laut.de-Kritik
Leichte Transmissionsfehler im zweiten Teil.
Review von Franz MauererWas war "Honeysuckle Switches" toll! Und die schon damals leise geäußerte Hoffnung, dass sich Lee nicht zum dritten Mal Covern widmen würde, sondern mit neuer Verve eigenem Material zuwendet, hat sich erfüllt: "Transmissons" hat er auch noch selbst produziert, was er zuvor nur bei "Spirit" tat - und schon damals keinesfalls schlecht. Passenderweise wurde das Album auch noch in einem Studio aus dem Holz einer alten Kirche im ländlichen Teil des Staates New York aufgenommen. Weniger als eine Woche dauerten die spartanischen Aufnahmen, dann ergänzte Lee sie aber doch noch um Arrangements. Dass Lee alles kann, das wies er ja schon lange nach; die Frage beim zweiten Release auf seinem eigenen Hoagiemouth Records-Label und seinem elften Album insgesamt ist wohl eher: Stellte sich der Philadelphian selbst ein Bein?
Der Opener "Built To Fall" schreit hinaus: nein! Überhaupt ein schöner Protestsong im Kammer-Pop-Stil, der viele Stärken Lees vereint. Das gute Texten, das Bemühen um authentische Schönheit, wo raue Kantigkeit die so viel einfachere Ausfahrt wäre, das Hineinlegen in eine gute Line mit einer nie aggressiven, aber verzweifelten Verve. "Built To Fall" ist Drang, ohne den Sturm, und ein ziemlicher perfekter Song für einen Disney-Trickfilm für Erwachsene. Lee fängt immer wieder kraftvoll an und das Arrangement bindet jede Well rund ab; das muss man erst mal so schreiben. "My child, my child / why can't we know / the promised land / where we were told?" singt Lee im Trotz gegen alle Beschränkungen an, die ihm das Leben auferlegt.
Wie eigentlich jeder Song, der "Beautiful Day" oder "A Beautiful Day" heißt, fehlt diesem die zweite Ebene, das Mitreißende, das der Opener noch hatte. Und das ist reinste Verschwendung, denn die erdige Komposition hätte so viel bessere Refrains verdient gehabt als das etwas verlegene Gesäusel dieses Lieds. Das Gefühl bleibt aber angenehm in einem feinen Spagat aus rumpelig und sauber produziert. "Carry You On" findet die Dringlichkeit jedoch gleich wieder und ebenso die feine Balance aus getragenem Folk mit hauchzartem Country-Anstrich, für den viel mehr die Streicher als die Kernband, selbst wenn sie das Banjo rausholt, verantwortlich sind, und in richtigen Momenten dringlichen Pop. Genau in dem sind wir mit "Hold On Tight", den Isaac Brock bestimmt auch gut fände, oder auch ein Morrissey, denn Lee hat Drama mittlerweile richtig gut drauf, ohne zu übersteuern.
Bislang lief es schon mal richtig gut, da biegt "Madison" um die Ecke. Stipes, John, Robbie: Jeder wirklich gute Power-Pop-Sänger über sehnsüchtige Klaviersongs mit leicht blauen Eiern hätte dieses Lied für absolut jeden Preis eingekauft. Beim ersten Hören ist man sich nicht sicher, ob es den Ausbruch zur Mitte gebraucht hätte, aber der ist eigentlich nur Vorwand für das schönste, kitschigste Saxofon in der Strömung dieser Welle. Bombensong. Der Bruch zu "Darkest Places" ist im Ton brachial, eine akustische, flirrende Country-Pop-Nummer voller Leichtigkeit. Das Topos bleibt: "I don't wanna live without you / but I've only learned how to live alone". Der Pressetext redet von ganz neuen Sujets, die Lee besänge, vom Altern und und; in Wirklichkeit singt er von Frauen, und das schön.
Irgendwie mag "Transmissions" partout nicht schlechter werden, sondern "Keep On Movin'". Schon wieder ein völlig neues Feel, ein gezupftes Lied voller Schwung, das zum richtigen Zeitpunkt mit ganz wenigen Background-Stimmen aufwartet. Wie für alle Songs dieses Album gilt: Skippen ist nicht, und mal reinhören auch nicht, hier baut alles aufeinander auf.
Und dann kommen doch, auf hohem Niveau, leichte Schnitzer, als man schon an den zweiten Meilenstein in Folge glauben mag: "Night Light" ist die Ecke zu gefällig, die alle anderen Songs bravourös umschifft haben. "Lucky Ones" erinnert an die Mittelphase von Ben Howard; entsprechend werden etwas zu viele Haken geschlagen und alles ist ein Stück zu schmachtend, wenngleich immer noch gut; aber eben mit einer unnötigen Patina aus Pathos. "When You Go" ist wunderschön, aber eben "nur" wunderschön. Das musikalische Genius dieses Hauchs mit skelettierter Instrumentierung fehlt, auch wenn er völlig zurecht in euren Bumble-Playlists landen wird. "Baby Pictures" ist schon ein klein wenig doofer Titel und das setzt sich im Text fort. "I can hear you crying in the darkness/ All you really want is love" singt Amos mit Fistelstimme und dann wird es doch ein wenig zu viel des Guten. Wo ist der Drang, das Souveräne?
Der Titeltrack beendet "Transmissions" und der Sänger findet wieder die Spannung zwischen Schmachten und Wollen, es rumpelt wieder, ohne an Gefühl nachzulassen oder Tempo aufzunehmen. Es wird einfach wieder stimmiger, die Band darf wieder mitmachen, und Lee wird wieder so grantig, wie er leider am besten kann. Der Magenschlag "Turn around / and she's gone" beschließt dieses tolle Album. Lee geht jedenfalls nicht weg, gut so.
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