laut.de-Kritik

Die Hackschnitzelmanufaktur des Deutschrap.

Review von

Irgendwo habe ich gelesen, Azad reihe nur noch zusammenhanglose Wortfetzen aneinander. Fakt ist: Angesichts des offiziellen Debüts seiner Frankfurter Kollegen Celo & Abdi ist er ein Weltklasse-Storyteller. Aber es stimmt schon: Die Bankenstadt mags dieser Tage sprachlich unverschachtelt: Auch Haftbefehl – der redaktionsintern übrigens schwer polarisiert – legte mit "Kanackis" erst kürzlich die aktuelle Blaupause der FFM'schen Unterwelt-Grammatik vor.

Seine beiden Protegés stehen ihm dabei in nichts nach: "Hinterhofjargon" ist ein Deutschrap-Amalgam aus gefühlt drölf Sprachen, ein Mix von unter anderem Französisch, Englisch, Türkisch und Italienisch, gestreckt mit diversen, meinerseits nicht näher identifizierbaren Ostblock-Anleihen und verschnitten mit einer Kofferraumladung Ticker-Sprech. Anders ausgedrückt: Hackschnitzeldeutsch in bestem Bahnhofsviertel-Kolorit. Der Titeltrack, wohl eine Hommage an Big Ls "Ebonics", versucht dann auch gleich, mir das 'Interlingo'-Vokabular nahe zu bringen. Schwierig.

Erstaunlich, wie gut diese Phantasiesprache, so man sich denn auf sie einlassen mag, dennoch funktioniert: Das Kopfkino zeigt ab Minute eins einen glaubwürdigen Unterwelt-Film, der triefenden Pathos erfreulicherweise missen lässt. Es stimmt, dass Hip Hop in Deutschland sich gerade wieder eklektischer, vulgo: weniger aggro gibt. Celo & Abdi fügen diesem Gesamtbild nichtsdestotrotz erfolgreich den auch 2012 nicht wegdiskutierbaren Mosaikstein 'Gangsterrap' hinzu: Esperanto für die Straße.

Man nimmt den beiden ihre wenig verkopften Geschichten gerne ab, denn das mit stolz geschwellter Immigranten-Brust vorgetragene und dabei hochkomplex gebrochene Deutsch auf den von M3 produzierten Beats unterhält gut. So zum Beispiel "Hektiks" und "Parallelen": Elektronisch, monoton und düster untermauert ein fantastisch wummerndes Fundament den aggressiv-abgehakten Vortrag. Aussage? Ja, irgendwas mit gefährlich.

Die eigenwillige Art, Lebensweisheiten zu verkünden verträgt sich leider nicht mit jedem – wenn auch noch so guten – musikalischen Unterbau: Für "Über Wasser Halten" zum Beispiel hat sich M3 ein souliges Bobby-Womack-Sample geschnappt und daraus ein sensationelles Westküsten-Surfbrett von einem Beat geschnitzt. Nur leider wollen Celo, Abdi und ihre krummen Dinger ums Verrecken nicht unter die akustischen Palmen passen.

Besser macht es das "Traffic Cartel": Begleitet von einem tragischen Schifferklavier bescheren Waffenschmuggel und Drogenverschiffen gleich deutlich mehr Spaß. Und wenn Mama kommt, weil in der JVA "Besuchstag" ist, dürfen es sogar mal vollständige Sätze sein: Auch die, wenn man so will, 'emotionaleren' Momente auf "Hinterhofjargon" geraten nicht ausgedacht, aufgesetzt oder gar peinlich – sehr viel mehr allerdings auch nicht.

Der eigentliche Clou liegt aber darin, dass die zwei Delinquenten trotz oder gerade wegen ihrer speziellen Art und Weise erfreulich authentisch und obendrein sympathisch rüberkommen. "Last Action Hero" illustriert dies schön: Auf einem launigen Beat, zusammengeschraubt aus "Flash" von Queen, stilisieren sich die zwei zu gesetzeswidrigen Superhelden: "Von allen Beschützern / Bin ich / Der Einzigste / der wirklich / und kein Film ist". Liest sich komisch, klingt aber super.

Die vielen Gastauftritte von Baba Haft, Knacki Xatar und Rotlicht-Expertin Schwesta Ewa tun dem Album indes gut: Nicht, dass die Vorgenannten lyrische Meisterleistungen vollbrächten – ganz im Gegenteil – aber während einer Stunde gemetzgertem Satzbau à la "Inn'stadt City / Mach Rap / Gypsies / Balkan, Sintis / Ankara Gin-Gin / Von Panama bis Rhein-Main Airport / Gutes / Pures / Nur wenn Du mehr holst / Représent F-F-M ..." ist jede Abwechslung ein gern gesehener Gast.

Es bleibt abzuwarten, ob sich die unorthodoxe Sprach- und Raptechnik auf längere Sicht eine Nische erarbeitet, die groß genug ist für mehr als den Ober-Azzlack Haftbefehl. Kurzweilige Unterhaltung bietet "Hinterhofjargon" mit seiner energischen Andersartigkeit auf jeden Fall. Ob das Album einen nennenswerten Beitrag zur Völkerverständigung leistet, wage ich nicht zu beurteilen, aber gelernt habe ich von Abdi immerhin etwas: "Ich bin Hood-Translator / Eintopf nennt man bei uns Marmita".

Trackliste

  1. 1. Intro
  2. 2. Hinterhofjargon
  3. 3. A2zlack
  4. 4. Über Wasser Halten
  5. 5. Traffic Cartel
  6. 6. Hektiks
  7. 7. Durchsuchungsbefehl
  8. 8. Besuchstag
  9. 9. Parallelen
  10. 10. Was Hat Sich Verändert?
  11. 11. Frauen
  12. 12. Last Action Hero
  13. 13. Streetfighter II
  14. 14. Skit
  15. 15. In Meinem Land
  16. 16. Outro

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