laut.de-Kritik

Tapetenwechsel bei den blinden Gardinen.

Review von

"Somewhere Far Beyond" markierte den Startschuss zu DEN Blind Guardian, wie sie die Metal-Welt heute schätzt und liebt. Nach der Komplettaufführung des bahnbrechenden Werkes auf Tour folgt nun die Neu-Interpretation in der heutigen Besetzung. Dass nun Frederik Ehmke die Drums gerbt statt Thomen Stauch, mag manchen Puristen verstören.

Dennoch gelingt den Krefeldern ein Original-getreues Album, das den mit Chören angereicherten Stücken neues Leben einhaucht. Hier klingt Metal in seiner ursprünglichen und wegweisenden Form: Durchdacht, textlich eloquent und Gitarren basiert, ohne großen Keyboard- und Orchester-Schnickschnack.

Holla, die Walküre! - was die fliegenden Krefelder mit "Somewhere Far Beyond Revisited" zustande bringen, bleibt an abwechslungsreicher Klangvielfalt bei fantastischer Kompositionskunst in dieser Form unerreicht. Helloween, die Speed Metal-Speerspitze bis dato, befinden sich auf kreativem Schlingerkurs. Blind Guardian nehmen mit dem 1992er Output Kurs auf die Pole Position.

Qualitativ auf "Keeper"-Niveau rangierend drehen die Gardinen den Kürbisköpfen im Vergleich zu deren Zeitzeugen "Chameleon" oder "Pink Bubbles Go Ape" die lange Nase. Das Major Debüt der Krefelder fängt die kraftvolle Thrash-Frühphase ein und garniert den brodelnden Klangkrach mit dezenten Synths und Folk-Elementen. Nicht umsonst befindet sich Guardians "Lady In Black"-Moment auf diesem Album: das kantable, Lagerfeuer-affine "The Bard's Song - In The Forest".

Passend zum 30-jährigen Jubiläum präsentierte die Band das Werk auf dem Rock Hard-Festival und dem Hellfest. Vom letzten umjubelten Auftritt stammt die energetische Live-Fassung, die der Boxset-Version beiliegt. Meistersinger Hansi Kürsch liefert grandios ab und zeigt keinerlei Alterserscheinungen, sondern wirkt wie der Wein, der mit den Jahren immer besser schmeckt - sowohl live als auf Konserve.

Das Schöne an der Neueinspielung ist, dass "Somewhere Far Beyond" alles, was danach kam, angebahnt hat und nun von der Marschrichtung jeder Platte, die im Nachgang entstanden ist, auch beeinflusst worden ist - zumindest was den Erfahrungsschatz bzgl. Produktion und Performance angeht.

"Imaginations From The Other Side" ist ein melodisch aufgeladenes Metal-Meisterwerk. "Nightfall In Middle Earth" spendiert die konzeptuelle Strenge mitsamt den Spoken Word-Sequenzen und Hörspielelementen. Kürsch und Olbrich greifen sogar auf dieselben Sprecher zurück. Die überbordende Stilvielfalt geht auf "A Night At The Opera" zurück. Nicht umsonst trägt diese Platte den gleichen Namen wie Queens Meisterwerk. Deren Song "Spread Your Wings" war als Bonussong auf der Original-Fassung des hier besprochenen Albums vertreten.

Das vergleichsweise straighte "A Twist In The Myth" gemahnt an kompakte Kompositionen, während die Experimente mit klassischen Klangkörpern auf "At The Edge Of Time" und dem unterschätzten "Beyond The Red Mirror" an Kontur gewinnen. Das Orchester-Opus "Legacy Of The Dark Lands" und das straight entschlackte "The God Machine" bilden die Pole des derzeitig Machbaren im Guardian-Kosmos.

Lassen wir den auf eine Vinyl passende, 45-minütigen Rausch in knappen Worten Revue passieren: Das im Midtempo gehaltene "Theater Of Pain" mit seinen Keyboard-Flächen büßt kein Mü an Wucht ein. "Quest For Tanelorn" mit seinem majestätischen Refrain oder die Thrash-Abfahrt "Ashes To Ashes" mit seinem zurückgenommen Refrain.

"The Bard's Song" mit seinen verschachtelten Tempi und Harmonie-Wechseln bei gleichzeitig hoher Melodischer Intensität hat zwar einen langen Bart, ist aber ein kompositorisches Kleinkunstwerk. Das epische Pendant hält im Anschluss mühelos den Gänsehaut Faktor hoch.

