laut.de-Kritik
"Future Nostalgia" aus dem 3D-Drucker.
Review von Mirco LeierIn Zeiten des Poptimismus und der Neu-Evaluierung der artistischen Integrität von Pop-Musik, die in der letzten Dekade geschah, hängt eine Künstlerin wie Ava Max ein wenig in der Luft. Wo Sängerinnen wie Bebe Rexha, Rita Ora oder Anne-Marie gar nicht den Anschein erwecken, als würden sie mehr wollen, als ihre Karriere mit bestenfalls durchschnittlichen Radio-Futter am Leben zu erhalten, für den sich selbst die hartgesottensten Pop-Fans zu schade sind, so vermittelt einem die Amerikanerin mit ihrem zweiten Album durchaus das Gefühl, dass sie sich zu Höherem berufen fühlt.
Mit "Diamonds & Dancefloors" gibt sich Max als der Prototyp eines neuen Main Pop-Girls. Artistisch wie auch visuell leitet sie eine neue Ära ein, die sich klar von ihrem ersten holprigen Versuch eines Konzeptalbums abgrenzt, die Ambitionen ein wenig höher steckt und den Ear-Candy noch mehr ins Zentrum rückt.
Dass das mit einem musikalischen Schritt nach vorne gleichzusetzen ist, lässt sich nicht von der Hand weisen. Wo sich "Heaven & Hell" noch wie ein verunsichertes Retorten-Produkt anfühlte, so wirkt Max' Präsenz auf einem Großteil der LP gefestigter und selbstsicherer. Die fortgeführte Zusammenarbeit mit Produzent Cirkuit klingt nicht länger wie ein ihr aufgezwungenes Gruppen-Projekt, sondern nach einem organischem Zusammenspiel. Die Hooks nisten sich nicht nur als nervige Ohrwürmer im Gehörgang ein, sie machen bisweilen sogar richtig Spaß.
Auf Songs wie "Million Dollar Baby", "Ghost", "Dancing's Done" oder allen voran "Maybe You're The Problem" springt der Funken endlich auch auf uns Zuhörer über. Das klingt nicht besonders ambitioniert oder originell, aber kompetent genug, um auch außerhalb des Geschmack-Nirvanas der Radiofrequenzen für den ein oder anderen wippenden Fuß zu sorgen.
Das mag vielleicht nicht Ava Max’ Qualitätsanspruch sein, doch für einen Platz in der oberen Riege der modernen Pop-Musik fehlt Ava Max schlichtweg nach wie vor das Charisma und die Persönlichkeit. Wo sich andere Popstars in Interviews entweder nahbar machen, oder selbst ikonsieren, wirkt Max wie die Schaufensterpuppe ihres Labels. Ja, "Diamonds & Dancefloors" entwickelt den blassen 2000er Pastiche-Sound ihres Debüts weiter, doch anstelle eine eigene, gereiftere Identität zu formen, spielt sie über weite Strecken Charade mit den musikalischen Masken ihrer Vorbilder.
Ein großer Teil der LP klingt wie Dua Lipas "Future Nostalgia" aus dem 3D-Drucker. Die musikalische Ästhetik ist die gleiche, nur gelingt es Max nicht ein einziges Mal, auch nur im Ansatz den Songs in einem ähnlichen Maße Leben einzuhauchen. Den Synthies fehlt der nötige Bumms, nahezu jede Bridge ist ein absoluter Rohrkrepierer, und selbst die Elemente, die gut funktionieren, bedienen sich oftmals einfach nur bereits etablierten Pop-Melodien: "Million Dollar Baby" etwa bei "Can't Fight The Moonlight" und "Dancing's Done" bei Alice Coopers "Poison". Selbst der stärkste Song der Platte "Get Outta My Heart" verdankt einen Großteil seines Charmes einem clever implementierten Samples der gepfiffenen Melodie von "Twisted Nerve". Das entwertet die Songs nicht zwangsweise, schmälert allerdings einmal mehr Max' Qualität als Songwriterin.
An anderer Stelle ("Ghost", "Diamonds & Dancefloors") wärmt sie an den Sound der frühen 2010er auf, bleibt allerdings stets im Windschatten von Sängerinnen wie Lady Gaga oder Katy Perry. Mit "In The Dark" wagt die Sängerin aus Wisconsin sogar ein Charli XCX-Cosplay, das alleinstehend akzeptabel über die Bühne geht, im Vergleich mit der offensichtlichen Inspiration allerdings binnen Sekunden in sich zusammenfällt wie ein Kartenhaus.
Wenig klingt wirklich schlecht auf Ava Maxs Zweitling. Für die Gewichtsklasse, in der sie sich momentan bewegt, verpasst sie einem hier und da sogar hin und wieder mit ihren Hooks richtige Kinnhaken. Nur findet ihre Musik außerhalb davon quasi kaum statt. Am Ende dieser LP erinnert man sich an keinen einzigen Moment aus einem Verse oder einer Bridge oder eines Instrumentals. "Diamonds & Dancefloors" reduziert seine Pop-Formel darauf, in möglichst kurzer Zeit so viele Hooks wie möglich unterzubringen, ohne auch nur einen Zentimeter von den betretenen Pfaden abzuweichen. Musikalisch mag das einen Schritt nach vorne bedeuten, kreativ kommt das Album allerdings einer fast noch größeren Bankrotterklärung gleich als ihr Debüt.
6 Kommentare mit einer Antwort
Kann halt nix außer weg.
"'Future Nostalgia' aus dem 3D-Drucker" trifft es ziemlich gut.
Dieser Kommentar wurde vor einem Jahr durch den Autor entfernt.
digitales Botox für Augen und Ohren. Hier ist aber auch gar nichts mehr authentisch, würde mich nicht wundern, wenn das ganze Projekt ein kompletter deep fake ist. 0/5 aufgerundet auf 1
Hört lieber die neue Rebecca Black. Geht richtig gut ins Ohr.
Hab mir gerade "Sick to my stomach" gegeben.
Das Video hat für mich schon nen verdammt hohen Fremdschämfaktor. Auf die Musik konnte ich da gar nicht mehr achten. Funktioniert rein audio sicherlich besser.
Dieser Kommentar wurde wegen eines Verstoßes gegen die Hausordnung durch einen laut.de-Moderator entfernt.
Sehr gute Review, kann uneingeschränkt zustimmen. Vor allem die Kopiererei ist bei keinem anderem Pop-Künstler so offensichtlich wie bei ihr.