20. November 2013

"Eine Waffe darf man mir nicht geben"

Interview geführt von

Berlin. Ein Abstecher in die Schattenwelt. Klappernde Knochen und Monstrositäten gehören zum Handwerkszeug des Gothic Rock-Urgesteins Alien Sex Fiend. Kaum eine andere Band des Genres hat so viele Edelfans, darunter Robert de Niro und Iggy Pop.

Einmal diese Höllenpforte durchschritten und um mich war es geschehen. Mit Getränken, Zigaretten und ausgesuchter britischer Höflichkeit ziehen mich die humorvollen Kuschelzombies in ihren dämonischen Bann.

Das sympathische Paar redet überraschend offen über die Mühen und Freiheiten des Künstlerlebens, wer am Filmset gern "Maximum Security" hört und warum Nik Fiend weder Friseur wurde, noch man ihm eine Pistole in die Hand drücken sollte. Christine und Nik setzen sich zu mir an den Tisch und erblicken das Diktiergerät in Minitaurformat.

Nik: Oh my, das ist ja wirklich ein winziges Teil.

Ja, klein aber fein.

Chris: Du solltest vorsichtig sein, Sätze wie diese zu sagen, wenn Engländerinnen mit am Tisch sitzen.

Nik (auf deutsch): Ick habe en Groooßen! Jaaa!

Chris: (trocken) Deshalb bringt er auch immer die Riesenbanane mit auf die Bühne.

Nik: Der kleinste Recorder der Welt muss doch jedem auffallen, oder?

Eine andere Künstlerin hat auch einmal Gefallen an diesem Recorder gefunden. Als ich ihre Musik dann aber kritisch hinterfragt habe, war es schnell vorbei mit der Sympathie.

Chris: Vielleicht warst du ihr einfach zu negativ (beide lachen). Ich glaube, wir Künstler müssen einfach akzeptieren, dass manche Songs bestimmte Leute ansprechen. Aber niemandem kann alles gefallen und muss es auch nicht. Man sollte nicht einmal von einem Fan - ich würde sogar sagen: noch nicht einmal von einem Alien Sex Fiend-Fan - erwarten, jeden Song zu mögen.

Nik: Nein! Eben! Darum geht es auch nicht.

Chris: Wir haben in dreißig Jahren soviel Schräges gemacht. Da bin ich oft eher überrascht, wie viele Leute bestimmte Tracks gut leiden können.

Nik: Und zwar die verschiedenartigsten Scheißdinger.

Chris: Wenn jemand käme und sagte, er habe alles von uns gehört und kann leider nur einen einzigen Song richtig gut leiden, dann würde mich das immer stolz machen. Ein Lied, das jemandes Herz berührt, ist doch genug. Das muss man erst einmal schaffen.

Es ist doch eigentlich auch schön, wenn Menschen die jeweiige Musik differenziert betrachten.

Nik: Yeah, fuck!

Chris: Als "Death Trip" heraus kam, schrieb Mick Mercer zum Ende seiner Review, es sei die beste Platte von ASF seit den 80ern. Da haben sich viele Fans im Netz beeilt, um zu signalisieren, dass sie wirklich jedes Lied und jedes Album gleich stark lieben. Geht sowas überhaupt?

Nik: Nicht mal ich mag jeden unserer fucking Songs.

Ich kann Mick Mercer da gut verstehen. Aus meiner Sicht auch die beste Platte seit "Curse".

Chris: Wir haben ja vor diesem Interview versucht, deine Review mit einer Maschine aus dem Netz zu übersetzen. Das scheint ja besonders vom Deutschen ins Englische fast unmöglich zu sein wegen des Slangs und nicht übersetzbarer Redewendungen.

Ein bisschen wie Möbelhaus-Bauanleitungen aus Fernost.

Chris: Das kannst du laut sagen. Teile meines Soundequipments sind japanisch. Die Bedienungszettel sind regelmäßig komplett unverständlich, aber sehr lustig.

Chris lässt nebenbei Zigaretten rumgehen, die sie parallel zum Gespräch drehte.

Chris: Ich habe gar keine Zeit, auf der Bühne mal eine zu rauchen. Seit dem Verbot fände ich es auch unfair, dem Publikum etwas vor zu quarzen. Nik macht das während des Gigs ja gern ... Bastard!

Nik: Sie lassen die Leute McDonalds essen und diese Milchshakes voller Fett trinken, aber die kleine Zigarette on stage soll das Übel sein? Nicht mit mir. Willkommen im 21.Jahrhundert. Fuck that shit!

Wie ordnet ihr denn selbst eure derzeit aktuelle Scheibe ein?

Nik: Keine Ahnung!

