laut.de-Kritik

Realitäten aus einem Arschloch-Leben.

Review von

Nachdem seine EP "Fuck The World" 2020 zum Überraschungs-Erfolg avancierte, entwickelte sich Brent Faiyaz vom Geheimtipp zum R'n'B-Superstar-Anwärter. Er hat die alternative Sound-Kreativität von einem The Weeknd, reicht aber in toxischer Fuckboy-Smoothness fast bis an die musikalischen Qualitäten eines Chris Brown heran. Auf "Wasteland" fährt er nun große Geschütze auf. Von überkandideltem Storytelling über eine Riege an Top-Produzenten und Features bis hin zu einer klaren kohärenten musikalischen Linie geht er den ganzen Weg. Wer damit klarkommt, dass der R'n'B sehr unterschwellig daherkommt, hat hier ein potentielles neues Lieblingsalbum vor sich.

Es gibt diesen Moment auf Track 13, "Dead Man Walking", da spielt das Album schon fast vierzig Minuten, und es setzt ein Drumset ein, das basslastig die Synths und Zupfinstrumente auf sich vereint. Es ist der Moment, an dem man sich vielleicht das erste Mal fragt: Warte - wo waren die Drums bisher auf diesem ganzen Album? Also gut, da waren schon Drums, aber diese richtig groovenden, prominenten Drums blieben die ganzen vierzig Minuten in der Kiste. Und man hat sie auch überraschend wenig vermisst. Eine der großen Stärken auf "Wasteland" stellt nämlich definitiv das reduzierte, auf Atmosphäre gedrillte Songwriting dar.

Schon einsteigend mit dem Quasi-Skit "Villain's Theme" lenkt Brent gekonnt den Fokus auf seinen thematischen Schwerpunkt: Die Realität eines Arschloch-Lebens. "Temporary euphoria" über allem, toxisch sein, das ist mehr als ein Twitter-Wort, fachsimpelt er, mit einer etwas verurteilenden Jorja Smith im Hintergrund, während dieser großartig klingende Beat sich langsam zu einem Drop hochschaukelt, der nicht kommen wird. "Loose Change" fängt wieder am Fuß eines Berges an. No ID und Raphael Saadiq bauen hier einen organischen Loop, der sich aufschraubt und aufschraubt und nur bedingt aufgelöst wird. Brent ist ein Musiker, der Spannung und Atmosphäre über alles zu setzen scheint. Auch auf "Price Of Fame" findet sich wieder so ein Arrangement, das sich lieber hochschaukelt und ganz umwirft als eine Auflösung zu bieten.

Das klingt jetzt erstmal nervig, lässt man sich aber darauf ein, entstehen ein paar beeindruckende Momente. "Ghetto Gatsby" klingt so spannungsreich, diese Horny-Jam baut über diese alternative, spukende Klangkulisse Vibes auf, als hätten Portishead ein Bond-Theme als R'n'B-Song produziert. Dann übernimmt am Ende auch noch Alicia Keys. Die beiden großen Features des Albums reißen zu kleinen Kopfnickern hin, "Gravity" mit Tyler The Creator rekrutiert DJ Dahi für stimmungsvollen Neo-Soul. Auf "Waste Your Time" fängt er mit Drake auf einer Neptunes-Produktion 2000er-Nostalgie ein. Wenn ihn knapp vor dem letzten Drittel die Top-Tier-Produzenten ausgehen, zeigen sich Längen, aber gleichzeitig arbeitet er doch so stringent ins Konzept, dass man es ihm nicht übel nehmen kann.

"I guess I'm everything and nothing at the same time" resümiert er seine Existenzängste um seinen aufgeblasenen Status auf "Rolling Stone". Das ganze Album meditiert sehr gekonnt zwischen den Höhen und Tiefen des Drogen-getriebenen Rockstar-Lebens, es nimmt ein paar Klischees mit, aber knallt dann doch wieder sehr hart auf den Boden der Tatsachen. Nirgends wird das klarer als in den etwas melodramatischen, aber einschneidenden Interludes, die ihn ziemlich ungeschönt als einen Partner zeigen, der seine schwangere Freundin fast in den Suizid treibt. Das mag ein bisschen over-the-top geschauspielert sein, aber zeigt, dass der Mann absolut bereit ist, die Konsequenzen seines eigenen Eskapismus nicht unter den Tisch fallen zu lassen. "Temporary euphoria", lallte er schon wiederholt im Intro, hier schnappen sie in die Wirklichkeit zurück.

Während seine Welt also im Laufe des Konzepts auseinanderfällt, finden sich gegen Ende der Tracklist dann aber doch noch einmal ein paar energiereichere Nummern. "Dead Man Walking", "Role Model" oder "Bad Luck" sind klassischere Kopfnicker mit regulärer aufgebauten Drumbeats. Man vermisst zwar ein wenig die subtilen Sound-Designs der ersten zwei Drittel, aber irgendwann ist man eben auch bereit, nur noch so viel Slowburn mitzumachen. Dass die poppigeren Treffer so ans Ende getackert sind, macht auch strategisch Sinn, denn so wird das Wiederhören ein bisschen ergiebiger. Immerhin weiß man, dass die Energie sich langsam steigert statt stetig zu entweichen.

Und trotzdem beendet man das Hören von "Wasteland" mit dem Gefühl, gerade ein wahrlich cineastische Erfahrung durchgemacht zu haben. Mehr als viele andere R'n'B-Alben führt Brent hier ungeschönt und wenig geschützt durch die Untiefen seiner Psyche, offenbart Coping-Probleme und unsympathische Egotrips mit dokumentarischer Feinfühligkeit. Und diese Offenheit, im eigenen Werk schlecht wegzukommen, rechtfertigt dann auch diese immense Slowburn-Arbeit, diese spannungsreichen Arrangements, die manchmal etwas versanden. "Wasteland" hat so viel intensive Atmosphäre zu bieten, so viel Abgrund, den es sich zu erkennen lohnt, dass die dazwischen verstreuten poppigen Häppchen von der Single zum Nebenschauplatz verkommen.

Trackliste

  1. 1. Villain's Theme
  2. 2. Loose Change
  3. 3. Gravity (feat. Tyler The Creator)
  4. 4. Heal Your Heart (Interlude)
  5. 5. Skit: Egomaniac
  6. 6. All Mine
  7. 7. Price Of Fame
  8. 8. Ghetto Gatsby (feat. Alicia Keys)
  9. 9. Wasting Time (feat. Drake & The Neptunes)
  10. 10. Rolling Stone
  11. 11. FYTB (feat. Joony)
  12. 12. Skit: Oblivion
  13. 13. Dead Man Walking
  14. 14. Addictions (feat. Tre' Amani)
  15. 15. Role Model
  16. 16. Jackie Brown
  17. 17. Bad Luck
  18. 18. Skit: Wake Up Call
  19. 19. Angel

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