laut.de-Kritik
Anders, aber gut.
Review von Simon LangemannDie unspektakulärste Nachricht zuerst: Caspers "Hinterland" übertrifft den gefeierten Vorgänger trotz klanglicher Neuausrichtung in allen Belangen und hievt sein Oeuvre auf ein neues Level. Um mit der "Ariel"-Hookline zu sprechen: "Alles ist gut. Anders, aber gut."
Die mit Vorschusslorbeeren überschüttete Kooperation mit Get Well Soon-Mastermind Konstantin Gropper und Markus Ganter (Sizarr, Dagobert) steht für einen musikalischen Neuanfang. Von der "XOXO"-Produktion, die dem Bielefelder vor gut zwei Jahren den Durchbruch ermöglichte, blieb nur die gesunde Distanz zum klassischen Hip Hop-Beat.
Casper nahm den Kritikern - bestimmt nicht nur aus Spaß - ein Stück Arbeit ab und servierte seine musikalischen Referenzen bereits in der Spotify-Playlist "13 Songs That Inspired Hinterland", die man in seinem dritten Werk überraschend gut wiedererkennt. Tracks von The Shins, Arcade Fire, Vampire Weekend und Frank Turner etwa erklären, warum es sich bei "Hinterland" um eine doch überraschend Gitarren-lastige Platte handelt.
Die Youngblood Brass Band rechtfertigt - neben Groppers Einfluss - die hohe Blechbläser-Präsenz. A$AP Rocky, Kendrick Lamar und J. Cole hört man dagegen in "Ariel" und "Endlich Angekommen" heraus.
Trotz all der erfrischenden Rumpeligkeit, die "Hinterland" mitbringt: Zu Buche schlägt in erster Linie ein großes Pop-Album. Der Hang zum Epischen bleibt im Vordergrund, die Suche nach dem Gänsehautmoment kam im Mannheimer Studio bei aller Verkopftheit nicht zu kurz.
Anders als auf "XOXO" fällt keiner der elf Titel wirklich ab, von Ausfällen wie "So Perfekt" ganz zu schweigen. "Hinterland" lebt von einer Vielseitigkeit, die man auch dem deutlich gesteigerten Spektrum verdankt, das Casper diesmal mit seiner unvergleichbaren Reibeisenstimme abdeckt. Wer hätte das gedacht: Irgendjemand hat aus dem 30-Jährigen sogar einen passablen Sänger geformt. Gut so.
Die neuen Skills kann dieser allerdings auch gut gebrauchen, kraftvolle Hymnen wie das Tomte-ähnliche "Nach Der Demo Ging's Bergab" würden sonst wohl gegen die Wand fahren. Im Text zitiert sich Casper quer durch die deutsche Pop-Kultur, von Ton Steine Scherben bis zu Wir Sind Helden - mit Zwischenstation Die Sterne: "'Was hat uns bloß so ruiniert?', hast du gefragt / Ich hab die Antwort verschluckt." Inhaltlich erzählt der Track, was der Titel bereits andeutet: Eine etwas zu kurz geratene Rockstar-Geschichte. "Wir sind ein Insider-Witz, den von uns beiden scheinbar keiner versteht."
"Wir können alles und alles können wir sein!" Mit einem Turbostaat-Zitat startet dagegen "Alles Endet (Aber Nie Die Musik)". Die Uptempo-Nummer repräsentiert mit erquicklichen Dur-Akkorden Caspers deutlich ins Positive gekippte Grundstimmung. "Tanzen, als ob keiner guckt / Lachen, als wenn's jeder liebt / Singen ohne Texte kennen / Und Feiern als ob's kein Ende gibt / Adrenalin / Puls in 45 RPM / Werden wohl zur Hölle fahr'n / aber das im besten Sinn. / Sieh die Kamine der Fabrik / Alles endet, aber nie die Musik." Da ist er wieder, der gute alte "Verlorene Jugend"-Tenor.
Im Beziehungsdrama "Lux Lisbon" gelingt dem höcht willkommenen Gastsänger Tom Smith, anders als auf dem jüngsten Editors-Album, der Drahtseilakt zwischen Pathos und Kitsch. Weniger dramatisch, eher angenehm melancholisch besticht "20qm", das gewisse Vibes des "XOXO"-Titeltracks einfängt.
Im erhabenen "La Rue Morgue" eifert Casper dann sogar Tom Waits nach, der mit "Little Drop Of Poison" ebenfalls Teil der Spotify-Playlist war. "Ganz Schön Okay" erreicht dagegen mit tatkräftiger Unterstützung des zweiten und letzten Features Kraftklub den Pop-Appeal eines Cro - mit relevanteren Lyrics und fetterer Produktion.
"Jambalaya" kennt man bereits als Intro der diesjährigen Splash!-Show. Ältere Fans, die sich kurz vor Ende der Platte immer noch keine dezidierte Meinung gebildet haben, wickelt der Bielefelder mal eben mit einer Art "Casper Bumayé"-Nachfolger um den Finger. "Yo, mit Schrot in den Flinten im Suff auf Dosenbier schießen / Biss mich von oben nach unten, so wie 'nen Krokodil-Kiefer / Vom Trailerpark zu Szenestar / denk jedes Jahr, wie ewig lang / aber seht mal, wir sind endlich da!" Eine einzige Machtdemonstration in Sachen Deutschrap.
Doch dieser hätte es gar nicht mehr bedurft, um zu klarzustellen, dass das Phänomen Casper auch weiterhin zum Hip Hop-Kontext gehört - auch wenn der Feuilleton unermüdlich versucht, es dort herauszuzerren. "Hinterland" als die endgültige Abkehr vom Rap? Absoluter Schwachsinn. Denn abzüglich des berauschenden Drumherums stellt der Wahlberliner immer noch vor allem eines dar: einen in jeglicher Hinsicht überragenden MC.
"Ich will auch mein 'Stadtaffe' haben", verriet der Kritikerliebling letztens gegenüber der Zeit. Ob die Verneigung vor den persönlichen Lieblingsbands als stilistische Grundlage für einen derartigen Kultstatus genügt? Ein Jahreshighlight verdanken wir dem Dreiergespann Ganter-Gropper-Griffey aber jedenfalls - und um eine weiter Casper-Line aus dem Kontext zu reißen: "keine Supermänner, dennoch verdammt nah dran." ("Endlich Angekommen")
53 Kommentare mit 59 Antworten
Die laut.de 5* Party geht also weiter
ich kann nix dafür.
5/5?! Deutsche Musiker und die Bewertung hier und so...!!1
Wie oft bringt Cas seine Ohh-Adlibs?
Naja, werde mal reinhören...
was, wieso jetzt doch nur 4 - hab schon oft gedacht dass die Sterne im Nachhinein nochmal verändert werden?!
XOXO hatte noch etwas Wut und mehr echte Aussagen (rein gefühlt). Das jetzt ist alles irgendwie Befindlichkeit beschreiben, die irgendwie immer so "irgendwie gut, irgendwie doof" ist.
Bestes Album 2013 Punkt!
Resuemee nach 5 Monaten. Caspers beste Scheibe und ein eindeutiger Platz in meiner All-Time-25. Musste anscheinend noch reifen die Platte. Genau wie bei Frauen. Man endeckt beim jeden mal Hoeren neue Fassetten.