laut.de-Kritik

Jubiläumsausgabe mit tollem Zusatzmaterial.

Review von

Ein halbes Jahrhundert später ist es immer noch wundersam, welche Kraft und welche Harmonie in der Kombination der Stimmen von David Crosby, Stephen Stills und Graham Nash steckte. Ihr Debüt "Crosby, Stills & Nash" nahmen sie 1969 wie im Rausch auf und hatten damit einen Riesenerfolg. Der Beginn einer großartigen Karriere? Ja, aber auch von epischen Streitigkeiten. Liebeskummer, Drogen und aufgeblasene Egos passen eben nicht gut zusammen.

Zunächst hatten sie das Problem, dass Stills das Album fast im Alleingang aufgenommen hatte. Crosby und Nash spielten natürlich auch Gitarre, Nash dazu noch Klavier, aber für Stills nicht gut genug. Schlagzeuger (Dallas Taylor) und Bass (Greg Reeves) waren gesetzt, doch sollte ein weiteres volles Mitglied als vierter Buchstaben zu CSN dazukommen. John Sebastian wäre ein Kandidat gewesen, sagte aber ab. Stills reiste nach England, um Steve Winwood zu überreden, ging aber ergebnislos, nachdem sich dieser im Bad eingeschlossen hatte. Jimi Hendrix stand auch auf der Liste, doch Stills traute sich nicht, ihn zu fragen. Schließlich kontaktierte er Neil Young, mit dem er bei Buffalo Springfield gespielt - und gestritten - hatte. Er sollte nun die Orgel übernehmen, doch kam schnell die Gitarre hinzu.

Dass die Zusammenarbeit außergewöhnlich würde, zeigte sich schon bei ihrem zweiten gemeinsamen Auftritt, der zur Legende wurde: am 18. August 1969 standen erst CSN, dann CSN&Y auf der Bühne in Woodstock. Da hatten sie Album Nummer zwei bereits in Angriff genommen.

Eine der zentralen Figuren, ohne selbst eine Note zu singen oder zu spielen, war Joni Mitchell. Mit Nash liiert, verzichtete sie auf ihren Auftritt in Woodstock, weil sie abends für eine Fernsehshow gebucht war. Während sie im Radio ungläubig die Nachrichten von den Hunderttausenden Menschen hörte, die sich auf den Weg in die kleine Ortschaft nördlich von New York gemacht hatten, setzte sie in ebenjener Metropole ans Klavier ihrer Suite und schrieb das Lied "Woodstock". Als Nash und die Jungs wieder zurückkamen - mit dem Hubschrauber - war noch genügend Zeit bis zur TV-Sendung. Die sie crashten, bevor sie sich auch das Lied schnappten.

Eine der vielen schönen Geschichten, die Cameron Crowe im Begleittext zu dieser Jubiläumsausgabe beisteuert. So rockig "Woodstock" daher kommt, so folkig-romantisch ist "Our House". Mitchell hatte bei einem Trödler eine Vase gekauft. Während sie in ihren Garten im Laurel Canyon in Los Angeles Blumen pflückte, setzte sich Nash ans Klavier, erzählte die Umstände in der ersten Strophe und dichtete im Anschluss eines der schönsten Liebeslieder überhaupt.

Doch die Harmonie war trügerisch. Die Beziehung ging während der Aufnahmen in die Brüche, ebenso die von Stills mit seiner Freundin Judy Collins, die er noch auf dem Debütalbum besungen hatte. Crosby war am Boden, nachdem seine Lebensgefährtin bei einem Autounfalls ums Leben gekommen war. Young kam und ging, da er nebenbei noch mit den gerade gegründeten Crazy Horse und solo zu tun hatte. Entsprechend zäh verliefen die Aufnahmen, die sich über Monate zogen und meist getrennt voneinander stattfanden.

Stills hielt wie schon beim Debüt die Fäden zusammen. Er wollte die Band rockiger und vetrackter machen, was sich gleich im Opener "Carry On" zeigte, eine Vermischung verschiedener Lieder und Stimmungen. So wie bei "Suite: Judy Blue Eyes" auf dem Debütalbum, auch wenn es hier eher wie Led Zeppelin klang. So sehr, dass sich Plant, Page und Co. von diesem Stück zu "Friends" auf ihrem dritten Album inspirieren ließen.

Wie CSN mittendrin a Capella "Carry on / Love is Coming / Love is Coming to us all" anstimmen, erzeugt nach wie vor Gänsehaut. Doch waren CSN&Y ein mehrköpfiges Biest und entsprechend musikalisch aufgestellt. Nashs folgender Beitrag, die einfache Folk-Nummer "Teach Your Children", betteten sie in ein schunkeliges Country-Arrangement. Crosby dagegen war bei den Aufnahmen zum bluesigen "Almost Cut My Hair" angepisst und vermutlich angetrunken, so wie er klingt. Ganz im Gegensatz zu Young, der mit "Helpless" eines seiner zärtlichsten (und bekanntesten) Stücke lieferte.

