laut.de-Kritik

Immer noch ungewöhnlich: Laupers Debüt bleibt frisch, frech und feministisch.

Review von

Ein Jahr nachdem Madonna ihr selbstbenanntes Debüt-Album veröffentlichte, tauchte eine gewisse Cyndi Lauper aus New York auf, die ihr Erstlingswerk selbstbewusst "She's So Unusual" nannte: Und ungewöhnlich war diese Pop-Sängerin mit kieksender Stimme und knallbunten Outfits im extrovertierten Eighties-Musikzirkus allemal, zumal Lauper spielerischen Pop mit subversiven Botschaften verbindet. Sie tritt anarchisch bis albern auf, Eigenschaften, die sie zu einer Art Anti-Madonna machen, der in ihrer Wandelbarkeit eines fehlt: Humor und Haltung.

Der überpoppige und übersprudelnde Megahit "Girls Just Wanna Have Fun" zeigt dies mit seiner feministischen Message, und noch mehr die zweite Single-Auskopplung "She Bop". Der Track ist die weibliche Antwort auf Billy Idols "Dancing With Myself" (im Jahr 1980 erschienen), in dem es nur vorgeblich um das Tanzen mit sich selbst geht.

Lauper singt in "She Bop" ziemlich uncodiert über weibliche Selbstbefriedigung und sorgt damit natürlich für eine Kontroverse sowie den in den Achtzigerjahren unvermeidlichen "Parental Advisory"-Aufkleber, der aber eigentlich schon andere KünstlerInnen in den Augen der Fans eher adelte, denn tadelte wie ebe auch Madonna, Prince oder AC/DC. Die Aufregung um den Text wurde noch größer, als Lauper verkündete, sie habe ihn nackt eingesungen.

Um die erhitzten Gemüter wieder zu beruhigen, griff sie zur Billy-Idol-Strategie und erklärte, Kinder könnten doch daran glauben, dass es im Song ums Tanzen gehe, und wenn sie älter würden, die zweite Ebene verstehen. Cleverer kann man Popmusik eigentlich nicht erklären.

Auch das Musikvideo zum Welthit spielt mit der tiefliegenden sexuellen Anspielung auf Masturbation, so liest Lauper in einem homoerotischen "Beefcake"-Magazin mit halbnackten Männern, und das Self-Service-Schild an einer Tankstelle steht dort auch nicht umsonst. Sie trägt dunkle Sonnenbrillen und einen Blindenstock – eine Anspielung auf den Mythos, Selbstbefriedigung mache blind. Onkel Siggy alias Sigmund Freud spielt im Clip ebenfalls mit. Physisch psychologischer Pop plus der treibende New Wave von "She Bop" machen das Stück zu einem der besten Tracks der Dekade.

Doch das Debüt Laupers kann auch leise, das beweisen die eindringlichen Balladen auf dem Album. Allen voran natürlich "Time After Time": Den Titel lieh sie aus einer Fernsehzeitschrift, wo sie von dem gleichnamigen Science-Fiction-Film las, in dem eine Zeitmaschine eine Rolle spielt. Das Thema wird mit Drums, die einem Uhrticken gleichen, aufgenommen, im Text geht es um eine zeitlose Liebe. Der Song gilt vielen als stärkstes Stück nicht nur des Albums, sondern auch von Lauper selbst und mittlerweile als Klassiker.

Wie ungewöhnlich Laupers Debüt ist, zeigt, dass es keinen gleichnamigen Titelsong gibt, sondern einen Track namens "He's So Unusual": Dabei handelt es sich um ein obskures Cover, im Betty-Boop-Style von ihr gesungen und auf 45 Sekunden gekürzt. Mit dem Eingangsrocktrack "Money Changes Everything" von Tom Gray und "When You Were Mine" von Prince gibt es übrigens noch zwei weitere Coverversionen auf dem Album. Das Original zu "He's So Unusual" aus dem späten 1920er Jahren stammt von Helen Kane, die als Inspiration für die Comicfigur Betty Boop gilt und die den "Boop" in die Musik brachte – am bekanntesten im Lied "I Wanna Be Loved By You", berühmt geworden durch Marilyn Monroe.

In ein paar Sekunden degradiert Cyndi Lauper hier also das "He", und verweist auf die vielen "Shes" in der Musikgeschichte. Und "She's So Unusual" hat mittlerweile mit seinem zeitlosen, frischen und frechen Mix aus Pop, Rock, Ska, Synthpop und New Wave sowie Laupers einzigartiger überdrehter Sixties-Girl-Group-Stimme ebenso seinen festen Platz in der Musikgeschichte.

