laut.de-Kritik
"You'll never feel as shitty as this record!"
Review von Yannik Gölz"Very great played at high volume when you're feeling shitty, because you'll never feel as shitty as this record", resümierte Musikjournalist Robert Christgau einst über "Trout Mask Replica", das dritte Album von Captain Beefheart & His Magic Band.
Zahllose Artikel, Kolumnen und Meilenstein-Artikel preisen in den folgenden 50 Jahren die Brillanz, Genialität und den Einfluss von Beefhearts Meisterwerk. Doch der ganzen Zeit hat Christgau dennoch niemand grundlegend widersprochen: Unhörbarkeit bleibt bis heute die größte Qualität von "Trout Mask Replica".
Man kann lange versuchen, den Klang dieser Platte zu umschreiben, kann sich irgendwelche Einflüsse aus Blues bis hin zu Free Jazz, Prog oder Avantgarde zusammenreimen, kann es mit dem vorigen Schaffen von Beefheart wie "Safe As Milk" oder der etwas kommerzielleren Spätara mit Alben wie "Moonbeams & Bluejeans" vergleichen oder die Rolle des legendären Querulanten Frank Zappa hervorheben. Aber das alles wäre völlig vergebens.
"Trout Mask Replica" - zu Deutsch etwa Forellenmaskennachbildung - klingt schlicht völlig absurd, nicht mehr und nicht weniger. Als hätte Miles Davis inmitten einer anspruchsvollen Improvisation einen epileptischen Anfall, worauf seine Band unsicher versucht, mitzuspielen. Als würde man die Büchse von Pandora auf Wellenform konvertieren. Als schüfe Dr. Frankenstein die One-Man-Beatles aus Bizarroworld.
Schon die Entstehungsgeschichte ist längst legendär: Nach wiederkehrenden Misserfolgen setzt sich ein frustrierter Beefheart mit seinem alten Schulfreund Zappa (die beiden hatten zuvor schon eine gemeinsame Band und ein Filmprojekt in den Sand gesetzt) und scharenweise Sessionmusikern – alle etwa zehn Jahre jünger als der Captain – zusammen, um in einem abgedunkelten Haus Musik zu machen. Abgefahrene, ekstatische Musik, die links und rechts und kreuz und quer durcheinander geht, sich überschlägt und am Ende explodiert.
Drei Gitarren, Drums, zwei Saxophone, Glocken, Oboen, Klarinetten, absurd detaillierte Abstimmung unter den Einzelinstrumenten (teils komponierte Beefheart die Einzelarrangements in über achtstündigen Sessions) und einen Haufen Drogen später mischte Frank Zappa Beefhearts expressiven, zerrissenen, grausigen Gesang zwischen dem Tränenausbruch eines Kettenrauchers und sterbendem Benjamin Blümchen über die entstandenen Tracks. Niemand sagte, dass Zappa hier gut oder mit sehr viel Organisation mischte, aber er tat es. Er mischte. Und das Ergebnis macht bis heute perplex.
Es fällt schnell auf, dass auch die Rezeption immer wieder auf die selben Anekdoten zurückfällt: Jemand bekommt das Album von einem Freund in die Hand gedrückt, hört es, fühlt sich überfordert und versteht nicht, was da gerade passiert, nur um von einer abgründigen Faszination getrieben früher oder später noch einmal hineinzuhören und nach ein paar Anläufen schleichend zur Erkenntnis kommt, dass das wohl vielleicht doch das beste Album aller Zeiten sein könnte.
Das Muster kommt bekannt vor? Wahrscheinlich. Diese Art der Verbreitung von Kunst ist heutzutage präsenter als je zu vor. Man bezeichnet es nicht mehr als provokante Avantgarde, sondern vielmehr als Meme-Kultur. "Trout Mask Replica" könnte in den wilden Texturen, dem komplett einzigartigen Sound und der sofortigen Wiedererkennbarkeit der Blueprint für Musiker wie Die Antwoord, Death Grips, Tommy Cash oder ganze Sparten wie Vaporwave oder Harsh Noise sein. Nur dass dieses Album den Test der Zeit nicht mit albernen Gimmicks oder Video-Opulenz, sondern mit einer der detailliertesten, eigenwilligsten und mühsamsten Kompositionsarbeit der modernen Musikgeschichte bestanden hat.
