laut.de-Kritik

Das Ding aus dem Sumpf.

Review von

Kaum ein Ort trug in den 90ern so dreckige Früchte wie die Sümpfe Louisianas. Inmitten von Mangroven, Voodoo-Ritualen und wachsamen Krokodilaugen grub sich eine ganze Riege an Außenseitern aus dem Schlamm und kotze ihre von Alkohol und Gras zerfressenen Gedanken, oder was davon noch übrig war, aufs Notenblatt. Das klang so wüst, dreckig und kompromisslos, dass es einem erst das Hirn vernebelte und dann den Magen umdrehte. So mühselig und zäh, wie man in dem Morast des Südstaaten-Hinterlandes unterzugehen droht, so fließt auch die Musik dahin, mit der Bands wie Eyehategod und Crowbar ein neues Subgenre aus dem Moor hievten: Sludge Metal.

Inmitten dieser Szene, die einer einzigen musikalischen Irrenanstalt glich, drohte jedoch eine Band von der Zeit vergessen zu werden. Während Phil Anselmo und Jimmy Bower die verdorrten Lorbeeren ihrer Drecksarbeit ernteten und zu Superstars des Sumpfes wurden, verkümmerte ein Mann namens Dax Riggs nahezu unbeachtet in seiner Zelle. 1994 formte er aus einer Mischung aus einer fast schon ungesunden Faszination für das Morbide, und Dutzenden geleerten Jack Daniel's-Flaschen das Debüt seiner Band Acid Bath. Ein musikalisches Hexengebräu, das damals nahezu allen Hörer*innen den Appetit verdarb. Erst Jahre später, als man die musikalischen Leichen in Riggs Keller nochmals etwas genauer unter die Lupe nahm, erkannte man "When The Kite String Pops" als das, was es schon immer gewesen ist: Eines der beeindruckendsten und interessantesten Unikate der 90er.

Denn man tut diesem Amoklauf von einem Album im Grunde Unrecht, wenn man es nur unter dem Genre Sludge abstempelt. Ja, der Schnecken-Sound Louisianas und die Whiskey-Fahne des Südstaaten-Metals sind omnipräsent, aber inmitten dieser musikalischen Schlacke integrieren Acid Bath beinahe im Minutentakt neue Ideen. Sie denken nicht nur den Sound ihrer Nische weiter, sie legen auch ein Level an Experimentierfreude an den Tag, wie es zu dieser Zeit im Genre nahezu unerhört war.

Stoner Rock, Doom Metal, Grunge, Death Metal, Folk, Gothic Rock: Riggs und seine Band rühren hier ein Potpourri an Einflüssen zusammen, das in den 90ern bestimmt dem ein oder anderen Gatekeeper die Tränen in die Augen trieb. Und auch wenn diese Art Experiment heutzutage Gang und Gäbe ist, so bleibt der Sound dieser LP nach wie vor unerreicht. In seiner Versatilität ist "When The Kite String Pops" gleichermaßen die perfekte Blaupause dafür, wie harte Musik in den 90ern klang und wie anders sie wiederum zwanzig Jahre später klingen würde.

Es ist allerdings nicht nur die schiere Breite an Einflüssen, auf die sich Acid Bath hier beziehen, die dieses Album so einzigartig macht, es ist vor allem die Spielfreude und Leichtfüßigkeit, mit der sie diese integrieren. Auf "The Blue" und "Dope Fiend" mäandern die Riffs mühelos vom Sludge in den Blues Rock und wieder zurück, bis sie im Opener in einem Solo enden, vor dem selbst Black Sabbath ihren Hut ziehen würden. "Tranquilized" kickt die Tür direkt im Anschluss mit einem grandiosen Rock-Riff ein, das einem die Schueh auszieht, nur damit Acid Bath im Laufe des Songs das Tempo immer weiter rausnehmen, um das Instrumental in die Untiefen des Rieds zu locken und es unter dem Hardcore-Punk Anschlag von "Cheap Vodka" zu begraben.

Immer wenn man sich in der eigenen Erwartungshaltung an dieses Albums gefestigt fühlt, schütteln Acid Bath ein neues Ass aus dem Ärmel. Etwa wenn wenig später "Jezebel" ein Blastbeat-Feuerwerk zündet und das Trommelfell mit der hässlichsten Seite von Riggs Stimmbändern torpediert, nur um direkt im Anschluss von der wunderschönen Gothic-Ballade "Scream Of The Butterfly" abgelöst zu werden.

Diese Tempowechsel bleiben über die gesamte Tracklist hinweg fliegend, auch innerhalb einzelner Songs. Wenn die beiden Gitarren dem Hörer nicht simultan den Schädel spalten, übergießen sie ihn mit auditivem Teer oder hypnotisieren mit melodischem Gezupfe. Auch Riggs Gesang fluktuiert ständig zwischen den manischen Schreien eines Irren und der ruhigen, hypnotischen Schwarzmalerei eines Sektieres.

Das Drumming bewegt sich über weite Strecken fast unauffällig im Hintergrund, nur um hin und wieder gewaltvoll das Spotlight an sich zu reißen und die Ohrmuschel mit der Intensität eines Presslufthammers zu bearbeiten. Auf Songs wie "Finger Paintings Of The Insane" oder "Toubalo Koomi" tönt Jimmy Kyles Spiel so viszeral, das einem die sumpfgrüne Suppe mit jedem Schlag förmlich entgegen schwappt, bis man in ihr zu ertrinken beginnt.