Chris: Aus unserer Sicht ist die musikalische Gegenwart ja immer das Ergebnis vorhergehender Evolution. Hätten wir beispielsweise nicht "Nocturnal Emissons" gemacht - ein Album, das wirklich viele irritiert hat, gäbe es heute keinen "Death Trip". Auch ohne "It" oder "Information Overload" würde es "Death Trip" nicht geben. Alle Alben stehen in einem Zusammenhang zueinander.

Deshalb klingen manche unserer Platten anders, wieder andere sogar ganz schön anders. Quasi das Gegenteil von AC/DC. Versteh mich nicht falsch: I fucking love AC/DC. Aber ihre Scheiben klingen recht gleichartig. Das würde bei uns nie klappen. Für ASF heißt es: Eine Minute Atmosphäre, die nächste Minute so stürmisch, dass du dir die Klamotten vom Leib reißen willst.

Ein Leben im Neuaufguss von "Ignore The Machine" wäre unser Alptraum. Das Lied hat das Label am Anfang übrigens gar nicht verstanden. Es war ihnen zu lang. Sie wollten es kürzer. Sie mochten die direktere, punkige B-Seite, weil sie dachten, diese wäre dem Publikum verständlicher. Erst als es populär wurde, wollten sie einen weiteren Hit wie "Ignore". Was soll das sein? Mehr Donner oder Blitz? Schneller oder langsamer? Die Absurdität ihres Wunsches war ihnen gar nicht klar.

Nik: Jetzt will ich aber endlich wissen, was du über die Platte denkst.

Ich habe geschrieben: "Wem es mal wieder nach ein wenig libidinösem LSD für die Ohren zwischen Lavalampe und Fleischwolf gelüstet, der sollte nicht lange fackeln. Neben den fröhlich authentischen Goth-Ghouls wirkt ein Typ wie Manson wie eine gepuderte Hofschranze an der Schockrock-Tafelrunde. Ihre Gigs sind eine wüste Mischung aus Horror-Psychedelia, Sesamstraße und 'Bitches Brew'."

Nik: Oh Fuck, you know! Thank You! Mir gefällt das Bild. Lavalampe und Fleischwolf! Fantastisch. Zu dieser Platte ... alles was ich dir sagen kann ist: Ich musste für das verdammte Album mehr tun als jemals zuvor. Es war die Bestimmung, es war das Ziel. Komme was wolle. Ich war da vielleicht auch etwas autoritärer und weniger entspannt als sonst.

Chris: Er hat recht. Es ist fast noch mehr Alien Sex Fiend als sonst. Nik hat sogar noch mehr von sich eingebracht als normalerweise. Wenn das überhaupt geht.

Nik: Damit du das verstehst: Es gab keine Wahl. Wir mussten es tun. Seit Jahren leide ich an wirlich unangenehmen Panikattacken. Vor "Death Trip" war ich so richtig im Nirgendwo angekommen. Da haben Chris und die Musik mich wieder zurückgeholt. Sogar während der Aufnahmen kamen die Attacken. Mitten im Einspielen, Stimmen der Instrumente oder beim Aufnehmen musste ich oft nach draußen, um etwas frische Luft zu bekommen. Mittlerweile ist das viel besser geworden.

Chris: Es war keine leichte Zeit. aber wir haben es gemeinsam überstanden.

Nik: Nach deinen Zeilen wünschte ich mir, wir könnten jetzt mal für ein paar Minuten mit einer Zeitmaschine zurück in meine Schulzeit. Wenn sie gehört hätten, was man eines Tages über Nik Fiend schreibt, wäre ich wahrscheinlich anerkannter Klassenbester geworden. Fuck!

In diesem Fall freut es mich einfach besonders, verstanden zu werden, weil wir uns eben wirklich so extrem reingehängt haben, trotz aller äußeren Widrigkeiten. Natürlich hat jeder seine eigene, vielleicht abweichende Meinung. Und auch wenn ich deinen Marilyn Manson-Gag sehr lustig finde: Es geht ja nicht darum, den anderen runter zu machen. Wir wollen nicht, dass man uns für ein Abziehbild all dessen hält, was wir vor 20 oder 30 Jahren hervor gebracht haben. Es interessiert mich halt einen Scheiß, was andere Leute denken oder tun. Genau wie die allgegenwärtige Konformität.

Und weil ich nicht das Geringste auf fucking Autoritäten gebe. Zwischendurch kommen immer wieder Leute mit dem Gedanken, es könne alles etwas kommerzieller werden und dadurch leichter bekömmlich und nicht so fucked. Fuck! No way! Das würden wir ja gerade die Libido begraben. Ein bequemeres Leben auf dem Rücken der Kunst ist aber nicht erstrebenswert. Zumindest nicht für uns. Dann ist es eben mehr Kampf um die Musik und das Leben. Alles will und muss ohnehin immer neu erkämpft werden. So etwas wie eine Gratis-Extramahlzeit gibt es nicht geschenkt. Nie! Das Leben ist eine wüste Mischung aus Kunst und dem Kampf mit Problemen.

