laut.de-Kritik

Den Briten gelingt gerade noch rechtzeitig die Kehrtwende.

Review von

Es fällt so leicht, Coldplay aus tiefster Seele zu hassen. Aus den zurückhaltenden Briten, die mit "Parachutes" vor langer Zeit zusammen mit Travis und den Kings of Convenience das Leise als neues Laut zelebrierten, war auf seltsamen Umwegen ein weichgezeichneter U2-Klon mit der Ausstrahlung einer Salatschüssel geworden. Selbstverliebt tanzten sie zuletzt unter kunterbunten Riesenluftballons und Papierschmetterlingen durch die großen Stadien. Im Garten des Alltäglichen legten sie sich gar mit Rihanna ins Bett. Nun folgt der längst fällige Richtungswechsel.

In der Embryonalstellung zusammengekauert lehrt Chris Martin die Anatomie der Melancholie. Seiner vergangenen Beziehung zu Pepper Potts Paltrow nachtrauernd, leckt er gebrochen und von Sehnsucht erfüllt seine Wunden. Hier bleibt kein Platz mehr für das "Para-Para-Paradise". Stattdessen bremst er "Ghost Stories" mit seinem versunkenen Falsett und isoliertem Klavier immer weiter ab, bis es in "Midnight" letztlich still steht.

Seine Band folgt ihm auf diesem Weg herrlich unverkrampft. Die ausufernden Stadion-Refrains von "Mylo Xyloto" haben weitgehend Hausverbot. Nur "A Sky Full Of Stars" zwängt sich noch einmal durch ein offenes Fenster in der Rumpelkammer herein. Zartgliedrig und gläsern spielen Coldplay mit ihrer eigenen Vergangenheit, bis von ihnen nicht mehr übrig bleibt als ihre eigenen Geister, ihre "Ghost Stories". Die vier eben noch so aufgeblasenen Egos in selbst gehäkelten Armeeuniformen offenbaren sich dabei von ihrer verwundbarsten Seite, legen sich auf den Rücken und zeigen ihren verletzlichen Bauch. Es wäre das Einfachste, nun zum lange erhofften finalen Schlag auszuholen. Viel mehr Überwindung kostet es hingegen, über der eigenen Schatten zu springen und Coldplays neu gefundene Zerbrechlichkeit zu genießen.

Wie nach einer gescheiterten Beziehung stehen sie auf diesem Übergangs-Album auf wackeligen Füßen, suchen Halt, Vertrauen und Geborgenheit. Um "Ghost Stories" zu verstehen, sollte man sich vom Konzept der einzelnen Tracks entfernen. Viel mehr auf Atmosphäre als auf den separaten Song ausgelegt, fügt sich ein verschlungenes Gebilde zusammen, das mehr Brian Eno in sich trägt als das vom Ambient-Innovator produzierte "Viva La Vida Or Death And All His Friends".

Das dieses Album als Ganzes funktioniert, obwohl elf Produzenten ihre Finger im Spiel hatten, grenzt fast an ein Wunder. Timbaland lässt sich zum Glück nur anhand des druckvollen Basses im elektronischen Gerüst des ansonsten von Gitarren und überzuckerten Streichern getragenen "True Love" erahnen. "Tell me you love me/ If you don't then lie to me", fleht Martin.

Erst im Zusammenspiel und der direkten Gegenüberstellung mit "True Love" entfaltet "Midnight" seine ganze Größe und bietet eine Skizze der dunkelsten Stunde. Jon Hopkins, der letztes Jahr mit "Immunity" endlich aus dem Dämmergrau heraus trat, überwacht das mit feenhaften Synthesizern und schwer greifbarem Sog ausgestattete Stück als neuer Eno. "In the darkness before the dawn / In the swirling of the storm / When I'm rolling with the punches and hope is gone / Leave a light a light on."

Nachdem Chris Martin in einem Tweet "Madness" überschwänglich als besten Muse-Song abfeierte, lässt sich die Ähnlichkeit zu ihrem "Magic" nicht von der Hand weisen. Doch wo Muse auf "The 2nd Law" ihrem zusammengeklauten Flickwerk mit einer gigantisch aufgeblasenen Produktion jede Luft zum Atmen nahmen, lassen Coldplay, ähnlich zu The XX, das mit mechanischem Beat und pulsierender Bassline geschmückte Lied in seiner Nacktheit zurück. Leider zeigt sich mit den nun im Mittelpunkt stehenden klischeebeladen Texte so auch recht deutlich eine der größten Schwachstellen von "Ghost Stories". "Call it magic / Call it true / I call it magic / When I'm with you / And I just got broken / Broken into two / Still I call it magic / When I'm next to you / … Ooh ooh ooh / Ooh ooh ooh."

