laut.de-Kritik
Mit Soul hat das so viel zu tun wie Boris Beckers Autobiographie mit Goethe.
Review von Dani FrommWenn ich in Zusammenhang mit Cassandra Steens neuem Album noch mal über den Begriff "Soul" stolpere, muss ich mich übergeben. Mit Soul hat "Darum Leben Wir" in etwa so viel zu tun wie Boris Beckers Autobiographie mit dem "Faust".
An den Haaren herbei gezogen? Nicht doch. Immerhin bedienen sich sowohl Bummbumm als auch Miss Glashaus im Goetheschen Zitatfundus. "Augenblick, verweile doch" betitelte ersterer seine Lebensgeschichte. Cassandra Steen verwurstet die Vorlage zu "Ich sag zu dem Moment: Geh nicht vorbei / Bleib noch, du bist so schön." Geht es vielleicht noch ein bisschen ausgelutschter?
Sicher doch, nach Schmonzettenklischees muss man nicht lange suchen. Jeder einzelne Track schießt mit Schmalzkanonen auf Sinnspatzen. "Lass mich nicht gehen / Ich lass dich nicht gehen / Nimm mich mit dir / Ich nehm dich mit / Bleib bei mir stehen / Bleib bei dir stehen ... " In dieser Art schmachten sich Cassandra Steen und Xavier Naidoo für die Dauer von "Lass Mich Nicht Hier" ("Ich lass dich nicht hier!") an.
"Unendlich" strapaziert, der Titel lässt es befürchten, ausgeleierte Vokabeln von "niemals" bis "für immer". "Ich sitz im Eis und schrei nach dir / Die Wände weiß und keine Tür / Ich bin mittendrin / Ich muss hier raus / Ich will nach Haus zu dir." "Mein Engel, du bist immer für mich da!
Oh, bitte! "Rette mich, rette mich, rette mich - wenn du kannst." Allein: Es ist keine Hilfe in Sicht, zumindest nicht von musikalischer Seite. Gerät der allgemeinverträgliche Titel- und Eröffnungssong, der Baden-Würrtemberg bei Stefan Raabs Bundesvision Songcontest immerhin einen vierten Platz einbrachte, wenigstens im Refrain halbwegs einprägsam, fehlt dem Rest des Albums jeglicher Pfiff.
Kaum freut man sich in "Eis" vorsichtig darüber, dass hier die klare, aber dünne Stimme der Interpretin einmal nicht von allzu dicken Soundwänden erschlagen wird, bulldozert der Refrain mit E-Gitarren in zopfigster Maffay-Manier alles platt. Ähnlich in "Glaub Ihnen Kein Wort": Auch hier ruiniert Schlagzeug-Einsatz der harmlosesten Popsorte das Gesamtbild.
Schwung- und drucklos geht es weiter. Wenn klimperndes Piano und hübsch satte Drums endlich mal eine angemessene Kulisse für Cassandra Steen aufspannen, verpatzt diese es selbst mit Lalala-Gesängen. Schwer zu entscheiden, ob das oder die durchgehend triefenden Lyrics schwerer zu ertragen sind.
Schunkel-Pop und Pianoballaden schenken sich rein gar nichts. Zum Klavier-und-Streicher-Auftakt von "Funken Liebe" könnte genauso gut ein Bryan Adams ein weiteres Mal "Everything I Do" zum Besten geben, es wäre nicht weniger aufregend.
Doch Robin Hood war gestern, heute liefert man lieber gemeinsam mit Adel Tawil den bisher unveröffentlichten Soundtrack zu "U-Turn": "Ich bau ne Stadt für dich / Aus Glas und Gold und Stein / Und jede Straße, die hinausführt / Führt auch wieder hinein." Entrinnen unmöglich.
"Ist es der Hafen oder das offene Meer? Sind wir der Zeit voraus oder laufen wir hinterher?" Ich hoffe schwer auf die zweite Option. Alles andere würde bedeuten: Es kommt noch mehr von dieser Sorte. Keine schönen Aussichten. Für erstgenannten Fall möchte ich ganz dringend Goethe zitieren: "Zum Augenblicke dürft' ich sagen: Verweile doch, du bist so schön."
126 Kommentare
Glückwunsch zu dieser Kritik. Damit unterstreicht laut.de mal wieder seine Inkompetenz.
na immerhin!
ich bau ne stadt aus glas und gold und stein und jede straße die rausführt, führt auch wieder rein xD
ich mag sie und das album aber trotzdem (jedenfalls die zwei songs die ich gehört hab), auch wenn die rezension natürlich den nagel auf den kopf trifft.
aber is' halt cassandra steen, die darf das
Lyrisches Niveau hin oder her, der Text geht in Ordnung. Habe ja auch nie gehauptet, dass das großartig wäre.
Ausserdem jetzt mal unter uns, in den zeiten der massenmedien ist doch niemand mehr auf politische oder gesellschaftskritische lieder angewiesen, da gibts doch bessere methoden sich ne meinung zu bilden... ich finds sogar unerträglich wenn mich irgendwelche musiker mit ihrer meinung zur Lage der nation/gesellschaft anöden... was nicht heißt das ein text dumm sein muss, aber für mich ist ein guter text einfach in sich "stimmig", er muss dafür keine großartigen botschaften transportieren und sollte lieber emotionen wecken... damit will ich aber nicht den "Stadt"-Text verteidigen, weil den find ich echt doof...
@lautuser (« Lyrisches Niveau hin oder her, der Text geht in Ordnung. Habe ja auch nie gehauptet, dass das großartig wäre. »):
Ach du