laut.de-Kritik

Stümperhafte Schunkelfetzen zerdeppern den Ikonenstatus.

Review von

Ist das tatsächlich die neue Blondie, die da gerade läuft? Die Frage stellt sich spätestens beim vierten Song unumgänglich. Denn "The End The End" ist Schlager billigster Sorte, ein auf schlechten Reggae gezüchtetes Schunkelstück, zu dem Andy Borg gut und gerne zotige Plattitüden über Liebe im Sonnenuntergang blöken könnte.

Das übernimmt hier allerdings Debbie Harry für ihn: "So hold my hand, and help me stand, so we can watch the end." Während der Eröffnungsdreier noch wohlwollend als treibender Synth-Pop-Rock durchgeht, ersäuft der Rest des neuen Werks in der eigenen Geistlosigkeit.

Die ewig Platinblonde und ihre Truppe sind sich auf ihrem neunten Studioalbum offenbar für wenig zu schade. Nichts als eine einzige Unverschämtheit zum Beispiel "Sunday Smile": Das wunderbar schmerzvolle Original von Beirut verhunzen Blondie zu einer lieblos hingeworfenen Kopie, die sich selbst der Lächerlichkeit preisgibt. Der grausame Abklatsch, schwerlich als Cover zu bezeichnen, schlingert im öden Offbeat vor sich hin, den sogar Culcha Candela höhnisch belächeln würden. Der Tiefpunkt des Albums scheint erreicht.

Offenbar doch noch nicht: "Wipe Off My Sweat" bedient eine Rhythmusfigur, die Strandfeeling und Leichtigkeit evozieren soll, dabei aber bloß einem stereotypen Latino-Schema folgt. Ein enervierender Bastard aus spanischen und englischen Vocals stößt die Nummer in den Abgrund der Unerträglichkeit. Wie Blondie den Beirut-Kopf Zach Condon dazu bringen konnten, für diesen Plunder seine Trompete zu blasen, wird auf ewig ein Rätsel der undurchschaubaren Mechanismen der Musikindustrie bleiben.

Am vermeintlichen Südsee-Sound arbeitet sich die Truppe ab: Auch "Girlie Girlie" verliert sich in aufgesetzten Jamaica-Gebärden. Die Fremdscham-Grenze ist endgültig erreicht, wenn Harry sich unbeholfen in Patois versucht.

Am wenigsten störend bleiben Synthie und Gitarre auf "Mother" und "Love Doesn't Frighten Me", letzteres immerhin eine akzeptable Blaupause vergangener Hochzeiten, das auf dem ansonsten beschämend platten Album fast schon deplatziert wirkt. Trotzdem haben solche Songs nichts mit der schwülen Latent-Erotik von "Rapture" oder mit dem 60s-infizierten Lolli-Pop "Sunday Girl" zu tun.

Die Sprunghaftigkeit, den Wechsel zwischen eher Rock und Wave verpflichteten Songs und stümperhaften Schunkelfetzen, als abwechslungsreich zu klassifizieren, wäre purer Euphemismus, der den Promoagenturen überlassen bleibt. Vielmehr attestiert sie der Band eine Hilflosigkeit, die in der wahllosen Aneinanderreihung verschiedenster Stilrichtungen mündet und reines Zeugnis einer kreativen Talsohle darstellt.

Selbst radiotauglich sind die Nummern kaum. Dafür geraten Beats und Synthie über weite Strecken zu aufdringlich und überspannt. Simple Songstrukturen und naiv-kindliches Songwriting sind einem Mainstream-Erfolg zwar generell nicht abträglich. Doch die uninspirierten Riffs und Melodien auf "Panic Of Girls" dürften dem kaufkräftigen Publikum der 14- bis 29-Jährigen zu lahm, zu wenig schillernd ausfallen, während alte Fans die Platte ob ihrer Belanglosigkeit schmähen werden.

Wie fühlt es sich an, den Ikonenstatus nach Jahrzehnten soliden popkulturellen Schaffens selbst zu zerdeppern? Was passabel seinen Anfang nimmt, ist nach weniger als der Hälfte der Platte in Banalität und Peinlichkeit abgedriftet. Ist der Ärger über dieses auf Silber gepresste Tief einer einst talentierten, einfallsreichen Band erst verdaut, bleibt nichts anderes übrig, als Zeiten zu frönen, in denen Blondie noch kein müdes Abziehbild ihrer selbst waren. Lieber mit Schulterpolstern und toupierten Haaren unter der Discokugel zu "Heart Of Glass" die bestulpten Schenkel wippen, als einmal mehr dieses Album durchzuhören.

Trackliste

  1. 1. D-Day
  2. 2. What I Heard
  3. 3. Mother
  4. 4. The End The End
  5. 5. Girlie Girlie
  6. 6. Love Doesn't Frighten Me
  7. 7. Words In My Mouth
  8. 8. Sunday Smile
  9. 9. Wipe Off My Sweat
  10. 10. Le Bleu
  11. 11. China Shoes

Videos

Video Video wird geladen ...

Weiterlesen

LAUT.DE-PORTRÄT Blondie

Ist das Punk, New Wave oder was jetzt? Das war die Frage, als Blondie Ende 1976 mit ihrem gleichnamigen Debütalbum die Manege betreten. Ausgesprochen …

13 Kommentare

  • Vor 12 Jahren

    Blondie sind leider schon lange durch ...
    Ich verstehe nicht, warum sich solche Bands immer wieder ihren eigenen guten Ruf zerstören.
    Die können doch nicht schon alles Geld ausgegeben haben?

  • Vor 12 Jahren

    Wirklich grauenhaft. Die Rezension geht vollkommen in Ordnung. Schade, habe vor ein paar Wochen erst ersten alten Alben wiederentdeckt. Bis heute sind da einige wirklich großartige Nummern dabei. Umso katastrophaler, daß die Harry jetzt nicht mal Radio-Niveau erreicht...

  • Vor 12 Jahren

    Leider ein Totalausfall. Die ersten zwei Songs sind ja noch ganz in Ordnung. Aber danach folgt dann wirklich nur noch belangloser Einheitsbrei. Und "Wipe off my sweat" ist ja mal ein schlimmer Mallorca-"Sommerhit", den man so eher von den DSDS-Konsorten als von einer Debbie Harry erwarten würde. 1/1 Sterne sind leider vollkommen berechtigt.

  • Vor 8 Jahren

    Es ist doch schön, dass es Blondie immer noch gibt. Ich weiss gar nicht, was ihr da alle habt

    Blondie haben das erreicht, was viele von uns nie erreichen werden. Sie sind alle Plattenmillionäre allen voran Debbie Harry. Sie haben zig Millionen Tonträger verkauft

    und ich finde es eine Unverschämtheit, wenn einige schreiben, die Band hätte ihren Zenit längst erreicht

    das mag zwar stimmen. Doch die Band ist immer für Überraschungen gut gewesen

    Ich kann es selber bestätigen. 1999 war ich noch ein Teenager, als MARIA rauskam. Dieser Gassenhauer wird immer noch von Radiosendern gespielt und wenn schon damals 1999 die Leute gesagt hätten, was wollen die alten und sie hätten das Comeback nicht gewagt., dann würde ich die Band gar nicht kennen

    Und ganz nebenbei. NO EXIT das Album, das 1999 erschien verkaufte sich weltweit 5 Millionen Mal. Die Single MARIA allein in Deutschland eine Halbe Millionen Mal.

    und die Alben danach verkauften sich zwar schlecht, aber durch TOURING kommt viel Geld zusammen