Zudem versemmeln die Briten die Chance einer komplett in sich geschlossenen Platte auf der Zielgeraden. Das schauerliche "A Sky Full Of Stars" hämmert mit billigsten Avicii-Beats für vier Minuten jegliches Ambiente in den Sangria-Eimer. Dem unnötigen "Every Drop Is A Waterfall"-Ableger fehlt jeder Hauch einer nur im Ansatz mitreißenden Melodie. Ohne Rücksicht auf Verluste reißen die Mannen um Chris Martin den bis hier hin enttäuschten "Mylo Xyloto"-Fan auf ihre Seite. Ein berechnender Zug, der "Ghost Stories" völlig unnötig seiner Ausgewogenheit beraubt.

Ganz im Gegensatz dazu gelingt Coldplay mit dem finalen "O" ihr ergreifendster Moment seit "A Rush Of Blood To The Head". Mit fragilem Optimismus schließt die zurückhaltende Klavier-Ballade mit ihrem elysischen Outro die Klammer, die der Opener "Always In My Head" öffnete. Chris Martin lässt los und lernt zu akzeptieren, dass nichts auf unserer Welt für die Ewigkeit geschaffen ist.

Mit dem nachdenklichen "Ghost Stories" schaffen Coldplay gerade noch rechtzeitig die unerwartete Kehrtwende. Wenn Musik zum Bügeln so klingt, stelle ich mich gerne zu der oft zitierten Hausfrau und helfe ihr beim Hemden zusammenlegen.

Trackliste

  1. 1. Always In My Head
  2. 2. Magic
  3. 3. Ink
  4. 4. True Love
  5. 5. Midnight
  6. 6. Another's Arms
  7. 7. Oceans
  8. 8. A Sky Full Of Stars
  9. 9. O

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22 Kommentare mit 46 Antworten

  • Vor 10 Jahren

    Is mir scheiss egal wie das Album ist. Aber diese abgrundtief beschissene Single geht mir so auf den Sack. Mal im Ernst:Wer hört sich sowas gerne an? Nicht nur dass das Lied sowas von langweilig ist fängt der auch noch an wie ein grenzdebiles Baby in einer übertrieben hohen Stimme Ma ma ma magiiihiic zu säuseln. Wer sowas geil findet, der guckt sich wahrscheinlich auch zerbeultes Metall an und feiert es als Kunstwerk.

    • Vor 10 Jahren

      ... oder liest sich Kommentare von Sancho durch.

    • Vor 10 Jahren

      hör dir mal death cab for cutie oder portugal the man an, da geht dir bestimmt auch einer bei ab.
      muß mich echt schämen das ich die drei ersten annihilator zum zeitpunkt ihres erscheinens gekauft habe.
      ich geh mal das nächste zu schrott gefahrene als kunstwerk feiern.

    • Vor 10 Jahren

      Uuuh anscheinend hab ich da nen Nerv getroffen. Und wer sich über getroffene Entscheidungen schämt, der scheint nicht viel Selbstvertrauen zu haben. Aber bitte, erkläre mir doch warum es dich erfreut jemanden zuzuhören wie er mit der Motivation eines Finanzamtpförtners vor sich hinjammert und dann auch noch in eine kaum zu ertragende Tonhöhe wechselt.

    • Vor 10 Jahren

      die frage ist doch weniger warum er sich das anhört als warum dich das so provoziert. Musik von Colplay ist doch eigentlich dazu da egal zu sein, weiß gar nicht wie das so viele Emotionen egal in welche Richtung hervorrufen kann...

    • Vor 10 Jahren

      Ach ja, die kaum zu ertragenden Tonhoehen, in die noch kein Schwanzrocksaenger der Welt sich je zu singen gewagt hat.

    • Vor 10 Jahren

      Ja ich gebe zu, ich musste mit diesem Konter rechnen.

    • Vor 10 Jahren

      Sancho, du alter Musik-Nazi. :-D

    • Vor 10 Jahren

      " Musik von Colplay ist doch eigentlich dazu da egal zu sein"
      Fantastisch! :D

    • Vor 10 Jahren

      Welche Single meinst Du denn, Sancho? Die "...Stars" fand ich auch übelst beschissen wegen des billigen electro Gerüsts, aber alles davor release-te war doch verdammt gut.

    • Vor 10 Jahren

      mein lieber sandro ich schäme mich nicht für die annihilator platten in meinem schrank.
      ich schäme mich eher dafür, das so engstirnige menschen musiker favorisieren die ich in meinem plattenschrank stehen hab.
      aber das du das nicht vers6tehst war mir klar.

