laut.de-Kritik
Die Isländerin geht ihren Weg der Schwermut weiter.
Review von Kai KoppGenie und Wahnsinn liegen ja bekanntlich nah beieinander. Björk bewegt sich seit "Homogenic" mit zunehmender Freude auf dem immer schmaler werdenden Grad. Ob sie mit "Medulla" diese Wanderung meistert, liegt im Ermessen jedes Einzelnen. Fest steht, dass Björk zur Akustik-Künstlerin mutiert ist, deren Werke hohe Anforderungen an das Publikum stellen.
Das Augenscheinlichste an "Medulla" ist die Instrumentierung. Björk arbeitet ausschließlich mit den unzähligen Klängen, die die menschliche Stimme erzeugen kann. Alle Beats, alle harmonischen und melodischen Elemente entstehen so. "The only rule was not to sound like Manhattan Transfer or Bobby McFerrin" erläutert Björk augenzwinkernd den Produktionsprozess. Am Mikrophon unterstützen sie Robert Wyatt, Ex-Faith No More Sänger Mike Patton, Rahzel (The Roots), die Inuit-Stimme von Tanya Tagaq Gillis und der japanische A Capella Star Dokaka.
Anzuhören ist Medulla wie eine dramatische Reise in die einzigartige Vorstellungswelt einer Künstlerin, der man nur mit Disziplin und eisernem Willen folgen kann (und will). Dämonische und dramatische Augenblicke wechseln sich dabei mit düsteren und dunklen Momenten ab. Selten gedeiht ein Hoffnung spendendes Arrangement wie im technoiden "Triumph Of A Heart". Sicherlich gelingt der eine oder andere Hinhörer wie die menschliche Double-Base-Drum auf "Where Is The Line" oder das eingängliche "Who Is It". Angesichts der Gesamtdramatik bleiben diese Eindrücke jedoch marginal.
Ihrer scheinbaren Schwermut gibt sich Björk seit ihrer Rolle als Selma und den dazugehörigen "Selma Songs" hin. Um dieser Melancholie schöne Seiten abzugewinnen, fordert "Medulla" die Aufmerksamkeit des Hörers in voller Gänze. Die Situationen, die aus sich heraus ein Hören des neuen Björk-Werkes erfordern, halten sich jedoch massiv in Grenzen. Kunstmusik für Vernissagen, könnte man meinen.
Für diese Vermutung spricht auch der Titel des Albums. Als Medulla (lat.) bezeichnen Mediziner die Marksubstanz der Knochen. In diesem Sinnbild stellt für Björk "Medulla" eine Reise zur Essenz der Dinge dar. Jene, die ihr in diese Tiefen folgen, werden "Medulla" als geniale Offenbarung erleben. Alle anderen könnten zum Schluss gelangen, Björk hätte inzwischen ein paar Geysire zu viel anmeditiert.
90 Kommentare mit 2 Antworten
die spinnen, die isländer.
ich weiß noch nicht genau, ob ich die ankündigung, dass auf dem neuen album nur menschliche laute zu hören sind, als drohung werten soll oder nicht...
experimentell hin oder her, das menschliche organ ist doch irgendwie in seinen möglichkeiten beschränkt, oder nicht...?
hat schon jemand reingehört?
hm ich ziehs grad :>
auf jeden fall wäre sie dann am selben "coolen" level wie bauchklang.
wie dreckig.
Ich habs vorbestellt, kommt bald *freu*
So wie ich das verstanden hab, soll es überwiegend Menschliche laute enthalte, also sehr spärlicher Einsatzt von Instrumenten. Bin auf jedenfall sehr gespannt...
Und das Björk einen an der waffel hat ist ja wohl klar aber genau das macht sie doch aus, ich mag sie mal schauen was sie uns diesmal beschehrt
an happson:
ich hab beim reinhören dasselbe gedacht...
ich hab mich bei saturn hingestellt und war gespannt.. vor allem besaß ich vorher keine björk-platte...
aber der erste track, den fand ich direkt zu gut...
und ich glaub, du meinst den vierten track mit dem beatblub... ja.. ehe..
aber ich hab mir die platte geholt.. und es auch nicht bereut.. auch wenn ich inzwischen paar dinge an dem album kritisier, wie zb, dass es echt stimmt, dass grad mal 6 songs richtig gut sind und der rest irgendwie recht okeh... und das stört mich schon gewaltig. aber andererseits hab ich mich noch nicht genug mit der platte beschäftigt..
aber ich finde trotzdem, dass sich der auf lohnt...
hmja
japs..:)
Zitat (« Uzel schrieb:(...) für mich ist das schlicht pseudo-intellektueller mist, bei dem nur darauf wert gelegt wird besonders alternativ/kreativ zu sein. die musik tritt aber in den hintergrund (...) »):
Ich würde sagen: Im Gegenteil; die Musik tritt in den Vordergrund - im Gegensatz nämlich zu, wurde auch schon gesagt, dem Mainstreamgestrulle was sich bei den Musiksendern so abspielen lässt (wobeis natürlich auch da Ausnahmen gibt).
Björk macht ihre Musik nicht, um alle aurikularen Saab-Fahrer (*g) zu ködern, sondern weil und wie sie ihr gefällt, und deswegen (bzw wegen dem, was dabei rum- und rauskommt) wird sie gekauft.. daran jedenfalls glaube ich..
(Und was is verkehrt am Kreativ-Sein?)
Nach mittlerweile bald 20 Jahren sollte sich ja gezeigt haben, dass die Platte mehr Bestand hat als viele andere Releases (und nicht nur in Vernissagen gespielt werden, wie unterstellt). Werden Reviews über die Zeit eigentlich auch mal überarbeitet?
Dieser Kommentar wurde vor 2 Jahren durch den Autor entfernt.
Klar. Die Redakteure hier haben bestimmt genügend Freizeit, um 20 Jahre alte Rezensionen zu Platten zu überarbeiten, die entsprechend wenig im Gespräch sind und auf der Hauptseite nicht mehr gefeaturet werden.