Zürich mal richtige Ansagen an den Wänden: "Auf Wunsch der Band ist folgendes zu unterlassen: Rauchen, Moshen, Crowdsurfen". Unwillkürlich drängt sich die Vorstellung auf, wie mindestens fünf muskelbepackte US-Tourbegleiter Tag für Tag die städtischen Crews von der Wichtigkeit des Maynard'schen Wortes überzeugen: Für den APC-Sänger geht es bei Auftritten um Ruhe und Konzentration, um das Versinken in Stimmungen und das Kreieren einer besonderen, sehr intensiven Atmosphäre. Da muss sich doch auch ein Rockpublikum mal zivilisiert benehmen können, oder? Sicher doch, Maynard!
Rauchschwaden ersparen seine Jünger, die laut offizieller Homepage gar aus Norwegen anreisten, dem armen Keenan später zwar nicht, dafür wird 80 Minuten lang brav nicht gecrowdsurft und, naja, zart gemosht. Maynard, der sich wieder mit Langhaar-Perücke auf luftiger Empore in Trance tänzelte, wäre dies allerdings eh nicht aufgefallen. Hätte ich das mal vorher gewusst, denn nach den eindrücklichen Plakat-Warnungen bekam ich kurz vor der Show einen Fotopass in die Hand gedrückt, dessen Aufschrift eindringlicher nicht hätte lauten können: "By wearing this pass I promise not to use flash photography ... or Maynard has my permission to hit me in the eye with a water bottle." Schluck. Die Vorstellung, wie mir Maynard vor 2500 Menschen mit einer Glasflasche von seiner Anhöhe aus entgegen springt, hätte meinem skandallüsternen Chef zwar sicher kurzzeitig Freude bereitet, aber natürlich nicht, wenn ich als Konsequenz den Verlust meines Augenlichts zu beklagen hätte (hoffe ich doch!).
Egal, das Tier blieb im Käfig und A Perfect Circle waren erwartungsgemäß großartig. "Vanishing" eröffnete die Show, Keenan verbarg sich noch hinter einem großflächig aufgespannten Tuch, während die Frontmänner Billy Howerdel und Basser Twiggy Ramirez sich daran machten, ein 80-minütiges Lehrstück in harter Groove-Arbeit einzuleiten. Wie schon beim kurzen September-Gig mit den Deftones in Frauenfeld, schufen A Perfect Circle eine beneidenswert glasklare Soundwand aus Gitarrenriffs, Bassläufen und Drums, auf der Meister Keenans einzigartige Stimme so kunstvoll balancierte wie ein Zirkusartist auf einem Hochseil. Einzig das doch frappierend an Korns Jonathan Davis erinnernde Outfit mit langem Haar und Adidas-Hosen, störte den optischen Eindruck etwas, der mit dem wasserstoffblonden James Iha, dem ganz in schwarz gekleideten Howerdel und dem schmucken Anzugträger Ramirez ansonsten durchaus stylish ausfiel.
Ex-Vandals-Drummer Josh Freese bearbeitete derweil heißblütig seine Becken-Armada und verlieh der Plexiglas-Aufschrift zwischen ihm und Sänger Keenan sogar annähernd Sinn: "Do not feed animals". Maynard versank wie üblich in den Klangcollagen seiner Mitmusiker, entlockte seinen Fans verzückte Schreie bei der Entledigung seines Shirts und übergab für die übliche Comedy-Einlage das Mikro an Kollege Iha. Dieser krächzte ein zweiminütiges Traditional ins Auditorium, dass es Billy Corgan vermutlich sämtliche Eingeweiden rumgedreht hätte. APC-Chef Maynard hüpfte dagegen urplötzlich klatschend auf seiner Empore hin und her, was inmitten der ansonsten eher düster-apokalyptischen Grundstimmung mehr als befremdlich wirkte. Iha, der im Gegensatz zum coolen Ramirez gänzlich auf Posen verzichtete, stand die meiste Zeit recht einsam im Schatten seiner Show-Kollegen.
Highlights, wenn man das in diesem Kontext überhaupt so nennen kann, waren neben dem Single-Schlusslicht "Judith" das düstere "Orestes" und das zärtlich wie brachiale "Thinking Of You" vom Debütalbum. Vom neuen Werk, das vorwiegend im zweiten Teil des Gigs abgefeiert wurde, übertrafen der Kopfnicker "Pet" und das wahnwitzige "The Package" sämtliche Erwartungen. Für diejenigen, die es auf "Thirteenth Step" noch nicht gemerkt haben sollten, spätestens im APC-Konzert wird klar, wieviel sich die Kalifornier inzwischen bei The Cure abgeschaut haben. Vor allem bei den langsameren Stücken des neuen Albums lässt Howerdel die Saiten wie ein junger Smith erzittern, während Ramirez zum stoischen Gallup-Verehrer mutiert. Nicht auszudenken, was die Band aus einem Cure-Klassiker wie "At Night" noch herausholen würde. Mit dem ebenfalls an Cure erinnernden Perfektionismus in der Verwendung des Lichts sind A Perfect Circle, was bombastischen Alternative Rock angeht, im Jahr 2004 absolut einzigartig. Solange das Songwriting-Level der Combo das geschaffene hohe Qualitätslevel halten kann, gibt es keinen ersichtlichen Grund, warum sich die einzelnen Mitglieder zu ihren ursprünglichen Bands zurück sehnen sollten. Das gilt auch für Herrn Keenan.