"Die Berufsberater wollten mich damals zur Army schicken"

Das klingt beeindruckend kompromisslos."

Nik: Natürlich, aber so ist das doch immer, wenn man wirklich leidenschaftlich bei der Sache ist. Echte Künstler haben doch immer das miese Blatt des Lebens zu spüren bekommen. Die einen starben verelended, andere hungern oder sind komplett wahnsinnig geworden. Van Gogh hat sich sogar das Ohr abgeschnitten. Was also soll daran leicht sein, ein Künstler zu sein? Nichts, es sei denn, man verkauft sich an das Business der Popindustrie. Und damit verrät man nicht nur sich selbst, sondern auch die Kunst. Das verstehen viele nicht.

Chris: Nichts gegen Big Business. Aber niemals auf dem Rücken der Kunst und mit faulen musikalischen Kompromissen.

Nik: Kennt ihr in Deutschland "Malen nach Zahlen"?

Ja, leider.

Nik malt ein Bild in Luft.

Nik: Okay, stell dir vor, hier wäre die Leinwand. Nun geht es bei den meisten folgendermaßen (setzt einen verklemmten Gesichtsausdruck auf und macht auf deutsch weiter): Eins, zwei, drei, vier, fünf ... fertig. Und nun kommt Nik Fiend: Neun, Fuck!, eins, eins, eins, neun, fuck!, elf, elf, Fuck! Fuck! Fuck the line! Am besten wird es dann, wenn noch jemand vorbei kommt, der fragt: Hey Nik, warum malst du nicht wie jeder andere?

Antwort?

Nik: (brüllend) Go, Fffffffuck off!

(Gelächter)

Man sieht ja auch, dass so mancher Schädel auf "Death Trip" oder früheren Alben augenscheinlich ein Selbstportrait ist.

Nik: Absolut!

Das heißt, dein Gesicht sieht immer so aus, nicht wahr? Es ist gar kein Make Up?

Chris: Im Grunde sieht er die ganze Zeit so aus, seit ich ihn kenne.

Nik: Ich kann da nichts machen. Ich werde einfach immer mehr wie Tim Burtons Halloween Jack. Den finde ich sowieso sehr sympathisch. Wir mögen uns. Aber das führt natürlich auch zu Missverständnissen. Alien Sex Fiend sind ja wirklich verdreht und merkwürdig im Vergleich zum Mainstream. So mancher denkt erst einmal: Ach, der Nik ist halt ein wenig verrückt. Dabei versäumen sie, das Durchgeknallte für bare Münze zu nehmen. Sie denken dann, es wäre wie in Hollywood oder auf dem Broadway.

(Nik springt auf und gibt die an Schnüren hängende Marionette)

Die denken echt, ich käme herausgetanzt, um dann etwas Rib-Bedip-Bedip-Bip-Bip zu machen. Und auf einmal ist alles ganz anders. Überall unsere Show, überall hochkochendes Feuer und Leidenschaft und das Unerwartete. Da steht ihnen dann schnell der Mund offen. Die sagen nur noch: Fuuck, wow! Ich sage dann: Well, you know.

Apropos Hollywood. Stimmt es eigentlich, dass Robert de Niro Alien Sex Fiend-Fan ist?

Chris: Ja, ist er.

Nik: Der Typ, der De Niros Make Up macht, erzählte uns, er liebe z.B. "Maximum Security". Das läuft dann nebenbei am Set.

Nik springt auf und macht die berühmte "Taxi Driver"-Geste vor dem Spiegel nach.

Nik: Hey man, ye fucking talking to me, eh, eh? Unfassbar, dass dieser Mann auf unsere Musik steht. Ich meine, du kennst ja sicherlich "Taxi Driver" oder "Jackie Brown". Was für ein begnadeter Schauspieler. (spielt mit imaginärer Waffe eine ganze "Jackie Brown" Szene durch) So eine Waffe darf man mir nicht geben. Ich wäre genau so drauf. Nach der Schule sollte ich nach dem Wunsch bekloppter Berufsberater zur Army. Fuck! Ich glaube, ich hätte irgendwann einfach die Knarre genommen und einen der schinderischen, autoritätsgeilen Befehlshaber weg gepustet. Und dann noch mal zehn von denen. So wäre ich drauf. (fügt entrüstet hinzu) Und wen hätten sie dann in den Knast gesteckt? Mich! Da sieht man mal, was alles passieren kann, wenn man beruflich auf die falschen Leute hört.

