laut.de-Kritik
One Trick Pony mit Kehlkopfüberschlag.
Review von Philipp KauseDie gute Nachricht: Es gibt sogar einen glaubwürdigen Song gegen Ende, "How Did You Get Here". Den Duffy oder Alessia Cara wohl auch mit mehr Herzblut sängen. Aber bei Celine Dion geht es gar nicht darum, dass eine Songwriterin sich mitteilen würde. Es geht ums Schauspiel, um eine Aushängeschild-Figur, die von einer Welt der Zweisamkeit und Einsamkeit singt, in der edle Parfums, teure Taschen, Schuhe und Schmuck das Non-Plus-Ultra sind. Hier stehen nicht Menschen im Mittelpunkt, sondern das Materielle, Macht, Symbolik, Status, stark und schwach, perfekt und unperfekt.
Auf "Courage" geht es nicht um Gefühle für jemanden, sondern darum, was eine Frau meint in einem Mann auslösen zu können. Diese Frau ist natürlich eine unabhängige Frau von Welt, die Liebhaber zu wechseln als Gesellschaftsspiel wie Mensch-ärgere-dich-nicht spielt. Willkommen also im Setting der kanadischen Kehlkopf-Salto-Springerin.
Waren wir Balladen wie Sand am Meer von ihr gewohnt, scheint ihr das Label-Management einen heißen Tipp gegeben zu haben. "Pssst, Celine: Dance-Pop ist der heiße Scheiß"! Macht sie. Auch wenn es davon noch mehr Überflussware gibt als von ihren Herzschmerz-Balladen, biegt die Mainstream-Künstlerin brav in den aktuell angesagten Sound ein. In den austauschbaren Dance-Pop, der seit ungefähr 2013 Europas UKW-Wellen in 24-Stunden-Haft genommen hat, reiht sich auch dieses Album ein.
Celine möchte wohl wieder ins Radio. Ihr Problem wird sein, dass sie damit nicht auffallen wird. Shazamt man sie nicht extra, man käme nicht darauf, wen man hört; es könnte vom Sound her auch Ellie Goulding sein oder Taylor Swift oder wer weiß wer. Nur die Stimmlage ist anders.
Die Texte handeln durch die Bank vom Ego einer Frau und davon, wie sie einen Mann manipulieren kann. Die Musik umfasst etwas schnellere Midtempo-Songs, mittlere Midtempo-Songs und etwas langsamere Midtempo-Songs. Die Gesangsbrocken, die Frau Dion abwirft, klingen wie aus dem Ei gepellt, aber auch völlig sterilisiert. Wo Auto-Tuning sonst schief getroffene Töne gerade biegen soll, biegt es sie hier weiter in die Schieflage, um Celine Dions emanzipatorischen Symbol-Kehlkopfkieks rundum auszuformen.
Celine Dion konnte nicht wissen, dass ihr in Deutschland bereits Matthias Reim und Tim Bendzko im Kampf um die Pole Position für die grottigsten Lyrik-Wiederholungen auf den vorhersehbarsten Musik-Arrangements zuvorkommt. Es wird eng auf dem Weg zum schlechtesten Album des Jahres.
Doch "Courage" hieße ja nicht so, ginge es nicht um Mut. Ab und an wagt die Dion ein paar soulige Einsprengsel, wodurch das Album fast schon Charakter zeigt, etwa in "How Did You Get Here" und "Perfect Goodbye". Den Durchritt in den völligen Ausverkauf überdeckt das One Trick Pony Celine dadurch, dass die Lieder scheinbar alle ganz gut sind und man formal nichts an ihnen aussetzen kann. Das Album ist solide produziert. Der Sound klingt zwar sehr digital durchberechnet, aber immerhin so professionell, wie man das von einer internationalen Künstlerin ihrer Größenordnung erwarten kann.
Überhaupt hört sich alles so an, wie man es erwarten kann. Die Sängerin interpretiert all diese mittelschnellen Songs mit demselben gespielt intimen Timbre und demselben ich-muss-innehalten-weil-ich-mich-selbst-finde-Pathos wie ihr Balladen-Geschmirgel. Sie gibt den Leuten genau das, worauf der "Nur für dich! Die besten Hits"-Radio-Mainstream, den man beim Zahnarzt, beim Friseur und im Taxi hören muss, ihre Fans schon konditioniert hat. Aber Electro-Pop und Liebesgedusel könnte man ja auch viel authentischer machen. Dann wäre es zwar immer noch so vorhersehbar wie bei Carly Rae Jepsen, aber zumindest 'echt' und mitteilsam, nicht so penetrant aufgesetzt wie hier bei Celine.
