laut.de-Kritik
Leise leidender Jazz in der urbanen Isolation.
Review von Dominik Lippe"Mein ganzes Leben war ich einsam - überall, in Kneipen, im Auto, auf der Straße, in Geschäften, überall. Es gibt kein Entrinnen vor der Einsamkeit. Ich bin Gottes einsamster Mann." Es sind ebenso deprimierende wie selbstüberhöhende Worte, mit denen Travis Bickle seine Radikalisierung einleitet. Strukturell orientiert an John Fords Western "Der Schwarze Falke" begleitet Martin Scorsese seinen "Taxi Driver" dabei, wie er sich - mit den Worten Quentin Tarantinos - "mutterseelenallein erst zum Spinner, dann zum Verrückten und schließlich zur wandelnden soziopathischen Zeitbombe" entwickelt.
Um den psychischen Niedergang musikalisch einzufangen, brauchte Scorsese die Hilfe von Bernard Herrmann. Der ehemalige Stammkomponist Alfred Hitchcocks hatte nach dem Bruch mit diesem Hollywood den Rücken gekehrt, um stattdessen in Europa die Werke François Truffauts zu untermalen, dem Begründer der Nouvelle Vague. Anfang der 1970er Jahre entdeckten ihn jene Filmemacher für den amerikanischen Markt wieder, die sich als Schüler Hitchcocks begriffen. Vor allem Brian De Palma verschaffte dem gebürtigen New Yorker einen erneuten Popularitätsschub im US-Kino.
Für "Taxi Driver" habe er das Gefühl aus "Psycho", "Marnie" und "Vertigo", aus "Ein Gespenst auf Freiersfüßen" oder "Der Teufel und Daniel Webster" benötigt, schilderte Scorsese 1992 in der Dokumentation "Music for the Movies". "Travis Bickle gehört zu den Menschen, die auf nichts anderes hören als auf die Stimmen in ihrem Kopf. Ich war davon überzeugt, dass der einzige Mensch der diesen Geisteszustand einfangen konnte, Bernard Herrmann war." Die Einschätzung des Regisseurs beruhte auch auf einer gewissen charakterlichen Nähe des eigenbrötlerischen Komponisten zur Hauptfigur.
"Es war Tolstoi, der sagte: 'Adler fliegen allein und Spatzen fliegen in Schwärmen'", zitiert ihn Herrmanns Biograf Steven C. Smith in "A Heart at Fire's". Wenig pflegeleicht zeigte sich Herrmann dann auch, als ihn Scorsese kontaktierte. "Ich weiß nichts über Taxifahrer", soll er den knapp 30 Jahre jüngeren Regisseur abgekanzelt haben. Doch Paul Schraders Drehbuch überzeugt den störrischen New Yorker. Statt seiner bevorzugten Orchestermusik kreierte er für die urbane Milieustudie jenen untypischen Jazz-Soundtrack, den er seinem wesensverwandten Wegbegleiter Hitchcock stets verweigert hatte.
Wasserdampf bedeckt fast vollständig das Bild. Ein unscharfes Taxi durchbricht die diesige Wand und verschwindet gleich wieder. Dazu bäumt sich die Musik bedrohlich auf. Das Schlagzeugspiel beschleunigt sich, gibt die Richtung vor, die auf eine Kollision zuläuft. Schnitt auf Robert De Niros Augen in italienischer Einstellung. Der wellenartige Einstieg der Untermalung wechselt abrupt in das sehnsuchtsvolle Spiel eines einzelnen Saxofonisten. Konturlose Großstadtlichter leuchten durch die nasse Windschutzscheibe. Erneut setzt das Schlagzeug zum albtraumhaften Foreshadowing an.
Bereits die erste Szene verdeutlicht, dass "Taxi Driver" aus der Perspektive Travis Bickles erzählt wird. Bild und Ton entstammen seiner Stimmungslage, der eröffnende "Main Title" spiegelt seine erratische Gedankenwelt wider. Er leidet unter Schlaflosigkeit, streift ziellos umher. Als Taxifahrer möchte er die nächtliche Unruhe zum Geldverdienen nutzen. "Thank God For The Rain" begleitet ihn auf seinen Touren. Ein langsames Ein- und Ausatmen, das vergleichsweise ruhig auf der Stelle tritt, jedoch eine Grundspannung hält. Über Tagebucheinträge gibt der Vietnamveteran Einblicke in seine Weltsicht.
"Wenn es dunkel wird, taucht das Gesindel auf", schildert Bickle aus dem Off, "Huren, Betrüger, Amateurnutten, Sodomiten, Trinen, Schwuchteln, Drogensüchtige, Fixer, Kaputte, Siffkranke. Ich hoffe, eines Tages wird ein großer Regen diesen ganzen Abschaum von der Straße spülen." Seine faschistoiden Reinigungsfantasien brachten "Taxi Driver" den Vorwurf ein, ein entsprechendes Weltbild zu propagieren. Doch Bickle taugt nicht zum Vorbild. Er bleibt den Film über ein abschreckendes Beispiel, ein ungelenker Simpel, der sich nach einer Zwölf-Stunden-Schicht im Pornokino entspannt.
