8. März 2019

"Berlin gibt mir ein sicheres Gefühl"

Interview geführt von

Viel gesehen, viel erlebt: Bob Moulds neues Album "Sunshine Rock" zelebriert axtschwingenden Alternative-Rock, mal wieder. Wir sprachen mit der Rock-Legende über den Zustand von Rockmusik, seine Freundschaft zu Dave Grohl und seinen Rammstein-Remix.

Bob Mould lebt ganz gut als unbekannteste Alternative-Rock-Legende. Seit 2016 sogar durchgehend in Berlin. Urvater des Grunge oder Post-Punk-Titan, das sind Attribute, die andere für ihn ausgewählt haben, Dave Grohl zum Beispiel. Der Mann, der in den 80er Jahren seine sechs Saiten bei Hüsker Dü erklingen ließ, veröffentlicht sein Jahren hochwertige Soloalben. Wir sprachen mit Bob Mould über sein neues Album "Sunshine Rock". Heute startet seine Deutschland-Tournee im Hamburger Grünspan, morgen spielt er im Berliner Columbia Theater und am Montag im Düsseldorfer Zakk.

Du hast die meiste Zeit der letzten drei Jahre in Berlin verbracht und wohnst jetzt auch dort. How deutsch is "Sunshine Rock"?

Oh, sehr deutsch. Wobei nicht nur Deutschland, sondern die ganze Welt seit geraumer Zeit düsteren Themen ausgesetzt ist. Meine letzten beiden Alben handelten vom Tod meiner Eltern und so wollte ich dieses Album optimistischer angehen. "Sunshine Rock" war der vierte Song, den ich für die Platte komponiert hatte und schnell wurde mir klar, dass das die Richtung für das Album werden sollte, der Titel, das ganze Konzept. Ich habe mich förmlich gezwungen, die Dinge optimistischer zu sehen und anstatt gleich morgens die Nachrichten im Fernsehen anzumachen, lieber die Gitarre in die Hand zu nehmen.

Mit dem Titel "Sunshine Rock" assoziierte ich eher eine alte Classic-Rock-Compilation".

Und das ist auch drin. Nein, Titel und Cover-Artwork sollten gut harmonieren, deshalb habe ich mich an den orange-gelben Capitol-Records-Labels der 60er Jahre orientiert. Ich bin ein Kind des Singles-Zeitalters. Ich sah sie damals in den Jukeboxen und sie wurden zu meinem Spielzeug.

Du hast deine Zeit in Berlin als lebensentscheidende Erfahrung bezeichnet. Was meinst du damit?

Als jemand, der der deutschen Sprache nur in Maßen mächtig ist, wenn überhaupt, und der nur kleinere Fetzen lesen und verstehen kann, merkte ich, wie sich hier allmählich auch meine gewohnte Art zu denken veränderte. Ich begann mehr zu beobachten und ohne näheren Kontakt zu meiner Umwelt durch den Alltag zu gleiten. Wenn ich in San Francisco unterwegs bin, verstehe ich natürlich alles, was gesprochen wird. Außerdem gibt mir die Stadt Berlin ein sicheres Gefühl. In Amerika ist das aufgrund der Waffenkultur nicht gegeben. Wenn du hier ein Problem hast, dann wird darüber erst einmal diskutiert und nicht gleich geschossen (lacht). Natürlich kann man das nicht auf ganz Amerika beziehen, aber ich denke du verstehst, worauf ich hinaus will. Ich bin hier relaxter geworden.

Terror ist heute aber überall. Vor zwei Jahren war ja der Anschlag in Berlin auf den Weihnachtsmarkt.

Ja, und ich wohne gerade rund sieben Blocks entfernt vom Breitscheidplatz. Ich war damals zuhause, als ich plötzlich die Sirenen und alles hörte. Furchtbar.

Welches deiner alten Alben ähnelt "Sunshine Rock" deiner Ansicht nach am ehesten?

Es hat sicher Elemente von Sugars "Copper Blue", vielleicht auch Hüsker Düs "Flip Your Wig" und auf meinem ersten Soloalbum "Workbook" verwendete ich ja ein Cello, da gibt es sicher auch eine Verbindung, da ich nun ein Orchester dabei habe. Hardcore-Punk ist heute halt nicht mehr dabei. Songwriting beinhaltet ja viele verschiedenen Ebenen: Die Strukturen eines Songs, die Melodien, die Worte, die Art, wie und aus welcher Perspektive man eine Geschichte erzählt. Jede neue Platte ist also die Suche nach einem Weg, glücklich zu werden, weil manche Teile davon funktionieren. Diese Teile der Songwriting-DNA nimmt man dann mit zur nächsten Platte.

"Mein Lieblingsalbum der letzten Zeit ist Interpols 'Marauder'"

Du hast das Shocking Blue-Cover "Send Me A Postcard" auf deiner Platte. Eine Band, die vor allem durch Coverversionen von Nirvana ("Love Buzz") und Bananarama ("Venus") bekannt ist.

