laut.de-Kritik

Vom Entertainer zum Häftling und zurück.

Review von

Die Lobeshymnen anglophoner Medien auf Buju Bantons Comeback-Album verdanken sich wohl vor allem der symbolischen Tragweite seiner Erscheinung. Buju trieb immer wieder die Emotionen hoch, polarisierte. Die meisten lobpreisenden Tiraden kommen nicht über den Punkt hinaus, dass das Album emotional sei (hoffentlich ist Musik das immer), dass der Dancehaller mit genrefremden Acts kollaboriere (macht ja fast jeder heute) und dass auf "Upside Down" 'modern' und 'traditionell' vereint seien.

Für eine erste Platte nach fast zehn Jahren und für einen Release unter der Regie von Jay-Zs Roc Nation-Label zeigt sich "Upside Down" eher blass als bunt. Trotz Subgenre-Vielfalt beruht das Prinzip entlang der ganzen Tracklist auf dem immer gleichen Trick 17: Bujus markante, kehlige Stimme mit edlem Background-Choral auf sehr repetitiven Beats zu kreuzen, zweitens eine Kombi aus Soundtechnik von heute und Inselseligkeit von anno dazumal zu kreieren und außerdem so zu tun, als triefe Roots Reggae vor derselben Hipness wie die aktuellen Afrobeats-Hip Hop-Dancehall-Fusions aus Nigeria.

Das Unscharfe zwischen den Genres zeichnet Buju aus. Das gilt selbst nach der langen Pause, und extremer als früher. Er markiert den Rootsman im Dancehall-Dress, verkörpert den röhrenden Spitter im Lovers Rock-Groove, trägt flirrende Beats in ein Lyrik-Umfeld voller Botschaften, dieses Mal über Zusammenhalt. Mit seinem Genre-Brückenprinzip rettete er zuletzt sogar DJ Khaled vor dem Erreichen der 100 Prozent-Peinlichkeitsmarke (die Khaled-Tunes fehlen hier übrigens). Das "Upside Down"-Album kratzt betont sanft, wohl den heutigen Synthie-Pop-Mustern in Dance(hall), Trap, Rap & Co. geschuldet. Buju bewegt sich also kaum noch im Milieu heftig bouncender Außer-Atem-Korsette, sondern auf gravierend weichgespülten Riddims, die niemals wehtun oder fordern.

Die Songs der Gäste John Legend und Pharrell Williams vergisst man im eiernden Mischmasch rasch. Was bei Pharrell wohl daran liegt, dass der Funk-Producer auch dieses Mal wieder an der Sounddesign-Oberfläche kleben bleibt. "Afford you a new Bentley" lautet die Key Message über ein materialistisch orientiertes Mädchen, das 'Wine'-Bewegungen mit ihrem Po machen soll. Gähn! Pausenlose Choral-Background Vocals zwingen den Track in geschmeidigen Smooth Soul.

"Yes Mi Friend (feat. Stephen Marley)" stampft mit monotoner Digital-Instrumentierung und solidem Vibe über "Duppy Conqueror", einen Klassiker von Bob Marley und Lee Perry. Die neu Version versprüht eine gewisse Magie, aber ohne dem alten Song etwas hinzuzufügen, eher zulasten der Ursprungsfassung. Angesichts des berechnenden Ansatzes, mit Vintage-Sound zu beeindrucken, gilt die Empfehlung: Original hören!

In die mittelgute Track-Gruppe zum Mitwippen mit dem großen Zeh fallen "Appreciated" (samt Rub-a-dub-Sample eines 1981er-Hits) und "Moonlight Love". Beide fügen sich der röhrenden Intonation; die Musikbetten tragen zu den Vocals nichts Eigenes bei. "Unity" als netter Highlife-/Afrofunk-Versuch verliert sich in der Manie der Kopie.

