laut.de-Kritik
Kompromisslose Anarchie in ständiger Alarmbereitschaft.
Review von Rinko HeidrichSchwarzes Midi. Das klingt bedrohlich und unheimlich. Black MIDI, das elektronische Subgenre, hat seinen Ursprung in Japan und klingt, zugespitzt ausgedrückt, wie Mozart auf Speed, im Aphex Twin-Remix. Es gilt, in kurzer Zeit eine maximale Anzahl an Noten (die mitunter an die Billionen-Grenze geht) in Höchstgeschwindigkeit durch den Filter zu jagen. Die maximale Auslotung dessen, das Computer-Programme mit Musik anstellen, übertrifft die limitierten Möglichkeiten jedes natürlichen Lebewesens bei Weitem.
Es scheint, als greife die Londoner Band Black Midi die Intention dieses Genres auf und will dabei trotzdem der Künstlichkeit der Maschinen ihr handgemachtes Talent entgegen stellen. Mit gerade einmal einer Handvoll Songs versetzen die Anfangzwanziger seit Monaten die Musiknerds rund um den Globus in schiere Verzückung.
Dabei ist der Hochgeschwindigkeits-Prog-Rock auf "Schlagenheim" wahrlich keine Musik für einen gemütlichen Abend in der Hängematte, sondern sorgt bereits beim ersten Hördurchgang einfach für komplette Überforderung. Allein "953" hört sich an, als ob sich da genau diese Anzahl an Riffs aneinanderreiht. Was soll das eigentlich sein? Free Jazz, Punk, Scott Walker-Pop und Prog in fünf Minuten und 21 Sekunden.
Das alles ist bei weitem nicht so neu, wie es die Hype-Maschine in England gerne hätte. Fans von Chaoscore-Bands wie The Dillinger Escape Plan wird "Schlagenheim" nicht gerade das Gehirn durcheinanderwirbeln, auch ältere Semester müssen ihre ihre King Crimson-Platten nicht komplett umdenken. Den Unterschied zu den Ur-Großvätern macht das jugendliche Ungestüm.
Die Spielkinder toben sich einfach aus, die Musik verkommt nicht zur selbstverliebten Zurschaustellung der Kunstfertigkeit. "Schlagenheim" ist eine Suche abenteuerlustiger Jungs, die das Ziel selbst noch gar nicht kennen. Die meisten Songs entstanden innerhalb von gerade einmal fünf Tagen im Rahmen von Jams und Improvisationen, selten führen Black Midi eine Idee stringent weiter. Das imponierte sogar Krautrock-Veteran Damo Suzuki von Can, der die Band zu einem gemeinsamen Gig einlud.
Nur ein Primus-artiger Bass hält "bmbmbm" zusammen. Irgendwann scheint sogar Sänger Geordie Greep selbst die Lust zu verlieren und keift den Song am Schluss in Grund und Boden. Wer sich durch unzählige Webseiten, Twitter- und Facebook-Erregung kämpft kennt diesen pochenden Dauerschmerz im Kopf. "Schlagenheim" befindet sich im ständigen Alarm-Modus und liefert damit ein das perfektes Generationen-Porträt der Jugend, aufgerieben zwischen medialen Dauerfeuer und von Reizüberflutung hervorgerufenem Konzentrationsverlust.
Die erschaffenen Monster scheinen die Band selbst zu überfordern, so enden die Tracks, wie in "Years Ago", allesamt in infernalischem Geschrei. Nur "Western", eine Art Genesis-Country-Oper, lässt die Widerborstigkeit ruhen und birgt zärtliches Gitarrenspiel ohne den üblichen Tourette-Anfall. Die Anarchie, mit der Black Midi sonst jeden Song auseinander reißen, bleibt ausnahmsweise aus.
Mehr als alle anderen unterstreicht diese Nummer die musikalischen Fähigkeiten der Band, vor allem die von Drummer Morgan Simpson. So gut und dynamisch klang das im englischen Indie-Rock zuletzt nur bei Matt Tong von Bloc Party. Die sollten sich mit ihren zunehmend mediokren Alben an dem explosiven Krawall aus London ein Beispiel nehmen.
Auch wenn Black Midi nicht die ihnen zugeschriebene Neuerfindung des Rock verkörpern: Eine spannende neue Band ohne Kompromissbereitschaft tut trotzdem jedem Genre gut, egal ob Prog oder Math-Core. Heute Schlagenheim, morgen die Welt.
2 Kommentare mit 2 Antworten
Ein geiles Release! Anspruchsvoll aber nicht zu verkröpft. Könnte in der Jahres-Top 5 landen. Mal schauen!
*verkopft*
Ach, "verkröpft" passt besser zur Band.
Geiles Album. Geile Liveband. Bin gespannt darauf, was die in Zukunft noch abliefern werden.