Das Dudelsack-Interlude trötet zur letzten Runde mit dem Titeltrack, bei dem der formibablen Formation mitnichten die Puste ausgeht, sondern mit seiner Verzahnung von Text und Musik neue Maßstäbe setzt, die nach wie vor gelten und weit von Festival-Metal entfernt sind.

Trackliste

  1. 1. Time What Is Time (Revisited)
  2. 2. Journey Through The Dark (Revisited)
  3. 3. Black Chamber (Revisited)
  4. 4. Theatre Of Pain (Revisited)
  5. 5. The Quest For Tanelorn (Revisited)
  6. 6. Ashes To Ashes (Revisited)
  7. 7. The Bard's Song – In The Forest (Revisited)
  8. 8. The Bard's Song – The Hobbit (Revisited)
  9. 9. The Piper's Calling (Revisited)
  10. 10. Somewhere Far Beyond (Revisited)

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8 Kommentare mit 16 Antworten

  • Vor einem Monat

    War damals auf der Tour... 20 DM Eintritt im old daddy Oberhausen... 32 Jahre her... Toller Abend...

  • Vor einem Monat

    Das war auch mein erstes Blind Guardian Album. Ich persönlich finde "Imaginations from the other side" besser und würde "Tales from the twilight world" als erstes "ernsthaftes" Blind Guardian Album einordnen.
    Generell erschließt sich mir die Sinnhaftigkeit von Neuaufnahmen nicht. Ich kann nachvollziehen, dass es für einen Künstler interessant sein mag, das Album mit aktuellem Sound aufzunehmen, aber für mich als Fan gab es noch nie eine Neuaufnahme, die ich einem Original vorgezogen hätte. Auch hier habe mich mir jetzt ein paar Lieder angehört und verstehe nicht, was daran besonders attraktiv sein soll. Das meine ich ganz ohne hate, sondern rein subjektiv.
    Vielleicht gibt es hier ja jemanden oder mehrere Fans, die mir erklären können, was sie an diesem Album reizt oder warum sie diese Aufnahme dem Original vorziehen. Würde mich wirklich interessieren.

    • Vor einem Monat

      Joa, dann kaufste et halt nich und jut is.

    • Vor einem Monat

      Ach so, stimmt.

    • Vor einem Monat

      Kann mir höchstens vorstellen, dass da mastering- und mixtechnisch noch dran gefeilt wurde mit modernerer Technik um den Sound etwas zu upgraden. Wobei es ja auch schon ein Remaster des Albums gab.

    • Vor einem Monat

      Das hier soll wohl re-recorded sein. Also eine Neuaufnahme. Wenn das echt der Fall ist: Respekt, wenn man das nach so vielen Jahren genau so hinbekommt.

    • Vor einem Monat

      "aber für mich als Fan gab es noch nie eine Neuaufnahme, die ich einem Original vorgezogen hätte."

      Bonded by Blood würde mir da einfallen.

    • Vor einem Monat

      Ja, aus der Neuaufnahme von "Bonded by Blood" hat man so schön die Luft rausgelassen und es klingt jetzt so allerweltsmäßig-langweilig wie die meisten heutigen Metalproduktionen. Selbiges auch bei der Neuafnahme von "Morbid Visions".

    • Vor einem Monat

      Zur "Somewhere Far Beyond": Hatte ich als Jugendlicher damals ein paar Mal gehört. Bin mit diesem Drachentöter-Fantasy-Metal noch nie so recht warm geworden. Obwohl ich die Musik nicht mag, muss ich zugeben: Das Original war, soweit ich mich erinnern kann, gut produziert, fett und transparent. Der Sinn des Re-Recordings erschließt sich mir nicht.

    • Vor einem Monat

      In der Regel gibt es nur einen einzigen Grund, als Künstler/Band ein bestehendes Album 1:1 neu einzuspielen: Kohle. Man war jung und unterschrieb irgendwas, dito hat man bis heute wenig bis keine Rechte am eigenen Klassiker. Die zurückzukriegen ist schwierig. Also muss man selber nochmal ran. Da hilft aber keine Neuauflage, sondern man muss die Dinger wirklich komplett neu einspielen.

      Künstlerisch funktioniert das in der Regel natürlich nicht. Es kann bisweilen aber tatsächlich auch ganz interessant werden - etwa wenn sich spielerisch und produktionstechnisch superviel geändert und entwickelt hat in den Jahrzehnten dazwischen und man mit dem heutigen Wissen und Können nochmal rangeht an die ganz frühen Rumpelgeschichten und diese im heutigen Sound mit Fingerspitzengefühl neu interpretiert (SODOM, CAVALERA, TRIUMPH OF DEATH).

