laut.de-Kritik
Neofolkige Interpretation der Gedichte von Rainer Maria Rilke.
Review von Daniel StraubIn den 80ern war Anne Clark eine charismatische dichtende Sängerin, deren zumeist monotoner Sprechgesang so gar nicht zu den vorantreibenden Elektrobeats ihrer Songs passen wollte. Das Charisma, ihre Stimme und die Liebe zur Lyrik hat sie sich erhalten. Die Synthesizer mussten indes vor einiger Zeit den Rückzug antreten. An ihrer Stelle finden sich auf "Just After Sunset", einem Re-Release aus dem Jahr 1998, Geige, Piano, Gitarre, Violine, Cello und eine Reihe weiterer klassischer Instrumente. Sie bilden das betörend schöne Fundament, auf welchem Anne Clark den Gedichten von Rainer Maria Rilke ein sehr persönliches Denkmal errichtet.
Schon seit ihrem Album "The Law Is An Anagram Of Wealth" und ihrer Akustik-Tour 1994 war der Abschied von ihrem früheren Image à la "Our Darkness" erkennbar. "Just After Sunset" ist die konsequente Fortentwicklung ihrer Interessen an Folk und klassischer Musik unter Beibehaltung des melancholischen, aber nie verzweifelten Grundtenors, der in so vielen Liedern von Anne Clark zum Ausdruck kommt. Dabei bewegt sie sich auf Pfaden, die von Bands wie Current 93, Death In June oder Sol Invictus erstmals beschritten wurden und seither gewöhnlich unter dem Label Neo-Folk verbucht werden.
Quelle der Inspiration sind für Anne Clark und Martyn Bates die Gedichte des um die Jahrhundertwende lebenden Lyrikers Rainer Maria Rilke. Der damals anbrechenden Moderne setzte Rilke eine naturverhaftete, in der Tradition der Romantik stehende Metaphorik entgegen, die in der schlichten, mit leichtem Hall belegten Instrumentierung ihren sinnfälligen und eindringlichen Ausdruck findet. Vor diesem verträumten Hintergrund entfaltet die klare Stimme von Anne Clark eine Direktheit, die unter die Haut geht. Ob beinahe missionarisch predigend wie in "To Music" oder vorsichtig anschleichend wie in "The Panther", Clark versteht es der Lyrik Rilkes eine überzeugende Stimme zu geben. Freunde melancholischer Stimmungen werden sich an diesem Release sicherlich nicht satt hören können.
Als kleines Zückerchen hat Anne Clark auf das Re-Release noch die Live-Video-Tracks "Shell Song" und "Echoes Remain Forever" drauf gepackt, aufgenommen beim Strangen Noise Festival 1997.
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