    • Vor 10 Jahren

      conchita WURST?

    • Vor 10 Jahren

      Ich bin engstirnig, weil ich Coldplay beschissen finde? Logische Schlussfolgerung. Ausserdem habe ich dir eine Frage gestellt.

    • Vor 10 Jahren

      nein, du bist engstirnig weil du jeden der nicht deine meinung vertritt "Wer sowas geil findet, der guckt sich wahrscheinlich auch zerbeultes Metall an und feiert es als Kunstwerk." als volltrottel hinstellst.
      wie so viele der selbsternannten musikprofessoren hier, die sich hier so oft gegenseitig einen von der palme wedeln.
      warum sollte ich auf deine frage antworten ? bin ich dein kleines hündchen das wuff macht wen du pfeifst ?
      genausogut könnte ich dir die frage stellen wie man 2014 jeff waters so dermaßen vergöttern kann ? sicherlich mag er ein begnadeter gitarrist sein, aber songschreiberisch hat er sein pulver schon längst verschossen und reitet nur noch auf selbstzitaten herum.

    • Vor 10 Jahren

      Ja das könntest du. Nur muss man Jeff Waters nicht im Radio hören oder? Ausserdem, stellst du hier gerade Leute die zerbeultes Metall als Kunstwerk feiern als Volltrottel dar. Nicht ich. Und über Entwicklungen von Musikern solltest du auch lieber nichts sagen. Immerhin hat dein heiss geliebter Chris Martin mit der Zusammenarbeit mit Rihanna nicht gerade Geschmack bewiesen.
      Ausserdem könnte ich auch sagen, dass ich mich schäme, dass jemand der mal so gute Musik wie Annihilator gehört hat, jetzt so ne beschissene Musik hört.
      Generell frage ich mich, wie jemand, der so eine langweilige Musik hört sich so empören kann. Dass du dazu noch den Elan findest. Das scheint wohl ma ma ma magiiihiiic zu sein...

    • Vor 10 Jahren

      "Generell frage ich mich, wie jemand, der so eine langweilige Musik hört sich so empören kann. Dass du dazu noch den Elan findest."
      Wie war das noch mit stille Wasser sind tief? Hoffe besser mal, dass die Hausfrauenbrigade Deine IP nicht ermitteln kann.

    • Vor 10 Jahren

      :D Aber weisste was? Ich höre gerade eine andere Single des Albums im Radio und die ist garnichtmal so schlimm. Ging mir hier ja wirklich um die Single. Achso Magic, um deine Frage zu beantworten.

    • Vor 10 Jahren

      man merkt förmlich wie wohl , du dich in diesem kindergarten fühlst sancho, zu dumm nur das ich mich nicht wirklich auf dieses spielchen einlasse
      nein natürlich sagst du nicht direkt das jemand ein volltrottel ist, aber indirekt.
      leb dein leben mal weiter so interessant, und reg dich jede woche, jeden monat, jedes jahr aufs neue über musik auf die dir nicht zusagt. scheint deine einzige befriedigung im leben zu sein.
      und weißt du was, ich hab so große eier, wenn ich was im radio höre, was ich eh kaum tue schalte ich einfach das radio ab, oder wechsel den sender. anstatt hier jedes mal aufs neu wie ein kleines baby dem man den schnuller geklaut hat rumzuheulen wie grausam die klänge doch für meine zarten öhrchen sind.
      mein heiß geliebeter chris martin rofl ich lach mich weg.
      erst einmal betreibe ich im gegensatz zu dir keine kultvereehrung, weil ich wie oben schon erwähnte eier besitze und keinen götzen zum anbeten benötige. und den magic song hab ich wunderlicherweise auch noch nie gehört stell dir vor.
      ich mußte erst auf deinen so wertvollen tip warten um auf den song aufmerksam zu werden. genauso wie mir coldplay eigentlich völlig egal sind. aber hauptsache du und deine freunde wissen bescheid.
      viel spaß beim wedeln, kannst dir ja n rihanna poster vor die brille hängen, stehst du ja drauf.

    • Vor 10 Jahren

      Die Frage ist eher, warum jemand 2014 noch Radio hört und dabei auch noch ernsthaft gute Musik erwartet.

      Internet killed the radio star oder so.

    • Vor 10 Jahren

      ganz schwache Argumentation.
      "Schalt doch weg wenns dir nicht passt" und "oh mein Gott sei doch nicht so elitär" entkräftigt kein Argument seitens "klingt scheisse" ... und deine Position wird dadurch auch nicht grade gestärkt.