"Ein Tag ist wie der andere - endlos lang. Ich hatte das Gefühl, völlig isoliert zu leben - ohne Ziel, ohne echte Aufgabe, nur auf mich konzentriert", notiert Bickle, während "I Still Can't Sleep / The Cannot Touch Her (Betsy's Theme)" ins Militärische zu kippen droht. Doch die grollende Isolation löst sich auf, versöhnliche Harfen setzen ein und das Saxofon-Motiv kehrt zurück, als er sich in Betsy verguckt, eine Wahlkampfhelferin des Präsidentschaftskandidaten Palantine. Zunehmend beschwingt gesellen sich Streicher zum Altsaxofonsolo, das in einem für Bickle wohl regelrecht entfesselten Finale gipfelt.
Das vom Jazz-Musiker Ronnie Lang vermittelte Hochgefühl von "I Still Can't Sleep / The Cannot Touch Her (Betsy's Theme)" zieht sich durch die erste noch reibungslos verlaufende Verabredung und hält auch an, als Jugendliche nachts sein Taxi attackieren. Erst als der unbedarfte Bickle sie in ein Pornokino einladen will und Betsy sich beleidigt abwendet, endet die romantische Note. "Phone Call / I Realize How Much She Is Like The Others / A Strange Customer / Watching Palantine On TV / You're Gonna Die In Hell" durchstreift die sinistren Gassen eines Film noir mit der anständigen Betsy als Femme fatale.
"The .44 Magnum Is A Monster" begleitet nun seine Übungen am Schießstand. Mit Harfen formt Herrmann einen Abwärtsstrudel, wie er ihn wiederholt für Hitchcock kreiert hatte. Es läuft auf eine Konfrontation hinaus. Befreit vom leise leidenden Saxofon setzt sich der mentale Abstieg im beunruhigenden "Getting Into Shape / Listen You Screwheads / Gun Play / Dear Father & Mother / The Card / Soap Opera" fort. "Ab heute beginnt die totale Mobilmachung", betont Bickle bei seinem körperlichen Training, das im ikonischen Spiegelmonolog endet. Worauf er sich vorbereitet, dürfte er selbst nicht wissen.
"Ich habe erkannt, dass mein Leben nur auf einen Punkt fixiert ist", deutet er seinen Lebenslauf deterministisch. Ein dilettantischer Attentatsversuch auf Palantine schlägt fehlt ("Assassination Attempt / After The Carnage"). Sein Fokus wechselt nun zu dem Zuhälter "Sport And Iris", einer zwölfjährigen Prostituierten (Jodie Foster). Gegen ihren Willen schießt er sich in der Absteige den Weg zu ihr frei. Geradezu archaisch runden die Drums von "Assassination Attempt / After The Carnage" das Blutbad ab. Als bittere Pointe bringt ihm seine kopflose Befreiungsaktion auch noch mediale Anerkennung ein.
Nach dem Achtungserfolg "Mean Streets" zementierte "Taxi Driver" Martin Scorseses Status als wohl wichtigster Filmemacher des New Hollywood. Ein Klassiker, dessen Thema der Radikalisierung in der Isolation aktueller denn je wirkt. Bickle sei "einer der vielen allein lebenden, gesichtslosen Menschen, die es in amerikanischen Großstädten zuhauf gibt", schreibt Quentin Tarantino in "Cinema Speculation", "Vereinzelte Männer, die ein vereinzeltes Leben führen, ohne Familie, ohne Freunde oder nahestehende Menschen". Scorsese sei ein "einfühlsames Porträt über diesen Unzufriedenen" gelungen.
Weniger Lob fand der Regisseur von "Pulp Fiction" für die Musik. Herrmann habe Scorsese eine "minimalistische Hintergrundkulisse aus Autogeräuschen und irgendeinem Arschloch am Saxofon" unterjubeln können, schmähte er in seinem Sachbuch. Tarantinos mangelndes Wohlwollen hängt womöglich mit dem ihn umgebenden Kinopublikum zusammen. Das "Ausmaß an Authentizität" von "Taxi Driver" habe dazu geführt, dass sich die eher wenig feinsinnigen Zuschauer wiedererkannt haben - und lachten. Für sie habe es sich um "eine Komödie über einen Vollidioten", eine "totale Knalltüte" gehandelt.
Er bezweifele, dass "Taxi Driver" bei den Filmfestspielen von Cannes "für so viele Lacher" gesorgt habe wie im Carson Twin Cinema. Das dürfte sich ausschließen lassen. Mit der Goldenen Palme errang der Film dort den Hauptpreis. Bei der Oscarverleihung wiederum scheiterten De Niro und Foster am Cast der Mediensatire "Network" und das Werk selbst an der sportlichen Aufstiegsgeschichte "Rocky". Herrmann konkurrierte in der Kategorie Original Score mit "Schwarzer Engel" von sich selbst und unterlag mit beiden Arbeiten den satanischen Chören von Jerry Goldsmiths "Das Omen".
Von alledem bekam Bernard Herrmann nichts mehr mit. Am 23. Dezember 1975 hatte er die Filmmusik zu "Taxi Driver" beendet, war in sein Hotelzimmer zurückgekehrt und dort in den Morgenstunden des Heiligabends im Schlaf verstorben. "Unsere Dankbarkeit und unser Respekt gelten Bernard Herrmann", heißt es im Abspann des ihm gewidmeten Films. "Er hatte das Gefühl, etwas Neues zu beginnen", äußerte Martin Scorsese mit Bedauern nach dem Tod des US-Komponisten, "Es gab niemanden, der ihm auch nur nahe kommen konnte."
In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.
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