laut.de-Kritik
Trip Pop gegen Heim- und Fernweh.
Review von Matthias MantheHeimweh ist eine prekäre Angelegenheit. Schon das absolutistische Frankreich wusste von der moralzersetzenden Wirkung der so genannten "Schweizer Krankheit". Wer vor eidgenössischen Söldnern unbedacht deren Volkslieder zum Besten und die Soldaten dadurch dem Heimweh anheim gab, büßte mit dem Tod. Denn das Ancien Régime fürchtete die Folgen dieser schweren Form der Melancholie, die Schwäche, Fieber und Fahnenflucht nach sich zog.
Brendon "Alias" Whitney und Rona "Tarsier" Rapadas kennen das Gefühl der Ferne nur allzu gut - schließlich hat jeder Ton ihrer Kollaboration mindestens 3000 Meilen zurückgelegt. 21 Monate lang überbrückten Schlagzeugspuren, Gesang, Samples und Texte die Distanz zwischen Ost- und Westküste. Wie es dazu kam? Die Stimme des Elektronik-Duos Healamonster & Tarsier verliebte sich 2003 unsterblich in Alias' Instrumental-Hip Hop-Glanzstück "Muted".
Geschmeichelt von ihren Avancen, widerstand Anticons Master Of Ceremony nicht lange und willigte in eine Zusammenarbeit ein. Ohne jedwedes persönliches Aufeinandertreffen, ausschließlich per Email, entstand so ein von Sehnsucht durchdrungener Patchwork-Pop. Verwehte Stücke voller Isolation, innerer Zerrissenheit und Nostalgie für die Unbeschwertheit verflossener Jugend.
Dabei erinnert Tarsiers dunkles Timbre oft an Cassandra Steen, denn auch hier werden melancholische Impressionen auf Watte gebettet. Gelegentlich regnet ein Klavier auf Alias' unaufdringliches Drumcomputer-Fundament, zusätzlich bereichern E- und Akustikgitarre, Cello und Synthies das Spektrum. Über den Großteil der 48 Minuten treibt das Zweigespann aber durch die Trip Pop-Landschaft, ohne etwaige Seitenarme abseits des Hauptstroms zu befahren.
Von Alltagshektik befreit, mäandern die Worte durch meist blaugraue, bisweilen auch sonnig-relaxte Klangsphären. Ausnahmen bilden "Luck And Fear" und "Last Nail", in dem Alias sein selbst verordnetes Schweigen bricht und mit einem wasserfallartigen Wortschwall für Verwirbelungen sorgt. Ein Mehr an derartiger Abwechslung hätte dem Album nicht geschadet. Doch selbst wenn "Brookland/Oaklyn" die Tiefe von "Muted" nicht ganz erreicht, vermögen diese Melodien Momente der Einsamkeit wirksam zu lindern. Versprochen.
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