    • Vor 10 Jahren

      Eier, wir brauchen Eier...

    • Vor 10 Jahren

      Was ist den bittte an einer subjektiven völlig unfundierten "es klingt scheiße" kritik als so zwingendes argument hervorzuheben, das man sich ernsthaft damit auseinandersetzen sollte ? das ist eine subjektive meinung, meine subjektive meinung sieht nun mal anders aus.
      und der kernpunkt ist auch nicht das man das radio abstellt wenn einem etwas nicht gefällt.
      der kernpunkt ist das es durch das, internet leider sehr viele menschen gibt die der meinung sind sie müßten jeder ihrer ansichten auch jedem aufs brot schmieren.

    • Vor 10 Jahren

      @evelinge: glaub mir, hier ist keiner an einer sachlichen Diskussion interessiert, die meisten hier sind dazu auch gar nicht in der Lage. ;-)

    • Vor 10 Jahren

      Hey, Sancho, danke ... erst durch Deinen Kommentar wurde ich auf "magic" aufmerksam ... gefällt mir gut, wäre mir ohne Dein Genörgel womöglich entgangen.

    • Vor 10 Jahren

      guerilla das weiß ich doch ich bin schon lange genug hier und ich kenn die ganzen pappenheimer.

    • Vor 10 Jahren

      Wow ich scheine dich geknackt zu haben :D

  • Vor 10 Jahren

    Bin ja echt angetan von dem Album, seit langem mal wieder ein Coldplay-Album, das über "auszuhalten" hinauskommt. Nur "A Sky Full Of Stars" ist wirklich eine einzige Unappetitlichkeit. Fuchtbare Nummer, total fehl am Platz und vielleicht sogar der schlechteste Coldplay-Song überhaupt.
    Der Rest geht zum Glück in die entgegengesetzte Richtung.

    • Vor 10 Jahren

      Oha, da fehlt ein "r" vor dem "echt" - es soll "recht" heißen!
      Ich find' das Album also schon ganz gut, überschlag' mich aber auch nicht vor Freude - hatte einen Tacken mehr erwartet nach den tollen Vorab-Häppchen ...

    • Vor 10 Jahren

      schlechtester coldplay-song bleibt für mich allerdings die rihanna-nummer. noch nicht mal wegen ihrem part, sondern weil der song einfach nicht gut ist. hat nicht einen guten moment.

    • Vor 10 Jahren

      Hm, naja, vielleicht. Die beiden Songs tun sich nicht viel, wenn du mich fragst.

  • Vor 10 Jahren

    So schlimm finde ich die Single gar nicht, obwohl ich Coldplay seit X&Y aber auch so gar nix abgewinnen kann.
    Ansonsten gestehe ich Chris Martin dieses Jahr mal ein, die Heulboje zu mimen: er hat immerhin Gwyneth Paltrow verloren. Eine verdammt gute Entschuldigung. :D

  • Vor 10 Jahren

    hier sind sie nicht so begeistert:

    Zitat (« Two years in the making, alternative rock band Coldplay’s new album, essentially a concept piece about Chris Martin’s break-up with Gwyneth Paltrow, has certainly garnered a number of extremely favourable reviews. In today’s harsh critical climate when major groups can expect to be torn to pieces by a fearless music press regardless of the consequences, that’s remarkable indeed. It’s all the more remarkable given that all things considered, Ghost Stories is from its arse to its f***ing elbow, one, long stagnant f***ing pool of premium grade f***ing cockwash! I would rather chew off my f***ing scrotum than ever listen again to this boneless f***ing melange of morose f***ing piss-shit! I would rather eat an entire f***ing yurt, washed down with f***ing beige paint recently shat out of an incontinent yak’s anus! Put it this way; so remorselessly insubstantial is this album that if it were submitted to the f***ing British Homeopathic Association as a f***ing potential remedy, they’d f***ing knock it back, saying: “No good, mate. You’ve over-diluted it, you silly twat!” »):

    :koks:

    http://thequietus.com/articles/15274-coldp…

  • Vor 10 Jahren

    in einer perfekten welt haben sich coldpay ach a rush of blood aufgelöst

  • Vor 9 Jahren

    Schade, dass Coldplay die "Ghost Storys" damals nicht vollzählig bei Spotify eingestellt haben, da hätte sich vielleicht doch mancher alter Fan zum Kauf entschieden. Aber selbst meine Lieblinge von Elbow waren nicht immer geschmackssicher und daher hoffe ich weiter, dass Coldplay sich auf das zurückbesinnen, was sie am besten konnten: melancholischer Artrock irgendwo zwischen Floyd und Genesis-ende-der-70er