laut.de-Kritik

Der große Clou bleibt ihr weiterhin verwehrt.

Review von

Mit ihrer kühlen Eleganz steckt Annie Lennox all jene, die vergrämt ihrer Jugend hinterher rennen, locker in die Tasche. Zeitgleich reift ihre Stimme von Jahr zu Jahr. Bereits zu Eurythmics-Zeiten stach das zeitgleich frostklirrende und kuschelig warme Organ der bald 60-jährigen Schottin aus der Masse hervor. Ihr nun mit mehr Nachdruck und schrofferen Kanten ausgestatteter Schick verfügt mittlerweile über eine nahezu aristokratische Ausstrahlung.

Leider gelang es Lennox bisher nicht, ihre packende Live-Präsenz auch auf Platte zu bannen. Einzelne Lieder überzeugten, aber Stimme und Songwriter-Qualitäten wollen sich einfach nicht aufeinander einstellen. Kein Wunder also, dass, "Nostalgia" eingerechnet, die Hälfte ihrer sechs Solo-Werke ausschließlich Cover-Versionen füllen.

Nun sollen es die alten Klassiker aus dem Great American Songbook richten. Evergreens, die bereits Ella Fitzgerald, Billie Holiday, Nina Simone, Ray Charles und Frank Sinatra sangen. Natürlich kann man Lennox trotz ihrer Klasse nicht an diesen Ausnahmekünstlern messen. Neue Erkenntnisse sollte man von den Stücken "Georgia On My Mind", "Summertime" und "Strange Fruit" zudem nicht erwarten.

Herbst und Nebel beherrschen "Nostalgia". Nüchterne Piano-Arrangements und dandyeske Streicher setzen Lennox' zärtliche und verletzliche Seite in Szene. Die oft zu artige und statische Produktion, die wie in einem sterilen Labor zusammengebraut erscheint, steht dem Abenteuer jedoch deutlich im Weg. Nur "I Put A Spell On You" und "Mood Indigo" brechen aus diesem Schema heraus.

Bereits 1930 schrieben Hoagy Carmichael und Stuart Gorrell "Georgia on My Mind", doch erst Ray Charles verhalf dem Track 30 Jahre später zu Weltruhm. Lennox interpretiert den Song voller Sehnsucht. Im ebenso malerischen wie festgemauerten Umfeld von George Gershwins und DuBose Heywards "Summertime" fühlt sich die Sängerin spürbar zu Hause.

Den Dämon in Screamin' Jay Hawkins "I Put A Spell On You" ruft Lennox zur Ordnung. Gut sortiert versprüht sie racheschnaubende Verzweiflung und bleibt dennoch eine vornehme Dame beim Five O'Clock Tea. In Duke Ellingtons "Mood Indigo" stürzt sie sich in die sumpfigen Straßen von New Orleans und erinnert im Refrain an die Jazz-Vocalgruppen der 1940er. Sobald in "You Belong To Me" die Mundharmonika einsetzt, ertrinkt der ohnehin schon schnulzige Track im "Unsere Kleine Farm"-Kitsch.

Angewidert von einem Foto, auf dem die Erhängung der beiden schwarzen Thomas Shipp and Abram Smith festgehalten wurde, schrieb der weiße jüdische Lehrer Abe Meeropol "Strange Fruit". Ein Protest gegen Rassismus und Lynchjustiz, der bis heute nichts an seiner Direktheit und Bitternis verloren hat. "Southern trees bear a strange fruit / Blood on the leaves and blood at the root / Black body swinging in the Southern breeze / Strange fruit hanging from the poplar trees." Den Horror und den Ekel, der Billie Holidays Vortrag inne wohnt, ersetzt Lennox durch zurückhaltende Distanz und Demut.

Annie Lennox schlägt sich auf den Schultern all der Legenden, die den Stücken einst Leben einhauchten und sie definierten, achtbar. Im Gegensatz zu manch ähnlichen Unterfangen anderer Interpreten, wirkt der Longplayer niemals peinlich, nur etwas zu trocken und spröde. Der große Clou auf Albumlänge, der ihrem Gesangstalent entspricht, bleibt ihr mit "Nostalgia" allerdings weiterhin verwehrt.

Trackliste

  1. 1. Memphis In June
  2. 2. Georgia On My Mind
  3. 3. I Put A Spell On You
  4. 4. Summertime
  5. 5. I Cover The Waterfront
  6. 6. Strange Fruit
  7. 7. God Bless The Child
  8. 8. You Belong To Me
  9. 9. September In The Rain
  10. 10. I Can Dream, Can't I?
  11. 11. The Nearness Of You
  12. 12. Mood Indigo

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