laut.de-Kritik
Masterpiece mit Genre-Hopping und Spaß an der Katharsis.
Review von Philipp KauseKantig wirkt bei Beth Hart sogar das Klavierspiel in "Don't Call The Police", das auf eine Ballade hin deutet. Doch hier wie auch sonst auf diesem Album "You Still Got Me" spielt die Electric-Bluesrock-Röhre mit Erwartungen, mit denen sie eine falsche Fährte legt. So schäumt dieses ruhige, pulsierende und nur unmerklich gärende Lied drei Mal auf, Beths Band schießt den Refrain jedes Mal wie ein Feuerwerk in die Höhe. Sie selbst faucht als Vorwarnung ein paar Takte zuvor wie eine Löwin, bereit zum Sprung auf die Beute, die sie den Jungen dann anschleppt.
Gut, diese Drama-Technik und das Spiel mit ihrer Stimme, die durchaus bedrohlich klingen kann, sind nichts Neues. Aber wie die Kalifornierin ihre Intensität und geballte Leidensfähigkeit dafür einsetzt, uns die großen Tragödien des Lebens einschließlich der Aussicht aufs Sterben unterzujubeln, da mag man dieses Mal besonders oft an Janis Joplin denken.
Beth brodelt, schwingt sich zu Vibrato-Girlanden auf, trillert plötzlich eine Oktave höher als sie gerade noch in ruhigem Fahrwasser sang, explodiert gelegentlich, kreischt kontrolliert, und manchmal zerreißt es sie fast. Im genialen "Machine Gun Vibrato" treten Zischen, Flüstern, Pusten, Keuchen, Raunen, Quieken, das genüssliche Durchkauen einzelner Buchstaben und deren verzögertes Ausspucken in den Kanon ihrer Ausdruckstechniken. In "Wonderful World" sind es Schmettern, Heulsingen vor Freude und Malen von Vokalen mit den Lippen. Und das Titelstück "You Still Got Me" ist so ein Fall, über den man glasklar in geschwungenen Lettern Joplin schreiben könnte, ohne dass es blasphemisch wäre. "Pimp Like That" probiert noch etwas anderes aus, lässt auf Piano-Ebene Norah Jones-Vibes und Tom Waits-Theatralik laufen, während Beth gesangstechnisch die Kreuzung aus Bonnie Tyler, der wütenden Cat Power ihrer frühen Jahre und der späten bluesy Etta James gelingt.
Eine lange Phase hindurch klebte mir Hart seit ihren Duo-Alben mit Bonamassa zu sehr an seinem Stil dran. Wissend, dass sie mal aus dem Country-Pop kam und die Kehrtwende zwar zum Blues als ihrem Seelenretter und Befreier aus dem Heroin-Sumpf nachvollziehbar war, aber nicht direkt zum stampfenden und gniedelnden wie-lange-kannst-du-ein-Solo-dehnen?-Prog-Blues.
Damit ist jetzt Schluss, nachdem die Led Zeppelin-Tribute-Scheibe das Muster auf die Spitze trieb. Kommerziell war das zwar ein Höhepunkt, hinsichtlich Beths Kreativität jedoch eine Bankrotterklärung. Insgesamt firmiert der Bestseller als Tiefpunkt der ganzen Electric-Blues-Welle der letzten 15 Jahre. Freilich, die meisten Bluesrock-Releases halten handwerklich und produktionstechnisch ein Level, von dem man in anderen Genres träumen kann, und die Konzerte von den Jüngsten wie Ally Venable über die Etablierten wie Samantha bis zu den Senioren wie Bernard und Walter lohnen sich immer.
Aber Beth Hart reizt mit ihrer Stimme viel mehr Möglichkeiten aus und inszeniert, wenn man sie bei guter Stimmbänder-Kondition erwischt, ein fulminantes Theaterstück, während andere weitaus mehr die Gitarren sprechen lassen. Dass ihr die Katharsis jetzt auch im Format des Studioalbums gelingt, unterfüttert diese Gabe, sich die Bühne Untertan zu machen.
"You Still Got Me" punktet nicht nur Track für Track. Die Lässigkeit, mit der die 52-Jährige die Genres durcheinander wirbelt wie Lottokugeln bei der Ziehung, macht symbolisch Mut. Denn Hart erzielt mit ihren Platten mehr Reichweite als die meisten anderen Blueser:innen, und sie lädt die Fans anderer Szenen und Subkulturen ein, ihr (auch) in die Mississippi-Grooves zu folgen.
Dazu zückt sie Country-Rock von Cash in "San Quentin"-Pragung in "Wanna Be Big Bad Johnny Cash" mit "Man In Black"-Bassline. Sehr treffend gestaltet die Tattoo-Lady ihre Hommage an den ewigen Godfather des kommerziellen und doch alternativen Country. Sie zitiert Grunge in "Machine Gun Vibrato" und lässt Soundgarden lebendiger werden als die Foo Fighters heutzutage sich selber.
Sie wagt sich in den angejazzten Rock-Soul, den Carole King nach "Tapestry" in den 70ern zauberte. Und sie weiß genau, wo sie die Grenze zum Easy Listening lieber nicht überschreitet und was sie mit ihrer Kehle noch glaubwürdig performen kann. So gerät "Drunk On Valentine" zu einem der besten Tracks hier inmitten des ganzen Premium-Materials.
"Wonderful World" hat nichts mit Louis Armstrong zu tun, sondern ist die flammendste und doch auch gemütlichste Lagerfeuer-Ballade, die uns seit Jahren zuteil wurde. Soul, Rock, Mainstream-Pop, Eagles-Westcoast-Panorama, Rod Stewart-Schmirgeln, hier steckt ganz vieles drin. Lebensbejahung kurz vorm Abgrund, das ist hier das Thema und die Stimmung, wie überhaupt Harts Lebensthema, in "Little Heartbreak Girl" noch getoppt durch die Weltherrschaft.
Blitz, Donner und Nieselregen liegen eng beieinander, auf diesem schwermütigen Werk, das lauter positive Botschaften aussendet und diese aus dem Schmerz heraus schürft und solange an die Oberfläche buddelt, bis Beths Gefühle telepathisch in die Ohren fließen.
Man kann sich den meisten Songs hier kaum entziehen, wenn man ein bisschen Sinn für emotionale und literarische Musik hat. Klar, an mancher Stelle wird Hart auch treue Fans vor den Kopf stoßen, wenn sie in "Never Underestimate A Gal" in Gypsy-Tango einstimmt. Passt nicht zu ihr, doch man hört, sie hat Lust drauf und kann es spannend umsetzen. Viel Einmaliges erklingt hier, und von der Band so hammerstark gejammt, dass es sich gewaschen hat.
Andersherum ist die Wahl, Eric Gales und Slash gerade auf ein Album einzuladen, das Genre-Grenzen auslotet, und die beiden an den Anfang der Platte zu setzen, irreführend und gibt denen, die auf Gniedel-Einlagen Wert legen, das, was sie brauchen. "Suga N My Bowl ft. Eric Gales" ist ein pumpender Stromstoß-Schieber, wetzt die Saiten, stompt im Refrain, lässt Raum für Geschrei und ist die sichere Bank auf diesem Musterbeispiel eines experimentellen, zeitlosen, mitreißenden, interessanten und beeindruckenden Longplayers. Respect!
2 Kommentare
mir ist das alles zu grob, als dass ich das als Blues(Rock) mögen würde
Spotify spült mir die ständig in die Empfehlungen, ist wohl so ein Zwangsfeminisierungsversuch, wie Frauenfussball.