laut.de-Kritik

The Great Comebackment: Ein bisschen Hochachtung, bitteschön!

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Wie kaum eine andere deutsche Band machten Camouflage die bittere Erfahrung, was es für die Karriere bedeuten kann, wenn man das eigene Soundbild um zu viele Neuerungen verändert. Zwei erfolgreiche Synthie-Pop-Alben und zwei Megahits standen bei dem Trio aus Bietigheim-Bissingen zu Buche, als sie 1991 mit "Meanwhile" ein so akustisch angelegtes Werk kreierten, dass die eingefleischte Fangemeinde erschrocken das Weite suchte.

Auch das Interesse der Medien war über Nacht verschwunden. Die College Radios in den USA konzentrierten sich auf den neuen Hype namens Grunge und die deutsche Plattenfirma sah selbst beim wieder elektronischen Nachfolger "Bodega Bohemia" großflächig von Promotion ab. Diese Karrieredelle hing Camouflage lange nach. Als Ende der 90er Wolfsheim und Deine Lakaien die Charts stürmen, zanken sich die Wegbereiter wieder mit ihrem Label. Das entsprechende Album "Sensor" erscheint dann vier Jahre später.

Seither arbeiten Camouflage weitgehend autark von gängigen Marktmechanismen. Im Lebensmittelpunkt der Musiker stehen längst Familien, alles andere wird darum gebaut. Etwa Tourneen durch Osteuropa und Südamerika oder Auftritte im Europa Park. Das letzte Studioalbum "Relocated" erschien vor neun Jahren. Veröffentlicht wird dann, wenn die Zeit reif dafür ist. Im Falle von "Greyscale" dauerte dieser Prozess wieder mehrere Jahre.

Doch Camouflage-Fans sind Kummer gewohnt. Schließlich werden sie durchgehend mit hochwertigen Produktionen beschenkt. "Greyscale" ist eine weitere, Melancholie umarmende Elektronik-Platte geworden, die mehr denn je den Soundtrack-Charakter atmet, den Filmmusik-Komponist und Arrangeur Heiko Maile in die Songs einfließen lässt.

Als hätten sie aus alten Fehlern gelernt, befolgen Camouflage weiterhin streng ihre ureigene Rezeptur und halten die Synthesizer im Vordergrund. Trendige Versatzstücke wie Dubstep oder Grime sucht man hier vergebens. Das mag mancher im Jahr 2015 langweilig finden, zumal die Nähe zu Depeche Mode nach wie vor allgegenwärtig ist. Camouflage dürften allerdings so ziemlich die einzige Band sein, bei denen dieser Vergleich nicht negativ konnotiert ist.

Zu ausgefeilt geraten Melodien und Sounds ein ums andere Mal. Sänger Marcus Meyns tiefe Stimme, die diese besondere Mischung aus Wärme und Sehnsucht verkörpert, passt sich den meist düsteren Songs perfekt an. So geraten "Laughing" und "End Of Words" zu staatstragend königlichen Wehmutsmomenten. Auch dem Sog der sublimen Pop-Nummer "Leave Your Room Behind" kann man sich schwer entziehen.

Für "Count On Me" lädt man den alten Bekannten Peter Heppner ein, dessen charakteristisches Organ dem Song leider einen übermächtigen Wolfsheim-Stempel aufdrückt, was dem Hymnen-Potenzial natürlich nicht abträglich ist.

An die alten Upbeat-Tage erinnern auf jedem Camouflage-Album einige wenige Tracks, die aber selten an die Intensität der ruhigen Stücke heranreichen. "Shine" ist dagegen die stärkste Single seit "Thief" (1999) geworden, während "Misery" leichterhand die obligatorische Four-to-the-Floor-Schiene fährt, auf der eine Armada an überflüssigen Synth-Pop-Bands seit Jahren reüssiert und wie es die angestammte "Szene" bei sogenannten Dark Dance-Discoabenden landauf landab eben auch einfordert.

In Zeiten, in denen ähnlich talentierte Kollegen wie Hundreds für große Begeisterungsstürme sorgen, sollte einem erfolgreichen Comeback der schwäbischen Altvorderen jedenfalls nichts mehr im Wege stehen. Ist ja immerhin ihr vierter Versuch in 22 Jahren. Ein bisschen Hochachtung, bitteschön!

Trackliste

  1. 1. Shine
  2. 2. Laughing
  3. 3. In The Cloud
  4. 4. Count On Me (feat. Peter Heppner)
  5. 5. Greyscale
  6. 6. Still
  7. 7. Misery
  8. 8. Leave Your Room Behind
  9. 9. Light Grey
  10. 10. End Of Words
  11. 11. Dark Grey
  12. 12. I'll Find

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