laut.de-Kritik
Die große Leinwand muss es schon sein.
Review von Artur SchulzEin schlichtes, effektvolles Albumcover. Endringliche Augen in der Dunkelheit. Der Vorname "Barbra" fehlt. "Streisand" reicht vollkommen - es gibt ja nur die Eine. Und ihr Blick fordert "Release Me"! Denn dieser Longplayer enthält bislang unveröffentlichte Tracks aus Sessions zu Alben von 1967 bis 2011.
Zweite Wahl womöglich? Keine Spur. Wohl dem, der soviele schöne Tracks ohne echte Not jahrzehntelang auf Halde lässt. Denn Barbras Second Hand-Shop hält eine Menge Erstklassiges parat.
Am Eingang begrüßt "Being Good Isn't Good Enough". Fraglos ein passender Wahlspruch, was die persönlichen Qualitätsanforderungen der Künstlerin selbst angeht. Die Nummer von 1985 entstammt der Phase teils pompös geratener Produktionen, lässt aber trotzdem nicht kalt. Das Orchester startet durch, Barbras Vokaltechnik führt den spannungsvoll aufgebauten Kompositionsbogen mit viel Kraft und Virtuosität bis zum emotionalen Grande Finale.
"Didn't We" von 1970 zündet dagegen nicht richtig. Grund dafür ist nicht die Komposition oder Barbras Intonation, sondern das zu loungig und beliebig gehaltene Arrangement. Die ultimative Version des Songs spielte ohnehin Frank Sinatra 1969 ein. Seine der Songthematik viel besser entsprechende, intim und spröde intonierte Verletzlichkeit, funktioniert einfach besser.
Randy Newman ist nicht nur der Komponist der Ballade "I Think It's Going To Rain Today": Er begleitet die Streisand 1971 höchstpersönlich am Piano. Schlicht ging also auch früher, ausdrucksstark und berührendn. Keine Streicher, keine Glocken, kein Griff in die Sound-Requisitenkiste - nur ihre Stimme und Randys Klaviaturkünste genügen völlig.
Durch das Gegenüberstellen mehrerer Karrierejahrzehnte ergibt sich ein reizvoller Vergleich der Produktionsprioritäten von gestern und heute. Die Zeiten überladener Orchester sind vorbei. Das für die beiden letzten aktuellen Alben gewählte abgespecktere Ambiente stellt einen starken Kontrast zu den ersten künstlerischen Phasen dar. Doch in jedem Abschnitt machte Miss Streisand eine gute Figur.
Unkonventionell, und ob seiner dramaturgischen Inszenierung reizvoll aus dem gewohnten Rahmen fallend: das Bossa Nova-getränkte "Lost In Wonderland" von 1968. "With One More Look At You" erweist sich als weiteres Paradebeispiel für einen passgenau auf Barbras Stimmvermögen zugeschnittenen Titel. ihre Songs wirken nie im kleinformatigen TV. Die Streisand verlangt, ob laut, ob leise, immer die große Cinemascope-Leinwand.
Angestaubt oder gestrig klingt kein Track, was an der behutsamen digitalen Restauration der ursprünglichen Mastertapes liegt. Sicher nicht zufällig findet sich "Home", ein Titel aus dem Musical "The Wiz", am Ende des Albums. Denn wenn es unbedingt eines besonderen Rausschmeißers bedurfte, erfüllt die beschwingte, mitreißende Aufnahme diesen Anspruch perfekt.
Mehr als sechzig Alben hat die letzte große Diva des klassischen Entertainments bis heute veröffentlicht. Diese Zusammenstellung bislang nicht berücksichtigten Materials kommentiert Barbra in bester Fishing For Compliments-Manier: "Beim heutigen Anhören dieser Songs denke ich bei mir: Das Mädchen war gar nicht so schlecht, damals.".
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