20. Juli 2009

"Wir sind keine Poppunk-Band!"

Interview geführt von

Billy Talent polarisieren. Mit Haarwunder Ian D'Sa und Donald Duck-Soundalike Ben Kowalewicz hat die Band gleich zwei ins Auge bzw. Ohr springende Aushängeschilder. "III" klingt nun fast nach dem Versuch, Fans und Kritiker endlich zu versöhnen.Billy Talent wirken 2009 betont düster und gebremster als zuvor, man könnte fast sagen erwachsener - ohne jedoch an Esprit und Emotionalität einzubüßen. Es gibt Gründe für das musikalische Leisertreten: Sänger Ben und Gitarrist Ian mussten schwere persönliche Rückschläge überstehen. Aber davon lässt sich eine tourfreudige Band wie Billy Talent nicht beeindrucken, schließlich tragen die immensen Touraktivitäten einen erheblichen Teil des Erfolgs.

Und wo erwischt Autor Yan Vogel Frontmann Ben Kowalewicz dementsprechend? Genau, am Handy vorm Tourbus stehend. Knistern in der Leitung schuf zwar eine schöne Atmosphäre beim transatlantischen Gespräch nach Kalifornien, führte jedoch auch zu kleineren Verständnisschwierigkeiten (Frage: "Did he play all the instruments?", Antwort: "Did we have to pay for it?") ...

Der Druck war sicherlich groß nach dem großen Erfolg eures zweiten Albums. Wie seid ihr mit den hohen Erwartungen umgegangen?

Wir wollten auf externe Erwartungen keine Rücksicht nehmen. Den einzigen Druck, den wir aufbauten, war der uns gegenüber. Als Musiker, Songwriter, als Band. Die Arbeit an der neuen CD machte uns richtig viel Spaß und war faszinierend und herausfordernd zugleich. Auch den Anliegen der Fans sollte man entgegenkommen, denn schließlich haben sie uns erst dorthin gebracht, wo wir heute stehen.

Viele Kritiker verpassen euch das Etikett "Mainstream-Poppunk". Nimmst du dir das zu Herzen oder interessiert es dich nicht wirklich?

Also, meines Erachtens handelt es sich bei Billy Talent nicht um eine Poppunk-Band. Ich meine, wir spielen zusammen seit einer Zeit, als Poppunk noch nicht einmal erfunden war. Wir sind eine Rock'n'Roll-Band mit einer Vorliebe für Punkrock sowie unterschiedlichste Stilrichtungen: Wir mögen Reggae, Ska, Hip Hop, Classic Rock. Uns kann man nicht auf einen Stil reduzieren. Wir unterscheiden uns erheblich von einer Band wie Blink 182. Versteh mich nicht falsch, ich mag sie, aber auf Blink 182 trifft die Bezeichnung Poppunk eher zu. Wir sehen uns eher in der Tradition von Rage Against The Machine.

Lass uns über die Texte sprechen. Einerseits beschreibst du greifbare, alltägliche Situationen wie Beziehungsprobleme, andererseits gibt es eher metaphorische, zeitlose und narrativ gehaltene Lyrics wie in "White Sparrows" und "The Dead Can't Testify".

Im Songwritig-Prozess muss man versuchen, immer unverbraucht zu klingen. Es kommt nunmal, wie es kommt.

Lässt sich von einer Hinwendung zu düsteren Themen sprechen?

Um auf "White Sparrows" zu sprechen zu kommen: Dieser Song bedeutet mir unheimlich viel. Eine langjährige Beziehung von Ian ging in die Brüche und seine Stimmung war angeknackst, er war am Boden. Ich habe eine mir sehr nahestehende Freundin verloren, die ich sehr vermissen werde. Ian und ich befassten uns beide mit schicksalsbeladenen Situationen, als wir den Song schrieben, und verbinden – jeder für sich – unsere eigene wahre Geschichte damit. Jeder hat schon den Verlust eines geliebten Menschen betrauern müssen, sich daraufhin schlecht gefühlt und ist an der gesamten Welt verzweifelt. Wir haben diesen Song einigen Leuten vorgespielt und gemerkt, dass er sehr bewegend sein kann.

"The Dead Can't Testify" schrieben wir als letzten Song, als wir uns bereits im Studio befanden. Jemand kam mit der Idee an, und ich bekam sie nicht aus dem Kopf. Meines Erachtens fällt das Stück sehr facettenreich aus, Billy Talent-untypisch. Der Tonfall erinnert an einen Choral. Wir wollten mit diesem Song eine Atmosphäre schaffen, die an Tim Burton erinnert. Dinge passieren, die eigentlich nicht im Bereich des Möglichen liegen; wir schrieben über eine Frau, die bezichtigt wurde, eine Hexe zu sein und daraufhin hängen musste. Sie kehrt dann aus dem Jenseits zurück und geistert im Leben ihrer Peiniger herum.

Back to the Roots

Worum geht es in "Devil On My Shoulder"? Ein Synonym für eine verflossene Beziehung oder einen schizophrenen Charakter?

Dieser Big-Bluesy-Riffrocker stammt von Ian, eine dieser Ideen, vor denen ich mich nur staunend verneigen kann. Ein Kumpel von uns versprüht von Zeit zu Zeit viel negative Energie, er legt förmlich eine Weltuntergangsstimmung an den Tag (Ben benutzt hierfür u.a. den Ausdruck "that's scheiße", Anm. d. Red.), und jeder fragt sich, warum er seinem Leben nicht mal eine positive Wendung geben kann. Wenn du Gutes gibst, wirst du auch Gutes empfangen. Wenn du dich mal auf verlorenem Posten fühlst, dann stürzt all das Schlechte dieser Welt auch auf dich herein.

