laut.de-Kritik
Norddeutscher Folkpop? Ja, warum auch nicht?
Review von Kai ButterweckDas Wichtigste vorweg: Bosses neues Album "Engtanz" ist kein musikalischer Kniefall vor der Zeit, in der Siebtklässler in Wit Boy-Hosen engumschlungen zu "Careless Whisper" auf Tuchfühlung gingen. Mit den Achtzigern hat das mittlerweile sechste Album des Braunschweigers nichts am Hut. Und zur Ruhe kommt es auch nur ganz selten. Axel "Aki" Bosse tanzt anno 2016 vielmehr mit sich selbst, mit seinem inneren Schweinehund, seinen Ängsten und Hoffnungen und Erinnerungen.
"Ich fühle mich erstmals nicht mehr wie ein 22-Jähriger", gab der 35-Jährige vor kurzem zu Protokoll. Stattdessen lebe und liebe er nun das Erwachsenenleben. Musikalisch bedeutet das: Türen auf! Was passt, wird Willkommen geheißen. Und es passt so einiges auf "Engtanz": Da wären beispielsweise jede Menge Streicher, Bläser und Chöre, die bereits den Beginn des Albums in ein ungewohnt opulentes Gewand stecken. Beschwingte Rhythmen und unzählige Dur-Passagen lassen Songs wie "Außerhalb Der Zeit", "Dein Hurra" und die erste Single "Steine" in einem hellen Licht erstrahlen.
Auch die anschließende "Nachttischlampe" flackert wie wild. Ein schneller Beat, viel Tamtam im Hintergrund und eingängige Gesangslinien: Norddeutscher Folkpop? Ja! Warum auch nicht? Kurz vor dem Halbzeit-Tee setzt Bosse dem bunten Treiben die Krone auf. Gemeinsam mit Casper verbarrikadiert sich der Sänger in einer engen Sprechgesangskabine. Zu viel des Guten? Vielleicht ein bisschen over the top, aber mutig.
Mit "Mordor" schießt Bosse dann aber doch übers Ziel hinaus. Frickelige Gitarren reiben sich an polternden Beats. Es wird immer unruhiger. Phasenweise klingt es, als hätte man der Hintermannschaft von Florence Welch pures Adrenalin in die Getränke gemischt. "Immer So Lieben" scheitert ebenso. Die Becken scheppern, die Gitarren werden lauter: mit rockiger Attitüde geht es weiter bergab.
Für kurze Zeit blitzt es in "Wir Nehmen Uns Mit" und "Blicke" noch einmal auf: das unbekümmerte, aber dennoch geradlinige Klangbild der ersten Albumhälfte. Aber der große Schwung ist raus. Auf einer einsamen "Insel" dürfen alle Beteiligten noch einmal kräftig Gas geben, ehe der mit süffigen Streichern und zarten Pianoklängen untermalte Abschied namens "Ahoi Ade" den Deckel drauf macht. Schade, da wäre mehr drin gewesen.
4 Kommentare mit einer Antwort
War mal ganz angenehm zu gucken, als er in kleinen Clubs noch selbst die Gitarre in die Hand nahm. Jetzt eine zum Gähnen animierende Pop-Inszenierung.
Stimme ich dir komplett zu. Vielleicht war er auch schon immer so belanglos, ich weiß es nicht. Aber es regt nur noch zum gähnen an.
Endlich mal wieder ein Deutsch-Pop Album das nicht in Schlagerschwulstigkeit untergeht. Frech,flott, laut und lebenslustig. Das tut recht gut, verkommt man sonst immer nur im Joris-, Bourani-, Namika und Sarah Connor-Gejammer. Auch die Texte sind einfallsreicher, geht es doch nicht immer nur um "Lieblingsmenschen" und "Ich lieb dich noch, ich lieb dich nicht mehr". Also ab aufs Ohr und Spass haben. Engtanz ist wirklich gelungen!
Besser als erwartet und klar ein bisschen Pathos schwingt immer mit, das liegt auch etwas an der deutschen Sprache die selten Klischeefrei und wenig schwülstig klingt.
Jedoch passen Melodien und Arrangement, auch wenn ich mir, wenn ich z.B. Istanbul akustisch höre, schon wünschen würde, wenn er seinen Sound komplett reduzieren würde.
Auch Wartesaal ist z.B. akustisch um längen besser.
Leider gnadenlos in den Loudness-Wahnsinn gemastert ... ;-(