Ich liebe den Song schon sehr lange. Er läuft auch oft in dem 30-Minuten-Mix vor meinen Konzerten, bevor wir auf die Bühne gehen. Einige Zuschauer kennen ihn also - wenn auch unterbewusst. Die Aufnahmen zur Platte fanden in Oakland, Kalifornien statt, wir hatten sieben Tage für 15 Songs und waren schon früher fertig. Also coverten wir noch ein paar Songs. "Send Me A Postcard" ging uns sehr gut von der Hand und letztlich haben wir sogar den ersten Take meines Gesangs genommen. Meine Bandkollegen und der Tontechniker meinten sofort danach, dass das auf die Platte müsse. Wir haben dann einen weggelassen, der nicht ganz so positiv geklungen hat.

Wie viele Songs hast du nicht verwendet?

Es gab zwei politische Punksongs für die Nummern zehn und elf der Album-Tracklist. Aber sie hätten die Platte dunkler gemacht. "Camp Sunshine" habe ich am Tag des Album-Mixings aufgenommen und es hat einfach sehr gut gepasst.

Ich mag den melancholischen, von Keyboard und Streichern getragenen Song "The Final Years". Darin kommt die Zeile vor: "What do we cherish in the final years". Hat das einen persönlichen Bezug?

Eigentlich nicht, das ist eher Ausdruck von Reflexionen über das Leben im Allgemeinen. Die Zeit schreitet voran, das gilt für jeden von uns. Was haben wir gemacht, was werden wir tun, was ist wichtig? Ich persönlich hoffe, dass ich mich selbst mit jedem weiteren Lebensjahr besser verstehe und aus meinen Fehlern lerne. Darum geht es in dem Song.

Die neue Platte feiert Gitarrenmusik mit großen Refrains. Du hast mal gesagt, dass es heutzutage keine großen Gitarrenalben mehr gibt. Welche Veröffentlichungen erhalten deinen Segen?

Die neue Platte von Swervedriver ist klasse, mit den Jungs bin ich befreundet, daher hatte ich sie schon lange. Mein Lieblingsalbum der letzten Zeit ist aber die neue Interpol-Platte "Marauder". Ich finde, sie haben den Spirit ihrer ersten Alben perfekt eingefangen. Best Coast aus Kalifornien haben vor ein paar Jahren das Album "California Nights" veröffentlicht, das für mich wirklich ein besonderes Pop-Album geworden ist.

"Ich habe Pete Shelley die Texte entgegen gebrüllt"

Du hast den Foo Fighters-Song "Dear Rosemary" 2011 eingesungen und bist ein enger Freund von Dave Grohl. Wie oft seht ihr euch?

Ach, das letzte Mal war sicher vor einem Jahr, als sie uns eingeladen haben, ein paar Shows mit ihnen in den USA zu spielen. Es ist immer toll, mit ihm und Pat abzuhängen. Dave und ich sind jetzt seit ungefähr 15 Jahren befreundet und meinen Bassisten Jason kennt er sogar noch aus Teenagertagen.

Tatsächlich?

Tja, so läuft das im Rockgeschäft. Jeder kennt jeden. Ich freue mich immer, die Band zu treffen, ihr neues Album ist gut und ihre Konzerte dauern mitunter dreieinhalb Stunden .... ich habe wirklich keinen Schimmer, wie sie das machen.

Von Dave gibt es das Zitat, er habe dich 20 Jahre lang kopiert. Hörst du dein eigenes Songwriting, wenn du eine Foo Fighters-Platte auflegst?

Ja, manchmal (lacht). Mal hier mal da. Aber das sind super Typen und ich höre ganz viele tolle Einflüsse in ihrer Musik, 70s Rock zum Beispiel. Dave ist in den 80ern in Hardcore-Bands groß geworden, als ich bei Hüsker Dü war. Später liefen Nirvana und Sugar parallel. Es ist ein großes Mosaik, jeder von uns lässt sich ein wenig vom anderen beeinflussen.

Wäre es nicht auch schön gewesen, Dave mal auf deiner Platte zu haben?

Vielleicht passt es ja mal zeitlich, denn ich glaube, dass er zum Zeitpunkt unserer Aufnahmen auf Tournee war. Es würde mich natürlich freuen, also schauen wir mal.

Welcher neue Song ist dir am Wichtigsten?

Das ändert sich leider täglich. Meistens kristallisieren sich deine Lieblingssongs erst auf Tour heraus. Wobei sich manche Albumtracks auch nicht für die Konzert-Setlist eignen. "The Final Years" wäre jetzt so ein spannendes Beispiel. Denn natürlich werden wir live weder Keyboards noch Streicher dabei haben. Aber wir spielen ihn trotzdem und dann wird sich zeigen, ob er funktioniert oder nicht.