Vielleicht sollte Celine Dion etwas Substantielles covern, Musik eines anderen Genres, mit Ecken und Kanten. Es könnte dazu führen, dass man sich nach dem nächsten Album an wenigstens einen Song oder Moment erinnert. An "Courage" bleibt nach dem Anhören eine so genaue Erinnerung haften, wie an Wasser, das aus dem Wasserhahn kommt. Die Musik fungiert als neutraler, anwesender Geräuschstrom im Rahmen von Marketing-Gesetzmäßigkeiten. Die wie mit dem Taschenrechner vorkalkulierten Gefühlsausbrüche sind absolute Notfallmusik, wenn man etwa in einem Zug ein lautes Telefonat eines Mitreisenden übertünchen will. Kopfhörer rein, Celine an.
6 Kommentare mit 21 Antworten
Musik für AirBaeron und Paranoid_Android 1/5
Hä?
Und auch Musik für den lautuser, solange er die Videos ohne Ton gucken kann.
Altersklasse IZDA
Nix gegen Celine! Der Song/Video für Deadpool war geil, klar?!
https://youtu.be/CX11yw6YL1w
https://youtu.be/XQmI7hTE4Jw
Bruder, Vid ist in der Tag ganz amüsant, Track aber doch recht 0815, pls.
Ja, stimmt schon, trotzdem funny, weils halt so gar nicht zu Deadpool passt
Courage braucht man unbedingt wenn man sich an diese Platte ran wagt. Von daher ist der Albumtitel sensationell passend ausgewählt.
Courage braucht man auch, wenn man sich an deine Frau ran wagt.
Dieser Kommentar wurde vor 5 Jahren durch den Autor entfernt.
Ja, das stimmt. Dann gibts dann gehörig auf die Fresse.
Bullshit wie immer geschrieben... Deutsche hören und finden eh nur solche Songs oder Alben toll wie "Voice of Germany", "Big Brother" oder "Schni Schna Schnappi"
Wenn aber eine echte Sängerin mit einem mutigen und einfach unglaublig gutem Album kommt, dann wird das als "Geräuschstrom" oder "penetrant aufgesetzt" bezeichnet...
Kauft weiter die Alben von Matthias Reim und Tim Bendzko...
Aber ich mag Reim und Forster nicht. Kann ich stattdessen auch die Alben von z.B. FKA Twigs hören?
So viel Schwachsinn in nur drei Absätzen, chapeau!
Unglaublig!
Hab den Beitrag gemeldet, verstößt eindeutig gegen die Hausordnung.
- FKA Twigs
- Michael Kiwanuka
- Vandalsimus
3 Top Dinger in den letzten paar Tagen rausgekommen.
Celine Dion gehört da selbstverständlich nicht dazu die soll einfach weiterhin in ewiger Dankbarkeit James Cameron den S****** lutschen
Ungehört 1/5
Houston ist tot, Carey ist verrückt und Dion kann froh sein, dass sich überhaupt noch jemand an sie erinnert.
Mariah Careys letztes Album fand ich ziemlich nice und die meisten Kritiker sahen das ähnlich. War für mich eine der größeren Überraschungen letztes Jahr, da ich mit der Dame sonst nichts am Hut habe.
Das Album war okay, aber nicht mehr. Als Texterin ist Carey btw sträflich unterschätzt.
Ändert außerdem nix daran dass Carey geistig mal sowas von durch ist.
Don't feed the troll
"... und Dion kann froh sein, dass sich überhaupt noch jemand an sie erinnert"
Konnte mit Dion nie was anfangen, aber hatte die nicht bis zuletzt über viele Jahre eine mega erfolgreiche Show in Las Vegas? Glaube die ist nach wie vor ne ziemlich große Nummer.
Britney hat afaik auch ne Vegas-Show. Allgemein sind Vegas-Shows eher sowas wie das Abstellgleis für einst relevante Künstler. Geld kommt rein, aber relevant in irgendeiner Form ist das halt nicht.
Naja, Lady Gaga hat auch 'ne Vegas-Show am laufen und die würde ich jetzt nicht gerade als unrelevant bezeichnen, auch wenn ihre erfolgreichste/populärste Zeit auch schon ein paar Jahre vorbei ist.
Aber ganz verkehrt ist das vielleicht auch nicht. Würde diese Vegas-Shows vor allem als Vehikel für Künstler, die sich zumindest irgendwann einmal einen großen Namen gemacht haben und ordentlich Publikum anziehen können, um ziemlich komfortabel sauviel Geld zu verdienen.
Rein musikisch ist dass dann natürlich tatsächlich ziemlich unrelevant/innovationsarm. Aber generell muss man schon ziemlich viel Zugkraft besitzen um so eine Show zu bekommen.
Mag ja sein, dass Celine Dion eine „echte Sängerin“ ist. Leider ist sie aber keine echte Musikerin. Ich empfehle Ihnen aus diesem Jahr die Alben von fka Twigs, Lana Del Rey, Weyes Blood, Big Thief, Little Simz zu hören oder, ja sogar die von Ariana Grande oder Taylor Swift - alles echte Musikerinnen statt Sängerinnen auf gehobenem Musicalniveau.
Ich finde das Album auch erstaunlich enttäuschend. Viele Liedern hinterlassen nicht den kleinsten Eindruck. Da hätte ich gern mehr Dance Pop wie "Flying On My Own" gehabt!