Selbst der klassischste Sound-Song des Albums "Dr. Seuss Is Dead", der anfangs jede Sekunde seiner matschigen Riffs wie eine Ewigkeit klingen lässt, schaltet im Chorus fünf Gänge hoch und lässt Riggs Kreischen wie einen waschechten Nervenzusammenbruch klingen. "It's too fucking loud" schreit er immer wieder, während er an den Wänden seines eigenen Verstandes kratzt und den titelgebenden Kinderbuchautor figurativ in seinen eigenen Exkrementen ertränkt.

Wo andere Bands der Szene mit ihrer Musik ihrem eigenen destruktiven Lebensstil eine Sprachrohr verliehen und die dreckigste Seite der amerikanischen Seele abbildeten, stiegen Dax Riggs und seine Jungs noch einen Höllenkreis tiefer hinab und wühlten sich mit ihrem Debüt in den absolut niederträchtigsten Ausläufern der Menschlichkeit. Vom Cover grüßt eine Zeichnung des Serienkillers John Wayne Gacy, und es dauert keine zwei Minuten bis einem Riggs "Eat my dead cock" entgegenbrüllt: Dieses Album edgy zu nennen, wäre eine Untertreibung.

Das beeindruckende an "When The Kite String Pops" ist jedoch, dass dieses provokative Überspannen des guten Geschmacks-Bogens nur sehr selten ins Lächerliche abdriftet und viel öfter genuin unter die Haut geht. All die Erzählungen von Alkoholismus, Mord, Folter Vergewaltigungen und Nekrophilie bebildern einen kontinuierlichen Verfall der menschlichen Psyche, und sie tun das getrieben von solch glaubhaftem Wahnsinn, dass man stellenweise wirklich das Gefühl bekommt, durch das Tagebuch eines echten Serienkillers zu blättern.

Und die Worte, über die man darin stolpert, sind gleichermaßen widerwärtig wie wunderschön. Giggs schreibt entweder mit dem Feingefühl eines Schlachters oder mit der Bildlichkeit eines Poeten, dazwischen gibt es nichts. Wenn er in "Scream Of The Butterfly" eine Abtreibung und ihre Folgen besingt, könnte er man auch meinen, er huldigt einer verlorenen Liebschaft. Wohingegen man die Kakerlaken förmlich unter die Haut spürt, wenn er sich im Closer "Cassie Eats Cockroaches" im moralischen Morast wälzt und nekrophilen Gelüsten frönt.

Es ist der tiefste Punkt, an den dieses Album sinkt. Zuvor singt Riggs auf der zweiten Ballade des Albums "The Bones Of Baby Dolls" davon, endgültig seine Menschlichkeit verloren zu haben. Der "kite string", die dünne Schnür des fragilen Drachens in seinem Schädel, reißt, und mit diesem Sprung über die Klippe seines Verstandes übernimmt ein fast schon robotischer Verzerrer die Kontrolle über seine Stimme. "The kite string pops / I'm swallowed whole by the sky", singt er fast schon frohlockend. Auch hier gehen Schönheit und Horror wieder Hand in Hand. Während die liebliche Gitarrenmelodie Bilder von bunten Wiesen malt, lässt Riggs Lyrik Wolken am Horizont aufziehen, die schwärzer werden, je genauer man hinsieht.

Acid Bath ist eine dieser Bands, die ohne das Internet möglicherweise vollkommen in Vergessenheit geraten wären. Denn so schnell und ambitioniert der Fünfer aus den Mooren Louisianas hervor preschte, so schnell fand ihre Karriere auch ein tragisches Ende. 1997 geriet der Bassist Audie Pitre in einen Autounfall mit einem betrunkenen Fahrer, bei dem er und seine Eltern ums Leben kamen. Die Band weigerte sich, ohne ihn weiterzumachen. Mit "When The Kite String Pops" hatten sie noch ein weiteres Album namens "Paegan Terrorism Tacticts" veröffentlicht, das ihrem Erstling in nahezu nichts nachsteht und ihr melodisches Gespür noch weiter ausdefinierte.

Nach der Auflösung gründeten Schlagzeuger Jimmy Kyle und Gitarrist Sammy Duet die Band Vual, die allerdings nie über das Release einer EP hinauskam. Zwischenzeitlich spielte Duet auch für die Bands Crowbar und Goatwhore. Dax Riggs und Mike Sanchez (Gitarre) schlossen sich unter dem Namen Agents Of Oblivion zusammen, trennten sich allerdings auch wieder nach einem gemeinsamen Album.

Seitdem veröffentlicht Riggs unter seinem Geburtsnamen und dem Moniker Deadboy & The Elephantmen eine südamerikanische Spielart des Rock, die man als Swamp-Rock bezeichnet. Auch wenn er den Geniestreich seiner ersten Band nie wieder so ganz reproduzieren konnte, den Sümpfen seiner Heimat bleibt Riggs bis heute treu.

In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.

Trackliste

  1. 1. The Blue
  2. 2. Tranquilized
  3. 3. Cheap Vodka
  4. 4. Finger Paintings Of The Insane
  5. 5. Jezebel
  6. 6. Scream Of The Butterfly
  7. 7. Dr. Seuss Is Dead
  8. 8. Dope Fiend
  9. 9. Toubabo Koomi
  10. 10. God Machine
  11. 11. The Morticians Flame
  12. 12. What Color Is Death
  13. 13. The Bones Of Baby Dolls
  14. 14. Cassie Eats Cockroaches

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