In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.

Trackliste

  1. 1. Money Changes Everything
  2. 2. Girls Just Want to Have Fun
  3. 3. When You Were Mine
  4. 4. Time After Time
  5. 5. She Bop
  6. 6. All Through the Night
  7. 7. Witness
  8. 8. I’ll Kiss You
  9. 9. He’s so Unusual
  10. 10. Yeah Yeah

Videos

Video Video wird geladen ...

Weiterlesen

LAUT.DE-PORTRÄT Cyndi Lauper

Im oftmals tristen Pop-Einerlei der 80er Jahre erscheint Cyndi Lauper wie ein erfrischender, beherzter Griff in den Farbtopf. Eine wild auftoupierte, …

10 Kommentare mit 3 Antworten

  • Vor 4 Jahren

    Miles Davis hat ja etwas mehr als ein Jahr später nach dem Release ein Cover von "Time After Time" eingespielt. Schon alleine deswegen hat Cyndi Lauper Kultstatus.

  • Vor 4 Jahren

    Hab die Dame mein Leben lang ausschließlich übers Radio wahrgenommen und dabei im Geiste dann irgendwann auch nur noch abgewunken. Standard-Hitmix mit dem Besten aus... blablabla. Bedingt durch Youtube hab ich über die letzten Jahre aber auch mal Interviews etc. angesehen (Howard Stern etc.) und dabei in jedem Falle Sympathie für Cyndi Lauper entwickelt.
    Vor drei Jahren geschah dann das absolut unerwartete: In einer langen und emotionalen Nacht, in der ich mir die letzten Folgen und insbesondere das Staffelfinale von Stranger Things 2 ansah, nahm ich erstmalig "Time After Time" mit ganz anderen, neuen Ohren wahr. Ich hab das Lied erstmals RICHTIG gehört, richtig wahrgenommen und möglicherweise durch die Verbindung zu der tollen Snowball Dance-Szene plötzlich eine tiefe Begeisterung dafür gespürt. Runtergebrochen auf den puren Song und abgetrennt vom Hitradio - was für ein brillanter Popsong!

    Gleiches gilt übrigens für "Every Breath You Take", das ich durch das Finale nochmal ganz neu für mich entdeckt hab. Vielleicht lag es an den von mir genutzten sehr guten Kopfhörern, aber plötzlich hab Elemente rausgehört, die mir bisher völlig verborgen geblieben waren. Das Piano im mittleren Teil und insbesondere die einsetzende sägende Gitarre von Andy Summers im letzten Drittel hab ich übers Radio nie richtig wahrgenommen, aber, damn, das hat mich richtiggehend umgehauen. Es ist ja nichtmal so, dass ich den Song vorher schlecht fand - wenn man den aber plötzlich mit ganz anderen Ohren und ganz anderer Aufmerksamkeit hört, wahnsinn.

    Hab sowohl "Time After Time", als auch "Every Breath You Take" in den Tagen und Wochen danach gesuchtet wie sonst nichts. Hätte mir das vorher jemand gesagt, dann...^^

    Ich bezweifle, dass ich mich jemals großartig in den Backcatalogue von Cyndi Lauper reinhöre, aber einerseits feiere ich "Time After Time" bis heute derbe und weiterhin - ganz ehrlich - ausschließen sollte ich das in jedem Falle auch nicht mehr.

  • Vor 4 Jahren

    Epische Platte. Cindy ist eine der wenigen Sängerinnen, die sich nicht total verheizen ließen in der Hölle von Musikgeschäft.

  • Vor 4 Jahren

    Nicht dass es wichtig wäre, aber:
    meines Wissens (das wurde in einer Zappa-Biographie mal ausführlich dargelegt) wurde der Parental advisory Sticker erst als Reaktion auf den Song Darling Nikki vom Prince-Album Purple Rain eingeführt (auf Initiative der Gattin von Al Gore) - das Album ist aber erst im Jahr nach She's so unusual veröffentlicht worden.

    Aber es ist natürlich gut möglich, dass das Album nachträglich mit dem Aufkleber "ausgezeichnet" wurde.

  • Vor 3 Jahren

    War auch 1983 nur eines: ABSOLUT NERVIG - und bis heute zu 100% überbewertet ...