"Diamond On A Landmine" klingt wie ein Hybrid aus Reggae, Pop und Rock und könnte durchaus von The Police stammen. Zumindest erinnert mich die Strophe stark an "Roxanne" und die Lyrics an "I Can't Stand Losing You". Geschah die Verbeugung bewusst oder unbewusst?

In einer gewissen Hinsicht verfolgten wir diese Absicht. Wir zählen uns alle zu The Police-Fans, sie gehören zu meinen Alltime-Favoriten. Wir haben alle die Reunion verfolgt. Wir sind mit dem Song ein wenig zu unseren früheren Einflüssen zurückgekehrt, denn wir spielten vor längerer Zeit mit Reggae- und Backbeat-Einflüssen. Ich denke, es ist vor allem die erste Strophe, die das Police-Feeling in sich trägt. Wir entschieden uns dafür, den Part beizubehalten, denn es klang großartig und fühlte sich richtig an und war zudem ein willkommener Anlass, einer Lieblingsband eine Hommage zu erweisen.

Gerade auf "III" hat man den Eindruck, dass die musikalischen Wurzeln durchscheinen. Es gab auf keinem der beiden Vorgänger solch eine Ansammlung klassischer Rockriffs.

Das geht auf Ian D'Sa zurück. Für mich persönlich ist er einer der besten Songwriter und Gitarristen derzeit. Er spielt sehr ungewöhnlich, diese eigenartigen Akkordverbindungen ... Er arbeitet hart an sich selbst, und was er tut, hat Hand und Fuß. Er ist es, der die ganzen unglaublichen Riffs anschleppt. Sie sind die Basis, auf denen wir aufbauen.

Wider das An-der-Welt-Verzweifeln

Ihr habt u.a. einen Song von Fugazi gecovert und im Live-Programm gespielt. Ich werfe einfach mal ein paar Namen in den Raum und du sagst, was dir dazu einfällt: Led Zeppelin.

Das wäre eher eine Aufgabe für die Jungs, denn ich kann nicht wie Robert Plant singen.

Black Sabbath.

Wir spielten "The Wizard" und jammten sicherlich zu vielen weiteren Heavy-Riff-Tunes wie "War Pigs".

Bruce Springsteen.

"I'm On Fire" würde ich sehr gerne einmal covern.

Soundgarden.

"Jesus Christ Pose" oder "Rusty Cage" sind groß.

Rage Against The Machine.

Seit wir zusammen Musik machen, haben wir Songs von RATM gespielt. Ich würde sagen, "Bullet in The Head" oder "Testify" sind unsere Favs.

Einige dieser Bands wurden von Bredan O'Brien produziert, der sich auch "III" angenommen hat. War er eure erste Wahl?

Das ist unsere erste Arbeit mit Brendan - und es war fantastisch. Er ist ein renommierter Produzent mit einer langen Geschichte und er schaffte es, unser Album absolut fantastisch klingen zu lassen.

Ian arbeitete erstmals nicht als Co-Produzent. War es hart für ihn, die Aufgabe abzugeben?

Am Anfang sicherlich. Wie soll man auch mit jemandem diskutieren, der ein paar der besten Scheiben aller Zeiten aufgenommen hat? Andererseits fiel es uns so leichter, uns auf die Musik zu konzentrieren. Ian kennt sich auch mit dem ganzen Produktionskram wie Pro Tools aus. Brendan bringt einen externen Blick auf die Musik mit ein und redete eine Menge.

Habt ihr die CD teilweise live eingespielt?

Wir nahmen einige Aspekte wie Schlagzeug und Bass live auf. Darüber spielte Ian seine Gitarrenspuren. Es ist das erste Mal, dass wir von dieser Arbeitsweise Gebrauch machten.

Das Endergebnis klingt sehr organisch und dynamisch.

Ja, es gibt einen starken Live-Einschlag. Komischerweise finden manche den Sound zu glattpoliert, woher dann auch die Analogien zum College-Sound herrühren dürften.

Man hört in jedem Fall die Rockband Billy Talent, aber ihr verwendet auch ein für euch ungewöhnliches Instrumentarium. Im zweiten Vers von "White Sparrows" hört man z.B. einen Flötensound, der mich ein wenig an die Strophe von Led Zeppelins "Stairway To Heaven" erinnert.

Das war alles Brendan O'Briens Idee. Er spielte auch all die Instrumente ein. Er spielte das Mellotron und das Piano, auch die Handclaps gehen auf ihn zurück.

Und ihr habt euch deswegen nicht in die Haare gekriegt?

Wenn du mit jemandem zusammenarbeitest, musst du Kompromisse eingehen. Wenn er mit einer Idee ankam, probierten wir sie natürlich aus. Wenn sie funktionierte, behielten wir sie bei, und wenn nicht, warfen wir sie über Bord.

Das Musikvideo zu "Rusted From The Rain" wirkt zunächst wie ein "Band spielt live"-Clip, jedoch werden dann nach und nach Szenen eingeflochten, die einen Plot suggerieren. Kannst du die zugrundeliegende Story erläutern?

Im "Rusted"-Video geht es darum, wie wir manchmal einfach ein oberflächliches Urteil über Menschen fällen, da sie sich unterscheiden oder nicht einer wie auch immer verbreiteten gesellschaftlichen Norm entsprechen. Das Video stellt dies in Bildern dar.

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