laut.de-Kritik
Wie viele Tränen hat Rick Rubin wohl vergossen?
Review von Kai ButterweckDer Herbst ist da, die Blätter fallen von den Bäumen und oben am Himmelszelt kämpft die Sonne verzweifelt gegen schwarzgraue Wolken. Wenn sich der Sommer verabschiedet und den tristen, nasskalten Monaten Platz macht, wechselt auch in der Musikbranche die Stimmung. Statt hibbeliger Muntermacher-Sounds rückt schluchzende Melancholie in den Vordergrund. Plötzlich hat das Singer/Songwriter-Genre wieder Hochkonjunktur.
Einer der wohl elegischsten Trübsal-Barden des neuen Jahrtausends hört auf den Namen Damien Rice. Der Ire hat aber lange nichts mehr von sich hören lassen. Acht Jahre, um genau zu sein: eine ungewöhnlich lange Zeit für einen Mann, der nach der Veröffentlichung seines letzten Albums mit Platin-Ehren und Award-Nominierungen eingedeckt wurde.
Nun geht er aber wieder an den Start, im Gepäck ein Album, das im Grunde genau da weitermacht, wo sein letztes Werk "9" im November 2006 aufgehört hat.
Abermals suhlt sich der Insulaner in tiefgründigem Zweisamkeits-Schmerz und gewährt jedem noch so versteckten Leid in seinem Inneren den Weg nach draußen. Das machen viele seiner ähnlich gestrickten Kollegen auch, doch verfügt scheinbar nur Damien Rice über diese alles in Grund und Boden triefende pure Melancholie.
Auch auf seinen ersten beiden Alben benötigte der Ire keine flächendeckenden Refrains um zutiefst zu berühren. Es war eher die Melange aus dynamischen Background-Wechseln und seiner leidenden Stimme, die der Taschentuch-Industrie Rekordumsätze bescherte.
Radiotaugliche Harmonien sucht man auch auf seinem neuen Album vergebens. Songs, wie das sich im Mittelteil kratzig aufplusternde fast zehnminütige "It Takes A Lot To Know A Man" oder die wahlweise mit Piano- oder zarten Gitarren-Klängen untermalten "The Greatest Bastard" und "Colour Me In" brauchen auch keine pompösen Arrangements, um beim Hörer tiefste Gefühle in Wallung zu bringen. Ein Klavier, eine Akustik-Gitarre und hin und wieder eingeworfene Streicher-Flächen: Mehr passiert hier nicht. Aber es reicht aus.
Damien Rice quält sich, hofft und fühlt mit jeder Faser seines Körpers. Selbst ein für seine Verhältnisse fast schon beschwingtes Stück wie das mit groovigen Rhythmen unterlegte "I Don't Want To Change You" hinterlässt den Hörer nachdenklich.
Jetzt wüsste ich nur noch gerne, wie viele Tränen Produzent Rick Rubin am Ende dieser Aufnahmen vergossen hat. Eine dicke? Sturzbäche gar? Ganz ohne Taschentücher ist der bärtige Regler-Guru bestimmt nicht ausgekommen.
6 Kommentare mit 4 Antworten
großartiges album, von dem wohl selbst der größte die-hard fan nicht mehr gedacht hätte, dass es jemals gemacht werden und rauskommen würde.
umso schöner, dass es nahtlos an O und 9 anknüpft und letzteres langfristig wohl locker in die tasche stecken wird.
"it takes a lot to know a man" sticht mit seinen 10 minuten und 4 teilen heraus. wenn der erste teil nicht als radio-edit eine single wird, fress ich einen besen.
Damit habe ich tatsächlich nicht mehr gerechnet, "I Don't want to change you" hat mich tatsächlich nur in der live version gepackt, ansonsten nicht wirklich, allerdings muss man jemandem wie Damien Rice auch die Chance geben seine Musik im Album-Kontext zu präsentieren. Ich bin gespannt, ich lese nur gutes, aber ich bin nicht sicher ob ich da noch rein finde. Vor ein paar Jahren hätte ich es mir wohl blind gekauft.. Das Album kommt wirklich spät, vielleicht etwas zu spät...
hab die platte jetzt 3x gehört und irgendwie find ich die schwer zu verdauen. die vorgängeralben waren wesentlich zugänglicher meiner meinung nach. acht jahre auf acht neue tracks zu warten, wo am schema F nicht wirklich was verändert wurde, ist auch irgendwie bitter. Rick Rubin in allen ehren, aber da hatte ich mir mehr erwartet. 2, 3 songs find ich dann doch ziemlich gut, und handwerklich gibts ja beim herrn rice auch nix zu meckern, daher noch 3 sterne.
à propos gute folk/alternative-künstler, die seit gefühlt einem jahrzehnt kein solo-album mehr rausgebracht haben...
vorab-single vom neuen josé gonzález album:
http://www.npr.org/blogs/allsongs/2014/11/…
danke man!
vlt. macht dallas green ja auch nochmal etwas ohne seine band
Sehr gut, den hatte ich schon gar nicht mehr auf dem Radar. Junip war nie so meins aber die Soloalben liebe ich.
@weltraumaffe: genau meine rede. konnte mit junip auch nie was anfangen, mit den solo-sachen umso mehr.
Stream zum Album auf npr:
http://www.npr.org/2014/11/02/359335290/fi…
Da müssen sich Tool beim nächsten Album aber wirklich anstrengen, wenn sie die Trophäe für's beste Packaging einheimsen möchten. Die Holzbox ist mit Abstand das hübscheste Teil in meinem Plattenregal. Achja, Musik ist natürlich auch super, aber welchem Damien Rice Fan brauche ich das schon zu erzählen...