Und dann noch meine Mutter. Oh my god. Gott segne sie. (lacht) Ich galt im sauberen England ja eher als renitenter Versager. Und während die Schule keinen Sinn mehr machte und andere mich in die Armee stopfen wollten, was sagt Mrs. Wade? "Nik wäre wohl ein recht guter Frisör."

(Stille, dann tobendes Gelächter)

Glück gehabt. Das wäre dann ein ganz anderer Tim Burton-Charakter geworden. Sagt mal, wie lang seid ihr beide denn überhaupt zusammen?

Nik (ernsthaft und sehr stolz): Verheiratet seit 1981, aber zusammen sind wir seit 1978.

"Ich wollte immer der Dali der Musik werden"

Ist das nicht manchmal kompliziert, wenn man zusammen lebt und zusamen arbeitet?

Nik: Für sie schon. Für mich klappt das super. Zwischen dem Einsingen der Vocals und ein wenig Mixing kommt dann das zombiehafte "Oh, ich habe vergessen, den Müll rauszubringen." Aber im Ernst: Für mich ist es wundervoll. Für Chris ist es nicht fair. Sie muss ja mit einem schwierigen und gelegentlich durchgeknallten Typen wie mir leben. Ich hingegen habe diese wundervolle Frau an meiner Seite.

Chris: Nach außen hin sind wir die beiden verschiedenen Seiten einer Medaille. Untereinander, zwischen uns sind wir wie eine Person. Das ist das Geheimnis.

Auch Zombies haben Vorbilder. Ist das live gern gebrachte Zitat "Crawling down the alley on your hands and knees" direkte Bowie-"Diamond Dogs"-Hommage?

Nik: Oh ja, ich liebe die verdammten "Diamond Dogs". Die Platte wird auch oft gespielt. Ohne Bowie, Iggy Pop, Alice Cooper, Salvador Dali würde ich doch gar nicht existieren. Ohne Dali erst recht nicht. Ich respektiere diese Verrückten wirklich über alle Maßen und liebe sie sogar noch mehr. Iggy kam einmal ins Studio als wir bei Aufnahmen waren. Wir waren ziemlich pleite aber hochinspiriert. Er war total fasziniert von der Energie und den Sounds. Er sagte, es erinnere ihn an die freien, frühen Tage.

Chris: Da sitzen dann Iggy Pop und mein Mann beim Fachsimpeln und ich hatte nicht mal eines dieser verfluchten Fotohandys zur Hand. Das wären aber gute Bilder geworden.

Gute Bilder sind das Stichwort. Verkauft ihr Niks Paintings inzwischen regelmäßiger als früher?

Nik: Oh ja. Das hat uns so manches Mal das Überleben gesichert.

Chris: Teilweise in Kommission gegeben, wenn man bestimmte Sachen zum Produzieren oder Leben brauchte. Aber das ist gar nicht mal so einfach. Nik malt nur, was er fühlt. Ein dirigiertes Bild auf Bestellung ist nicht drin. Er braucht seine Freiheit, um in dem, was er malt wirklich gut zu sein.

Dieser immer wieder durchschimmernde Drang nach Freiheit und Unabhängigkeit ist auch der Grund dafür, allen Labels adios zu sagen und eine eigene Plattenfirma zu gründen?

Nik: Ja, absolut. Wir konnten das Elend mit denen wirklich nicht mehr ertragen. Ich habe lieber zwischendurch Jobs gemacht und wäre lieber Dachdecker oder Fensterputzer, um unsere musikalische Freiheit in all ihrer Kompromisslosigkeit zu erhalten. Lieber Geld verdienen, leben, gesund bleiben und dann machen, was wir wollen und wie wir es wollen, statt den Unfähigen nach ihrer Pfeife zu tanzen und am Ende die Noten nach ihren Business-Regeln zu spielen.

Chris: Das war ein großes Risiko. Alles hätte untergehen können. Doch ich habe Nik bestärkt und war der Überzeugung: Wenn Alien Sex Fiend dazu bestimmt ist, weiter zu existieren, dann wird es das auch.

Nik: Und es geht ja immer weiter. Egal ob mit uns oder ohne uns. Schau dir doch nur die vielen Bilder von Dali an. Ich habe den immer geliebt. Und seine Kunst wird immer da sein, obwohl er lange schon gegangen ist. Ganz besonders hat mich aber auch immer dieser Zusammenhalt zwischen ihm und seiner Frau Gala fasziniert. Die haben es auch ohne Kompromisse geschafft und waren immer füreinander da. Einen solchen Halt zu haben, macht mich als Mensch und Künstler gleichermaßen mutiger. Ich wollte immer der Dali der Musik werden. Und was soll ich sagen? Hier sind wir nun.

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