Dennoch sind es die Faktoren des Überraschtwerdens, der Überforderung mit dem Material und der Unmöglichkeit des Einordnens, die nur noch mehr Interesse und Faszination an der Musik generieren. Beefheart schien diese Methode so brillant zu beherrschen, dass er nicht einmal ein Internetzeitalter nötig hatte, um die Ruhmeshallen der Obskurität einzuziehen.
Dabei ist es zu einfach, "Trout Mask Replica" nur als Obskurität zu bezeichnen. Man darf nicht vergessen, dass es auch Rockmusik, Blues Rock, Jazz Fusion und ein Meilenstein für das Schaffen von zahlreichen Künstlern kreuz und quer in den verschiedensten Genres ist. Tracks wie "Frownland" spielen polyrhythmische Gitarrenmelodien, kontrastiert Takte und wechselt den Key so oft, dass das Resultat beinahe atonal anmutet.
Was sonst sollte man auch von einem Musiker erwarten, der über die gesamte Zeit seines Schaffens den Cosign von Frank Zappa über seinem Kopf wissen durfte (wobei die beiden sehr oft aneinander gerieten, was bei zwei derartig notorischen Egos aber auch kein Wunder ist). In der Zukunft sollten sich PJ Harvey, XTC, The Clash oder Public Image Ltd auf den Captain und seine magische Band berufen, doch auch in ganz anderen Kunstformen nennen prominente Figuren wie Woody Allen oder Matt Groening "Trout Mask Replica" als Favoriten.
Insgesamt ist aber alle Einordnung sowieso überdrüssig. Das Album ist eines der besten aller Zeiten, ohne dass je jemand sicher hätte sagen können, ob es überhaupt wirklich gut ist. Und allein dafür verdient es einen Platz im Kanon der Projekte, die man gehört haben muss, einfach um eine eigene Perspektive darauf zu entwickeln und zu entscheiden, was man davon halten soll.
In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.
10 Kommentare mit 3 Antworten
Großartiges Album und ein Mittelfinger an alle Hörgewohnheiten der damaligen Zeit, das macht schon der Eröffnungstrack deutlich. "Trout Mask Replica" ist das totale Gegenteil von Easy Listening und für Einsteiger eine Irritation, aber wenn man sich reingefunden hat, entdeckt man die melodischen Qualitäten dieses Albums und dass Captain Beefheart einflussreich war, steht außer Frage.
Dass so ein Stein ausgerechnet von diesem Yannik kommt ist gelinde gesagt positiv überraschend. Zumal ein Beefheart-Stein hoffentlich auch einen der seltenen und hoch geschätzten Dogma/Krypta-Kommentare provozieren könnte...
Heute noch so verstörend wie damals. Supergeil und hochverdient!
Ich komme aus der Zeit, bin mit dem schrägsten Kram aus den Sechzigern und Siebzigern vertraut und respektiere Captain Beefheart wirklich. Trotzdem halte ich diese Platte für einen großen, Nerven sägenden Furz und finde auch, dass Zappa neben einigen großartigen Platten eine Menge unerträglichen Mist verzapft hat. Friede seiner Asche anyway! Künstler, die ab und zu Lust haben, die Leute zu verarschen, sind mir durchaus sympathisch. Siehe auch Helge Schneider etc. Der hat übrigens auf diesem Machwerk noch gefehlt. Sollen die ganzen alten und frisch dazu gekommenen Pseudo-Elitären diese atmosphärische Störung doch an ihr Herz drücken. Ich häng mir das schräge Cover aufs Klo und mache aus der Platte einen 20 Dollar Frisbee. Und lege dazu den guten alten Zig Zag Wanderer auf. Fürze akademisch hochzuschreiben, das bringt garnichts. Sie stinken trotzdem bestialisch!
Musik ist halt Geschmackssache, und das hier ist ambitionierter Rotz
Ufff, bin ich bis jetzt jedes mal dran gescheitert. "Safe as Milk" und "lick my decals off" bleiben meine Favoriten.
Die Musik ist wirklich furchtbar. Das Album wiederum ist ein wichtiger Gegenentwurf zur Popmusik und Erweiterung ihrer Palette...