Zu den guten Stücken: Wer sich die große Oldschool-Dancehall-Attacke erhoffte, findet das ordentlich und nachdenklich gestaltete "Steppa". "Call Me (feat. Stefflon Don)" müsste man umgedreht 'Stefflon Don featuring Buju' bezeichnen, es ist ein 'cuter' Chill-Out-Raggamuffin mit R'n'B-Hookline, nicht frei von Konvention, aber brauchbar und recht nett.

Der originellste Tune, "Beat Dem Bad", traut sich dezente Dubstep-, Trip Hop-, gar Grime-Anleihen zu, betont extra stark die Monotonie, mehrschichtig stimmungsvoll. Wie eine saftige Abrechnung wirkt "Trust", nachdem Mr. 'Gargamel' einst in eine Falle gelockt wurde und so den US-Behörden ins Netz ging. Komposition und Text scheinen in ihrer Schwermut zu vertonen, wie man einander gegenseitig verpfeift ("then they sell you out, the so-called 'friends'"), dem Text zufolge mittels Social Media-Posts als überraschenden Beweismitteln. Es klicken die Handschellen, von Buju lautmalerisch dargestellt. Solche Andeutungen gibt es ab und an, denn der Entertainer sieht sich selbst, seine verkorkste Biographie, als Spiegel der ganzen Gesellschaft. Und wiederum die Songs als Spiegel davon, wie er dem "Festiville 2020"-Magazin erklärt.

Überdurchschnittlich platzt "400 Years" aus der Fülle heraus. Das Lied hätten musikalisch so auch die Twinkle Brothers oder Culture vollbringen können, ein schöner alt wirkender Roots-Titel über die Sklavereigeschichte (kein Tosh- und kein Luciano-Cover, eine neue Nummer!): "I shall never cease my fire / 'til Babylon burns down", gute Kombination aus der Fire-Metapher in positiver und negativer Konnotation, mit Bujus Fighter-Stimme nebst Call-and-Response glaubhaft, auf einem schönen gospeligen Arrangement aus extrem tiefen Bass-Grooves und extrem hohen Keyboard-Plingplings.

Zum Schluss ein bisschen Sample-Geschichte, ausgehend von Bujus Darbietung "Cheated". 1958 nimmt die Doo Wop-Gruppe The Slades das Stück "You Cheated (You Lied)" auf, aus dem 1965 The Shangri-Las eine sportlichere Version machen. Die Titelzeile interpolieren U-Roy und Hopeton Lewis und legen sie auf ein Riff des 1971 erscheinenden "Crying Every Night", das Stranger Cole mit Tommy McCook & The Supersonics performt. Den gesamten Break sampeln Mos Def & Mr. Man 1997 in "Fortified Lives", und diesen Abschnitt ließ Buju jetzt neu einspielen. Anspieltipp, rundester Take, und doch nur Zitat. Der Vintage-Sound des autobiographisch den Knast aufarbeitenden Songs "Buried Alive" koppelt stilistisch Toots' und Jimmys Offbeat-Flirts mit Country an eine berühmte Hookline an, nämlich von Bob Segers "Against The Wind". Tja, und "Good Time Girl" klingt verdächtig nach Billy Joels "Uptown Girl". Es lebe das Recycling. Auch wenn es sich verkrampft anhört.

Trackliste

  1. 1. Lamb Of God
  2. 2. Yes Mi Friend (feat. Stephen Marley)
  3. 3. Buried Alive
  4. 4. Blessed
  5. 5. Memories (feat. John Legend)
  6. 6. Lovely State Of Mind
  7. 7. Appreciated
  8. 8. Trust
  9. 9. Cherry Pie (feat. Pharrell Williams)
  10. 10. Beat Dem Bad
  11. 11. Good Time Girl
  12. 12. Call Me (feat. Stefflon Don)
  13. 13. Moonlight Love
  14. 14. Cheated
  15. 15. Steppa
  16. 16. The World Is Changing
  17. 17. 400 Years
  18. 18. Rising Up
  19. 19. Helping Hand
  20. 20. Unity

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