laut.de-Kritik
Tanzbare Weltuntergangsmusik mit einer Prise "Independence Day".
Review von Stefan MertlikEin zweieinhalb Kilometer breiter Komet stürzt in den Atlantik und löst einen gewaltigen Tsunami aus. Eine 450 Meter hohe Flutwelle erreicht New York. Die Zahl der Todesopfer geht in die Hunderttausende. In "Deep Impact" zeigt Hollywood 1998, wie die Apokalypse aussehen könnte. Wenige Monate später reicht die Traumfabrik mit "Armageddon" ein weiteres Beispiel für den Weltuntergang nach. Als sich die Menschheit vor dem Millennium-Bug fürchtet und reale Katastrophen wie 9/11, Corona oder Trump noch Zukunftsmusik sind, haben Horrorszenarien noch biblische Ausmaße.
In dieser Atmosphäre fühlt sich Busta Rhymes mehr als wohl. Nach "The Coming" von 1996 und "When Disaster Strikes..." im Jahr darauf lebt der Rapper seine apokalyptischen Fantasien 1998 endgültig aus. Sein drittes Soloalbum "Extinction Level Event" trägt die Katastrophe schon im Titel und ein brennendes New York auf dem Cover. Der Untergang in Busta Rhymes' Erzählung scheint allerdings vielschichtiger. Er hat auch soziokulturelle Dimensionen und erinnert damit an eine Mischung aus "1984" und "Blade Runner", verfeinert mit einer Prise "Independence Day".
"Verärgerte Androiden, die es satthaben, Sklaven eines gottlosen und feigen Systems zu sein, in dem die Reichen reicher und die Armen immer wieder gefickt werden, entfesseln die totale weltweite Zerstörung", antwortet der Vater auf die Frage der Tochter, wie es im Jahr 2000 wohl aussehen wird. Der Befragte holt im Intro noch weiter aus: "Hunger herrscht. Krankheit umgibt die Erde, und die Menschheit wird Opfer eines gnadenlosen Angriffs durch interplanetare außerirdische Stämme, die unsere verkohlten Überreste erobern wollen. This is Extinction Level Event!"
Trotzdem klingt Busta Rhymes' Apoklypse nicht nach düsterer Katermusik, sondern nach dem, das vor der Ausnüchterung gebraucht wird: Party. Produzenten wie Nottz, DJ Scratch und Swizz Beatz schustern dem damals 26-Jährigen Beat-Teppiche, die traditionell und modern zugleich anmuten. Harte Drums treffen auf ungewöhnliche Samples und Elektroeffekte. Videospiel- und Comic-Ästhetik vermischen die Produzenten mit unzähligen Popkultur-Verweisen. Bestes Beispiel: "Gimme Some More", das auf der Titelmelodie von Alfred Hitchcocks "Psycho" basiert.
Ende der Neunziger bestimmt noch Rock, was cool ist. Entsprechend stromgitarrig fällt die Musik in ihren wildesten Momenten aus. "This Means War!!" - ein Remake von Black Sabbaths "Iron Man" inklusive Refrain von Ozzy Osbourne – wirkt gewöhnungsbedürftig. Der Crossover-Wahnsinn auf "Iz They Wildin Wit Us & Gettin Rowdy Wit Us?" mit Mystikal bleibt hingegen bis heute unerreicht. Doch auch die Love Parade findet auf "E.L.E." statt. "Do The Bus A Bus" klingt, als sei das Instrumental auf dem Taschenrechner enstanden. Passend dazu füllt Busta Ryhmes mit präzise gesetzten Zeilen die Takte.
Überhaupt, die Raps. Der New Yorker besitzt nicht nur eine charismatische Stimme, mit ihr brettert er über die Beats wie eine menschliche Achterbahn. Dabei bleibt er in jeder der knapp 70 Minuten verständlich. Gut so, denn wer sonst reimt "frappuccino mocha" auf "gun in my holster"? Busta Ryhmes legt sich die Worte so zurecht, dass sie gut klingen. ''Pitter-patter, you chitter-chatter too much / I'm a splitter-splatter your blidder-bladder / Make you spill out your guts", heißt es in "Do It To Death".
Busta Rhymes schlüpft auf "E.L.E." in die klischeebeladene Rolle des Rappers. Frauen schimpft er "Bitches", Männer sieht er als Gegner. Dass es sich dabei tatsächlich nur um eine Kunstfigur handelt, beweist das Outro. In "The Burial Song" erwacht Busta Rhymes aus dem Alptaum und verspricht, für die Gerechtigkeit zu kämpfen. In diesem Moment der Klarheit bezeichnet er Frauen als Frauen und betet für die gefallenen Soldaten. "Extinction Level Event" ist ein Fiebertraum, der am Anfang eines Wiederaufbaus steht: "This is how we rebuild shit from the underground up."
Busta Rhymes' tanzbare Weltuntergangsmusik kommt gut an. Seine aufwändigen und vor allem teuren Videos – "What's It Gonna Be?!" kostete 2,4 Millionen Dollar – laufen auf MTV rauf und runter. Mit einem zwölften Platz bleibt die Platte zwar hinter den Rängen drei und sechs der Vorgänger zurück, doch nach 32 Wochen in den Charts gibts schnell Platin. Bei den Grammys unterliegt Busta Rhymes nur Eminems "Slim Shady LP". Zudem wird der Musiker in den Kategorien "Best Rap Solo Performance" und "Best Rap Performance" nominiert.
Nachdem Busta Rhymes mit "E.L.E." die Welt in Flammen gesteckt hatte, folgte zwei Jahre später "Anarchy". Erst 2001 gönnte er der Menschheit mit "Genesis" die Wiedergeburt. Welch bedeutende Rolle "Extinction Level Event" in seiner Diskografie einnimmt, zeigt sich 2020. Mit "Extinction Level Event 2: The Wrath Of God" veröffentlicht Busta Rhymes sein erstes Sequel. Ein Totalausfall scheint denkbar, versuchten doch schon viele Musiker, ihre eingeschlafene Karriere über diesen Weg wiederzubeleben. Doch tatsächlich überzeugt der heute 48-Jährige – wenn auch nicht so wie vor 22 Jahren.
In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.
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