laut.de-Kritik
Ein modernes Punk-Manifest für die Vernunft.
Review von Christian Kollasch"Sometimes truth is stranger than fiction", erklärten Bad Religion bereits 1994 im Titeltrack ihres Kult-Klassikers "Stranger Than Fiction". Donald Trumps Präsidentschaft hatte rein fiktiv schon in der Simpsons-Folge "Barts Blick in die Zukunft" von 2000 stattgefunden, in der Präsidentin Lisa Simpson die Führung der USA nach Trumps katastrophaler Amtszeit übernimmt.
Heute, 19 Jahre später, sitzt der Mogul in Fleisch und Blut im Oval Office, und tatsächlich gestaltet sich die Realität, in der sich Bad Religion wiederfinden, deutlich schräger als die gelbe Fiktion. Auf diese turbulente Zeit reagieren die Melodic-Hardcore-Veteranen mit ihrem 17. Studioalbum "Age Of Unreason" so, wie sie es schon immer am besten konnten: mit mitreißenden Harmonien.
"Age Of Unreason" lädt die "Crossbuster"-Patches und -Buttons an den Jacken aller Bad-Religion-Fans endlich mit einer zeitgenössischen Anti-Haltung auf, für die die Kalifornier seit ihrer Gründung 1980 stehen. Genre-Kollegen wie Anti-Flag oder Propagandhi verbissen sich mit ihren aktuellen Alben "American Fall" und "Victory Lap" schon in das politische Tagesgeschehen, nun blecken auch Bad Religion die Zähne und rechnen mit der Agenda von Trump und seinen Mitstreitern ab.
Als wüssten die Punks, dass sie sich viel zu viel Zeit mit ihrem Statement gelassen haben, grätschen sie im Opener "Chaos From Within" mit Anlauf in Donald Trumps Politik der Abschottung und seinem irrsinnigen Mauerbau hinein. Die ersten Töne gehören dem Schlagzeuger Jamie Miller, der nach dem Weggang des langjährigen Bad-Religion-Drummers Brooks Wackerman in 2015 erstmals auf einem Studioalbum des Sextetts in die Felle haut. Und wie er das macht: Miller schleudert "Chaos From Within" direkt in den roten Drehzahlbereich und landet seine Fills punktgenau.
Was darauf folgt, sorgt bei jedem Fan sofort für ein wohliges Gefühl im Bauch. Greg Gaffins Gesang mit der mehrstimmigen Unterstützung seiner Bandkollegen beschwört auch im fortgeschrittenen Alter wundervolle Harmonien herauf, wie sie sonst kaum eine andere Punk-Band hervorzubringen vermag. Nur das hohe Tempo und der bissige Text lassen darauf schließen, dass Bad Religion ganz schön angesäuert sind: "Threat is urgent, existential / With patience wearing thin / But the danger's elemental / It's chaos from within."
Neben dem Angriff auf Trumps "America-First"-Parolen legt "Age Of Unreasoning" den Finger in die vielen weiteren Wunden, die in der modernen Gesellschaft und der demokratischen Grundordnung klaffen. Gitarrist und Mitautor Brett Gurewitz hat sich die sozialpolitischen Entwicklungen der vergangenen Jahre genau angesehen und sieht Werte wie Freiheit, Gleichheit und die Wissenschaft stark gefährdet. Mit Bad Religion kanalisiert er seine Beobachtungen in ein modernes Punk-Manifest für die Vernunft.
So etwa in "The Approach", das mit Riff-Walzen und grollendem Schlagzeug vor dem Untergang der Demokratie warnt: "There's a moral and intellectual vacuum / And you're right to be lookin' askance / Philosophically moribund / revolution hasn't a chance." Oder im melancholisch angehauchten "Lose Your Head" mit Heartland-Anleihen, mit dem Gurewitz seine geistige Gesundheit mantra-artig aufrecht erhalten will. Eine weitere, wichtige Botschaft des Albums bleibt, auf seinen eigenen Verstand zu vertrauen, wenn der Rest der Welt verrückt zu spielen scheint.
Dafür stellen Bad Religion nicht nur eine "Fuck-Trump"-Attitüde zur Schau, sondern stützen sich, etwa im Titeltrack, auf die Thesen des englischen Intellektuellen Thomas Paine, der mit seiner Arbeit "Zeitalter der Vernunft" schon Ende des 18. Jahrhunderts die organisierte Religion kritisierte und die Aufklärungsbewegung unterstützte. Dass eine Punk-Band diese Jahrhunderte alten Ideen wieder hervorbringen muss, während der aktuelle US-Präsident den Klimawandel leugnet, ist erschreckend und effektiv zugleich. Bad Religion haben für unsere Zeit mit "Zeitalter der Unvernunft" einen leider allzu passenden Namen gefunden.
Mit großen Melodien, hohem Tempo und enormer Spielfreude untermalt die Band diese Epoche, ob im Hardcore-Brett "Faces Of Grief" oder im Classic-Rock-Stampfer "Big Black Dog": Auf "Age Of Unreason" machen sich Bad Religion als politisches Sprachrohr auf den Pogo-Tanzflächen erneut unverzichtbar. Bei all dem Irrsinn kann der Widerstand immer noch verdammt viel Spaß machen. Auf dass die Realität ein wenig normaler wird.
3 Kommentare
Das Warten hat sich gelohnt. Kommt nicht ganz an den grandiosen Vorgänger True North heran (der wiederum defintiv auf Augenhöhe mit den Großtaten Ende der 80er/Anfang der 90er steht), was vor allem an den zwei schwachen Tracks Lose Your Head und Downfall liegt, aber insgesamt verpackt es super ein progressives, verwundertes Amerika in Zeiten Trumps.
Do The Paranoid Style ist eine der besten Texte die Gurewitz/Graffin je vertont haben, Faces of Grief schlägt - bessere Produktion natürlich - den Bogen zu How Could Hell Be any Worse, Candidate ist eine sarkastische Blaupause für Rechtspopulisten im Wahlkampf.
In dem hohen Alter so eine Energie rauszuhauen ist beeindruckend. Und auf die Kritik, dass der Sound seit Ende der 80er der gleiche ist: Ja, aber Bad Religion sind gewissermaßen die AC/DC des Punkrock. Mit der gleichen Formel über so viele Jahre so frisch zu klingen schaffen wenige Künstler.
Texte Gut ja aber Musikalisch darf es ruhig etwas deftiger Vorgetragen werden. Gebe trotzdem 4/5 weil die Relevanz weiterhin absolut da ist.
Die sind einfach eine gute Band. Gute Texte und sehr sympathisches Auftreten. Das Album kriegt von mir auch eine 4/5.