30. Oktober 2003

"Dave Gahan schwebt auf einer Wolke"

Interview geführt von

Die ersten Künstler auf Fletchers Label Toast Hawaii sind Client, eine weibliche Elektro-Pop-Band. Für die legt sich der Mann nun mächtig ins Zeug, während Depeche Mode pausieren. Letzteres soll sich allerdings bald ändern, wie Fletcher im LAUT-Interview verrät.

Hast du denn schon mal eine Rede über das A&R-Business gehalten oder ist die Kölner Keynote Speech in dieser Hinsicht eine Premiere für dich?

Nun, das Hauptthema des Ganzen ist eigentlich 'A Lifetime In Music'. Als Sprecher von Depeche Mode bin ich zwar generell schon der Mann für Ansprachen, so lange wie morgen habe ich allerdings noch nie vor Leuten gesprochen. Vor allem wird es morgen ein paar lustige Geschichten der frühen Depeche-Jahre zu hören geben. Außerdem gehts um unser langjähriges Verhältnis zu Mute Records und wie enorm wichtig diese Verbindung für unsere Karriere war. Daraus ziehe ich ja heute für die Arbeit in meiner Plattenfirma und mit Client großen Nutzen. Die Rede habe ich vorbereitet, während ich mit meiner Familie in Spanien im Urlaub war, und da kamen einige recht lustige Erinnerungen hoch. In den Text ist ohnehin viel Humor eingeflossen, vor allem weil ich so meine Nervosität kaschieren kann.

Du bist also richtig aufgeregt?

Ja, ziemlich. Ich denke dass ich, genau wie Martin und Dave, zur Zeit versuche, nach vorne zu kommen. Es ist sehr einfach sich zurück zu lehnen, wenn du in einer Band wie Depeche bist. Wir haben ein Riesenpublikum, ein Stammpublikum. Da ist es wichtig, sich noch selbst zu fordern.

Der Client-Song "The Price of Love" ist der erste Release auf deinem Label Toast Hawaii. Ironischerweise hatten Depeche Mode in den frühen Jahren auch einen Song mit diesem Namen. Erinnerst du dich?

Yeah, aber das war eine Coverversion von den Everly Brothers. Bryan Ferry hat die später auch gecovert. (grinst) Aber natürlich ist es Zufall, ich glaube nicht, dass Kate und Sarah den Song gehört haben oder gar unsere Version. Aber es ist ein schöner Zufall, muss ich zugeben. Eigentlich ist es die beste Coverversion, die wir je gemacht haben. In unseren Anfangstagen hatten wir ja einige Covers am Start. Manchmal wollte Dave sie singen und manchmal nicht. Das hing immer davon ab, wie sehr ihm ein Song peinlich war. (lacht)

Wann hast du ernsthaft darüber nachgedacht, auf die andere Seite im Musikbusiness zu wechseln?

Ehrlich gesagt habe ich das schon immer gemacht, da wir bei Depeche nie einen Manager hatten. Das lief immer alles gemeinschaftlich mit Daniel (Miller, Mute-Chef, Anm. d. Red.) ab. Als Künstler hatten wir das Glück, dass wir gezwungen waren, die Plattenindustrie von grundauf kennen zu lernen, und dadurch konnten wir sicher mehr Erfahrungen machen als so manche andere Band. Als wir damals zu Mute kamen, war da ja nur Daniel. Dann wurden aus Daniel zwei Leute, dann drei usw. Ich fand das Thema aber schon immer interessant. Nur war ich mit Depeche leider immer zu beschäftigt und in der freien Zeit, die dann übrig bleibt, ist es sehr schwer, einen Künstler zu finden, der gute Songs schreibt.

Hattest du vor dem Client-Signing schon eine bestimmte Musikrichtung für dein Label vor Augen?

Leider lief das andersrum ab, denn ich kannte Client schon vorher und traf sie öfters im Pub. Dann spielten sie mir ihre Demos vor und ich mochte sie, so begann das. Wir arbeiteten zusammen im Studio und als es immer besser lief war es Zeit für einen Entschluss. Ich fragte mich: Soll ich sie managen, an eine Plattenfirma vermitteln oder meine eigene Firma gründen? Na, dann gründe ich meine eigene. So lief es auch mit dem Vertrieb, denn natürlich passen Client sehr gut zu Mute, wobei Toast Hawaii keinen Exklusiv-Deal mit Mute hat. Generell geht es einfach um gute Songs. Wenn ich einen guten Künstler finde, muss er nicht zwangsläufig elektronische Musik machen.

Musstest du Daniel Miller von Client überzeugen?