    • Vor einem Monat

      @Steven Grace:
      "In der Regel gibt es nur einen einzigen Grund, als Künstler/Band ein bestehendes Album 1:1 neu einzuspielen: Kohle."
      Na gut, gegen zusätzliche Umsätze wird sich kaum ein Künstler ernsthaft zur Wehr setzen, aber wenn die Neueinspielung mit dem Gütesiegel "braucht kein Mensch" versehen wird und das Dingens daraufhin wie Blei in den Regalen liegt, sehe ich eigentlich sogar eher die Gefahr, daß man auf diese Weise Kohle verliert. In Zeiten rückläufiger Verkaufszahlen ist die Wahrscheinlichkeit ja ohnehin schon recht hoch.

      "Künstlerisch funktioniert das in der Regel natürlich nicht."
      Das kann man so nicht sagen ... Ich hatte gerade letzte Woche eine folkrockige Neuproduktion zum 30. Jahrestag in der Anlage. Beim Hören kam mir ein Interview mit dem Dirigenten Sir Georg Solti in den Sinn, das Ende der 80er entstanden ist, als er gerade an seiner zweiten Kompletteinspielung von Beethovens neun Sinfonien gearbeitet hat. Natürlich wurde er nach dem Grund gefragt, und vor allem, ob die Einspielungen aus der ersten Hälfte der 70er damit ihre Gültigkeit verlören. Solti hat sinngemäß geantwortet, daß er mittlerweile andere Prioritäten bei der Interpretation setze; seine erste Einspielung sei die eines mittelalten, erfahrenen Dirigenten gewesen, der die Stücke sehr energisch angegangen sei und an einigen Stellen fast schon perfektionistischen Wert auf die Technik gelegt habe; mittlerweile sei er älter und interpretiere einiges sehr viel gefühlsbetonter, schwelgerischer, aber auch dynamischer, er verstünde einiges, das er früher als spannungslose Brücke zwischen zwei Themen interpretiert habe, mittlerweile eher als sinnierendes Innehalten, als Nachschmecken des alten Themas, ehe das nächste einsetzt etc. - Dieses "das Werk neu entdecken" kann nach einigen Jahren schon recht spannend sein. So war's auch bei diesem Folkrock-Album. Gut, so was kann natürlich auch komplett in die Hose gehen. Warum denke ich jetzt an Roger Waters?

      Gruß
      Skywise

  • Vor einem Monat

    @Skywise

    > ... die Gefahr, daß man auf diese Weise Kohle verliert. In Zeiten rückläufiger Verkaufszahlen
    > ist die Wahrscheinlichkeit ja ohnehin schon recht hoch.

    Ich denke, bei solchen Neueinspielungen geht es oft einfach nur darum, seine Rechte zurückzukriegen. Wenn dann Gema kommt, klingelt es endlich auch mal im eigenen Geldbeutel - Konzerte/Live-Ausschüttung, durch Einsätze in Radio und TV oder wenn wer anderes die eigenen Lieder spielt (Cover/Tribute). Dazu dann das Geld, das über die ganzen Streamingdienste verdient ist ... und da ist viel Geld verdient! Dass man das Ding dann auch noch als LP/CD für die verbliebenen Fans/Käufer rausbringt, ist netter Beifang.

    >> "Künstlerisch funktioniert das in der Regel natürlich nicht."
    > Das kann man so nicht sagen ...
    Deshalb schrub ich ja auch "in der Regel" ... und nannnte ein paar Beispiele, wo das meiner Meinung nach zuletzt ganz gut geglückt ist.

    Ey, keine Ahnung. Das ist nur das, was mir Menschen aus der Branche rückmelden, wenn ich mir verwundert die Äuglein reibe, warum KISS ihrem "Sonic Boom"-Album eine limitierte CD mit Neueinspielungen der großen Klassiker im aktuellen Line-Up beilegen, die nahezu identisch klingen wie die Originale und die in meiner Welt kein Mensch braucht.

    https://de.wikipedia.org/wiki/Sonic_Boom_(…)

    Klassik ist freilich nochmal ein ganz anderes Thema, da geht es ja u. a. um die beständige Neuinterpretation. Unterm Strich ist das bei unseren klassischen Freunden freilich auch alles nur Coverrock, haha! Aber sagt es ihnen bitte nicht.