Seite eins endet mit Mitchells "Woodstock" in einer rockigen Version. Auf CD geht es fast nahtlos in den Titeltrack "Déjà Vu" über, auf dem CSN stimmlich zu Höchstform auflaufen, während Stills eine dichte Begleitung auftischt, die sehr ans Los Angeles Ende der 1960er erinnert. Doors? Grateful Dead? Beide klanglich dabei. Jerry Garcia spielte übrigens Pedal Steel in "Teach Your Children".

Auf "Our House", das nach wie vor zum Dahinschmelzen ist, folgt das ebenso einfach instrumentierte, von der Stimmung aber entgegengesetzte "4 + 20". Stills hatte es alleine an der Gitarre aufgenommen, mit dem Gedanken, dass Crosby und Nash ihre Stimmen hinzufügen würden. Diese aber weigerten sich, weil sie meinten, das Stück sei schon perfekt. "Embrace the many colored beast / I grow weary of the torment, can there be no peace? / And I find myself just wishing that my life would simply cease", lautet die letzte, bleischwere Strophe.

Entbehrlich fällt dagegen Youngs "County Girls" aus, das in dieselbe Kerbe schlägt wie wenig später "A Man Needs A Maid" und ähnlich überfrachtet ist. In "Everybody I Love You" gibt der Kanadier mit Nash dagegen nochmal Vollgas - es war das erste Stück, das sie mit den anderen zu Beginn der Sessions gemeinsam aufgenommen hatten.

Als das Album am 28.12.1969 fertig war, waren alle fertig. Auch das Jahrzehnt, und mit ihm ein Gefühl der Leichtigkeit. Die 1970er brachten harte Drogen und viele Tote im Musikbusiness. CSNY verzweifelten an ersteren und blieben von zweitem verschont, auch wenn Crosby hart daran arbeitete, sich zu Hendrix, Joplin oder Morrison zu gesellen. Das Album verkaufte sich zwar wie warme Semmeln und die Tour war ein Riesenerfolg, die Beteiligten erinnern sich vermutlich aber eher an die Ausfälle. Erst flog Bassist Reeves aus der Band, dann Schlagzeuger Taylor. Kurz sogar Stills, der den anderen mit seinen immer längeren Soloeinlagen auf die Nerven ging.

Am Ende gingen sie getrennte Wege. Für eine Weile, zumindest. Doch waren und bleiben sie großartige Musiker. Das zeigt das Bonusmaterial dieser Jubiläumsausgabe, die neben der remasterten Album auf Vinyl auch vier CDs bietet (auf der offiziellen Bandseite ist auch eine 5-LP-Version erhältlich). Besonders schön sind die Demos auf CD 2, bei denen die Mitglieder die Stücke alleine auf der Gitarre bzw. dem Klavier spielen und sich an ersten Harmonien versuchen. Manche Lieder gerieten in Vergessenheit, andere landeten auf Soloalben. Wie sich die Stimmen von Crosby und Nash in "Song With No Words (Tree With No Leaves)" verweben, ist wunderbar. Ganz zum Schluss ist sogar Joni Mitchell zu hören, die Nash auf "Our House" begleitet und zwischendrin laut lacht, als er sich verspielt. Leider in einer miesen Tonqualität, dennoch ein bezauberndes Zeugnis.

CD 3 "Outtakes" bietet ausgearbeitete Lieder, die es nicht aufs Album schafften, während die vierte alternative Versionen der Albumstücke enthält, gnädigerweise ohne "Country Girl".

Beim Hören stellt sich die Frage, warum CSNY damals nicht einfach ein Doppelalbum veröffentlicht haben. Material wäre ja genügend vorhanden gewesen, aber vermutlich wären sich die Beteiligten dann schon im Studio an die Gurgel gegangen. Wie dem auch sei - auch so erreichte "Déjà Vu" die Spitze der US-Charts und blieb 88 Wochen lang gelistet. Heute dürfen wir uns freuen, mit dieser Ausgabe auf Entdeckungstour gehen zu können.

Trackliste

Album

  1. 1. Carry On
  2. 2. Teach Your Children
  3. 3. Almost Cut My Hair
  4. 4. Helpless
  5. 5. Woodstock
  6. 6. Déjà Vu
  7. 7. Our House
  8. 8. 4 + 20
  9. 9. Country Girl
  10. 10. Everybody I Love You

Demos

Outtakes

Alternate Takes

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