laut.de-Kritik
Mit maschinellen Grooves durch Großstadtschluchten.
Review von Toni Hennig1994 löste sich die Sheffielder Industrial-Legende Cabaret Voltaire vermeintlich auf. Doch 2009 reanimierte Keyboarder und Multiinstrumentalist Richard H. Kirk das Projekt für mehrere Remixe: Für die neuseeländische Dub-Band Kora spielten sie wieder, nur eben ohne Sänger und Bassist Stephen Mallinder, der sich um seine Projekte Hey, Rube! und Wrangler kümmerte.
Eine "Reunion im traditionellen Sinne" schloss Kirk in einem Gespräch für die Groove 2013 aus. 2014 spielte er dann beim Berlin Atonal das erste eigene Konzert als Cabaret Voltaire. Seitdem formte er auf Festivals und Shows in ganz Europa den aktuellen Sound des Projekts. Mit "Shadow Of Fear" erscheint nun das erste Album Cabaret Voltaires seit 26 Jahren.
Dabei gibt es nichts grundlegend Wegweisendes aus Sheffield, hält das Werk doch größtenteils vertraute Klänge bereit. Mehr braucht es aber gar nicht, setzten Cabaret Voltaire Anfang der 80er auf "Red Mecca" und "2x45" auf eine ganz eigene Mischung aus funkigen Maschinenklängen und nahöstlichen Tönen, die für Techno zum Teil die rhythmische Vorlage lieferte. Danach beeinflusste die laut Richard H. Kirk "subversive Tanzmusik" auf "The Crackdown" und "Micro-Phonies" Electro nachhaltig. Ende der 80er arbeiteten die Sheffielder in Chicago, wo ihre Scheiben ein breites Publikum erreichten, mit jungen Acid-House-Protagonisten zusammen.
Außerdem brachte Kirk zusammen mit DJ Parrot unter dem Namen Sweet Exorcist 1990 noch den Bleep-Sound hervor, der wenig später typisch für die Platten auf WARP war, wo die Veröffentlichungen des Projekts auch erschienen. Ohne Cabaret Voltaire und ohne Richard H. Kirk würde also letzten Endes die elektronische Tanzmusik nicht so klingen, wie sie jetzt klingt.
Dafür besinnt sich Kirk auf diesem Album auf den hypnotischen Aspekt des Projekts. Die stilistische Palette reicht von Industrial- und Post-Punk-Einflüssen, wie man sie auf "Red Mecca" und "2x45" hörte, über tanzbaren Electro bis hin zu den technoiden Klängen seiner letzten Soloplatte "Dasein" von 2017. In die Mangel gedrehte Sprachsamples durchziehen die einzelnen Tracks.
Dass die maschinenhaften Grooves Cabaret Voltaires nach wie vor nichts an Reiz verloren haben, beweist schon der Opener "Be Free", wenn monotone Percussion-Rhythmen auf majestätische Bläser und funkige Wah-Wah-Effekte an der Gitarre treffen. Dazu verkündet eine Stimme: "The city is falling apart / Be free." Dieser Einladung, vor dem inneren Auge durch Großstadtschluchten zu streifen, folgt man nur all zu gerne.
"The Power (Of Their Knowledge)" knüpft dann mit kaputten Snare-Klängen, postpunkigen Saiten-Tönen und geradliniger Elektronik an den Cabaret Voltaire-Sound zu "Red Mecca"- und "2x45"-Zeiten weiter an. Danach begegnet man in "Night Of The Jackal" rhythmischen Electro-Sounds, die aus der Anfangszeit des Detroit Technos hätten stammen können. Darüber legen sich schwere Keyboardschwaden, so dass auch Richard H. Kirks Hang zu dunklen Stimmungen und Atmosphären zum Tragen kommt.
Etwas paranoider mutet das folgende "Microscopic Flesh Fragment" an, das mit dreckigen Percussion- und Noise-Effekten, bleepigen Klängen sowie ambient- und filmhaften Synthie-Einschüben etwas Alienhaftes ausstrahlt. Dass "Papa Nine Zero Delta United" mit seinen zu monoton vor sich hintänzelnden Soundfiguren und einem gleichbleibenden weiblichen Stimmsample etwas zu unspektakulär am Hörer vorbeizieht: Geschenkt. Dafür strotzt "Universal Energy" nur so vor rhythmischer Klasse, wenn die Tom gnadenlos nach vorne peitscht und rituelles, afrikanisches Trommeln zum Tanz einlädt. Dazu kommen noch mysteriöse Stimmsamples hinzu, die sich in aller Regelmäßigkeit gegenseitig ablösen, so dass in technoiden Sphären auch der Abgrund lauert.
Da fügt sich auch "Vasto" - das es schon vor Veröffentlichung der Platte zu hören gab und das mit seinen fernöstlichen Gesangssamples und den ramponiert klingenden Roboterbeats sowie dem laut vor sich hin wummernden Bass für Richard H. Kirk-Verhältnisse eher durchschnittlich ausfällt - erstaunlich gut in das Album ein, erreicht es mit dem Track doch seinen euphorischen Peak. Am Ende gibt es schließlich mit "What's Goin' On" lupenreinen Maschinen-Funk, wie er für das Projekt nicht typischer sein könnte, durchzogen von feierlichen, souligen Bläsern. Dass sich Richard H. Kirk hier nicht mit ganz eigenen Mitteln vor dem gleichnamigen Song Marvin Gayes verneigt, daran glaubt man bei den Tönen sicherlich nicht.
Insgesamt bildet "Shadow Of Fear" bis auf wenige Längen eine erfreuliche Rückkehr, die nicht nur die Leistungen Cabaret Voltaires innerhalb der elektronischen Musik wieder ins Gedächtnis ruft. Mit ihrer treibenden, mitreißenden Energie funktioniert die Scheibe nämlich genauso gut im Hier und Jetzt. Dabei kommt klangliche Tiefe überhaupt nicht zu kurz.
Noch keine Kommentare