Du hast einen "Mann Gegen Mann"-Remix für Rammstein gemacht. Wie kam es dazu?

Ja, ihr amerikanisches Label fragte mich, ob ich mir das vorstellen könnte. Die Bandmitglieder seien große Fans und ich könne machen, was ich wolle. Das klang gut. Dann schickten sie mir ein paar Songfragmente und ich spielte damit herum. Mir hats gefallen.

Und der Band?

Weiß ich nicht, sie haben auf jeden Fall nichts verändert. Auch wenn ich jetzt nicht sagen könnte, wo genau sie es veröffentlicht haben.

Du hast sie also nie getroffen?

Nein, aber jetzt gehen sie ja auf große Tournee und wie ich höre sind ihre Liveshows spektakulär. Das muss ich mir also ansehen. Vielleicht treffe ich sie dann ja auch.

Auf deinen Platten steht nur dein Name drauf, aber du bist ja eigentlich seit Jahren mit John und Jason zusammen ein Trio. Wie fühlst du dich als Solokünstler in einem festen Bandgefüge?

Stimmt, wir sind seit gut zehn Jahren zusammen und haben nun vier Alben gemeinsam eingespielt. Einerseits schreibe ich die Songs, bin der Sänger und der Mann vorne auf der Bühne, aber es ist trotzdem ein Band-Feeling. Die Meinungen der anderen zu meinen Songs sind mir sehr wichtig. Dafür dass alle drei Bandmitglieder in drei verschiedenen Städten leben, ist das Band-Feeling fast schon exorbitant gut.

Das war mit Hüsker Dü und Sugar etwas ganz anderes, denn damals waren wir ständig auf Tournee und verbrachten so gut wie jeden Tag zusammen, ein verschworener Haufen weit weg von zuhause. Das ist eine sehr gute Bandidee - so lange du jung bist. Wenn man älter wird, übernimmt man mehr Verantwortung, manche haben eine Familie, so dass ich zumindest für mich sagen kann: In einem Tourbus zu leben ist nicht mehr meine Idealvorstellung einer Band. Also praktisch alles, was eigentlich großartig an der Idee einer Band ist. (lacht)

Ich habe sie zwar noch nicht gelesen, aber 2011 hast du deine Autobiografie "See A Little Light: The Trail Of Rage And Melody" veröffentlicht. Gab es darauf auch Reaktionen aus deinem direkten Musikerumfeld oder von dir zugeneigten Musikern?

Es hat die meisten überrascht, wie offen es geschrieben ist, gerade was mein Privatleben angeht. Dass die Leute auf Tournee-Geschichten stehen, war für mich naheliegend. Es war mir aber auch wichtig, die Bedeutung einiger Songs noch mal aufzuarbeiten. Als ich das Buch schrieb kam vom Verlag sogar die Aufforderung, dass ich alle meine Songs erklären solle. Das geht natürlich nicht, denn sonst gäbe es ja keine Geheimnisse mehr. Vielleicht habe ich manches in dieser Hinsicht auch angestoßen. Ich bin jedenfalls schon sehr gespannt auf Jeff Tweedys Buch, das gerade erschienen ist. Er ist ein guter Freund. Und Colin Meloy von den Decemberists ist ja auch ein fleißiger Schreiber.

Haben dich deine alten Hüsker Dü-Kollegen Grant und Greg auch auf das Buch angesprochen?

Ja, wir waren über die Jahre immer mal wieder in Kontakt.

Teilten sie deine Erinnerungen?

Ähh, manche. Sie haben natürlich ihre eigenen Erinnerungen.

Pete Shelley von einer deiner Lieblingsbands Buzzcocks ist im Dezember gestorben. Hast du ihn je getroffen?

Nein, wobei ich mal direkt vor ihm stand. Das war beim ersten Buzzcocks-Konzert in Minneapolis im Jahr 1980. Ich stand in der ersten Reihe und habe ihm die Texte entgegen gebrüllt, als er vor mir stand. Während des vierten Songs beugte er sich mit dem Mikro dann zu mir runter und brüllte mir die Akkorde des Songs zu. Sehr lustig. Pete war ein riesiger Einfluss auf mein Songwriting. Ich habe die Buzzcocks am Anfang ihrer Karriere live gesehen und in den letzten zehn Jahren noch zwei Mal. Sie waren jedes Mal großartig. Alle Singles und ihre drei Alben bedeuten mir sehr viel.

Ist es dir wichtig, Lieblingsbands deiner Jugend über die Jahre weiter zu verfolgen?

Ja, ich habe mir die späteren Buzzcocks-Alben immer angehört. Ich finde es interessant zu sehen, ob sich Bands stilistisch verändern. Wire sind da ein gutes Beispiel. Ihre ersten Alben waren stilprägend, dann gab es die erste Auflösung und danach gingen sie in eine experimentelle Phase über. Ich finde es wichtig, solche Veränderungen zu begleiten. So bleibt man in Kontakt.

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