Nein, denn Daniel war von Anfang an mit dabei, er kannte schon die frühen Demos. Er hat uns die ganze Zeit unterstützt. Wie immer eben.

Wo kommst du mit neuen Bands in Berührung? Gehst du noch in Clubs?

Ähm nein ... (grinst), wobei doch, neulich war ich mal wieder weg. Ich lege ja neuerdings wegen Client ab und zu auf und komme dadurch rum, auch wenn ich mich nicht als geborener DJ betrachte. Ich habe das Glück, dass ... heute abend zum Beispiel, immer wenn ich irgendwo rumlaufe geben mir die Leute CDs (lacht), überall. Es ist verrückt, manche Leute packen sich scheinbar morgens CDs ein und denken 'Ich könnte ja später Fletch treffen'. Jedenfalls kriege ich rund 40 CDs die Woche und die höre ich mir auch alle an. Ich hoffe, es läuft so weiter, denn ich bin neu in diesem Geschäft. Daniel versucht immer die Leute zu meiden, die mit CDs auf ihn zukommen. Aber er macht das ja auch schon seit, ähh, 26 Jahren, versteht ihr? (grinst)

Welche Stadt ist für dich in musikalischer Hinsicht die interessanteste?

Am interessantesten war für mich schon immer New Orleans. Es ist mit Abstand die größte Musikstadt, in der ich jemals war. Nicht weil es eine hippe Stadt wäre oder dort viel Avantgarde geboten würde, aber in New Orleans wird Musik förmlich aufgesaugt. An allen Ecken.

Kannst du ein paar Bands nennen?

Nein gar nicht. Da geht es mir mehr um die Atmosphäre. Aber wenn du Bands hören willst ... Nun, wenn ich bei mir zuhause bin, höre ich sehr viel alte Musik. Eigentlich auch wenn ich herum reise, aber dann wird es sentimental, Stevie Wonder und sowas. Ich kann euch aber keine Band der Stunde nennen, da wäre Martin der geeignetere Mann. Er ist die ganze Zeit auf der Suche nach neuen Bands.

Was muss eine Band also mitbringen, um auf Toast Hawaii zu veröffentlichen?

Also die Grundvoraussetzung ist, dass es gute Songs sind. Ich bin in der sehr glücklichen Lage, in einer Band zu sein, die zwei großartige Songwriter hervor gebracht hat: Vince Clarke und Martin Gore. Das ganze Business dreht sich einzig und allein um gute Songs. Ob es ein Bob Marley ist oder was auch immer. Dank Client habe ich allerdings auch Gefallen daran gefunden, mit Frauen zu arbeiten, schließlich hänge ich schon mein ganzes Leben schon in einer Boyband rum.

Würdest du eine deutschsprachige Band verpflichten?

Ähh ... (überlegt) ja, warum nicht? Auch hier gilt natürlich der Grundsatz, dass der Song an sich gut sein muss. Die Texte würde ich halt nicht verstehen, da ich kein deutsch kann. Vielleicht könnte ich Martin dazu kriegen, sie mir zu übersetzen. Aber eine Sprachbarriere gibt es eigentlich nicht. Mein Hauptproblem ist eher, dass Client momentan den Hauptteil meiner Zeit beanspruchen, und Depeche nächstes Jahr wieder ins Studio gehen. Dann bin ich wieder zwei Jahre weg.

Wer macht denn dann deine Arbeit?

Naja, ich bin ja nicht die ganze Zeit am Stück weg, da wir meistens in Abschnitten von vier bis sechs Wochen arbeiten und uns dann wieder kurz trennen. So kann ich trotzdem noch meine Labelarbeit überblicken.

Dann ist also ein neues Depeche Mode-Album geplant. Was dachtest du denn kürzlich, als Dave der Presse erzählte, er sähe nur dann eine Zukunft der Band, wenn er mehr Mitspracherecht im Songwriting-Prozess bekommt?

Dave redet Unsinn. Ich meine, er hat gerade sein erstes Soloalbum heraus gebracht, "Paper Monsters", und da darf er mit Recht sehr stolz drauf sein. Deshalb schwebt er derzeit ein bisschen auf einer Wolke, tourt mit neuen Musikern um die Welt und so. Doch im Grunde weiß er natürlich, dass Martin der Songwriter ist. Martins Songs und Daves Stimme, das ist Depeche Mode. Es ist übrigens auch nicht so, dass er früher Songs mitgebracht hätte, die abgeschmettert wurden, wie oft erzählt wird. Da gab es höchstens Skizzen oder Songideen. Martin ist bei weitem der netteste und coolste Typ, den man sich nur vorstellen kann. Er würde niemals Songs von anderen aus verletztem Stolz ablehnen.

Das Interview führte Michael Schuh.

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