laut.de-Kritik
Eine gewisse Affinität zur Oper sollte man schon mitbringen.
Review von Sven KabelitzWas mag wohl passieren, wenn Damon Albarn, einst Frontmann von Blur und Mastermind hinter den Gorillaz, über Nacht mit einem Schmöker über das Leben von John Dee in einer englischen Kirche eingesperrt wird? Aus Langweile macht sich der Hansdampf in allen Gassen an der Orgel zu schaffen und schüttelt eine kleine Oper aus dem Ärmel. Dann geht es noch zum Feinjustieren mit ein paar frühenglischen Instrumenten ins heimische Studio. Fertig ist "Dr Dee".
Die Geschichte stimmt so zwar nicht wirklich, das Ergebnis klingt aber stark danach. Angepriesen wird "Dr Dee" als erstes Soloalbum von Albarn, gleichzeitig als Soundtrack zu einer Oper über den Mathematiker, Berater und Universalgelehrten am Hofe von Königin Elizabeth I. Beides kommt ein wenig einer Mogelpackung gleich, "Dr Dee" ist weder Fisch noch Fleisch.
Nicht Oper, vielmehr eine Soundcollage aus den Werken von Albarn, Björk und Andrew Lloyd Webber, mit einer Prise Sweeney Todd abgeschmeckt, entsteht. Vieles auf "Dr Dee" bleibt instabile Skizze, eine Aneinanderreihung von spartanisch instrumentierten Momenten. Den Gesang teilt sich der Brite mit immerhin sechs weiteren Künstlern.
"The Moon Exalted" startet mit den verträumten Vocals von Victoria Couper um mit dem Einstieg von Damon Albarn in einen Mittelalter-Folk zu wechseln, der aber nie vom typischen Schreibstil des ehemaligen Blur-Sängers ablässt. Ähnlich geartet das seltsame Gespann aus Mockney-Gesang und Contratenor Christopher Robson im melancholisch entrückten "Saturn". Wenn uns der Wunderwuzzi Albarn in "A Man Of England" aber mit Tenor Stephen Page allein lässt, muss man doch erst einmal derbe schlucken. Wer hier nicht eine gewisse Affinität zur Oper mitbringt, bleibt hoffnungslos verloren.
In kurzen Momenten blitzt immer wieder auf, welche Saat "Dr Dee" mitgegeben wurde. Vielleicht wäre diese auch aufgegangen, wenn Albarn nicht schon im Gedanken bei einem weiteren seiner zahlreichen Unterfangen gewesen wäre. Hektisch flitzt er momentan von Idee zu Idee, hinterlässt zunehmend nur noch Bruchstücke seiner selbst. Das kann spannend sein, endet aber auch mal in einem sinnbefreitem Getrommel wie "Preparation", das aus dem Schauspiel gerissen nichts weiter als Zeitdiebstahl bleibt.
Das Projekt "Dr Dee" wird nur durch die Lässigkeit gerettet, mit der Dr. Albarn auch nach zwanzig Jahren Melodien aus dem Ärmel schüttelt. In solchen Momenten fliegt er immer noch über Wolken, wackelt verträumt mit seinen Beinchen und singt irgendwas von Windmühlen. Das beste Beispiel hierfür sind "Apple Carts" und "The Marvelous Dream", welche auch ohne weiteres auf jedem Blur oder Gorillaz-Album ihren Platz finden würden.
Es bleibt zu hoffen, dass Damon nicht mal zwischen all seinen Vorhaben, Bandprojekten und Produzentenjobs ganz verloren geht. Neben Rocket Juice & The Moon und der bevorstehenden Bobby Womack-Platte hätte "Dr Dee" etwas mehr Fokus gut getan. So bleibt ein unfertiges Mittelalter-Musical, das eben nur zum Teil mit den Versatzstücken der Oper spielt. Und sind wir doch mal ehrlich - Medieval Life Is Rubbish.
5 Kommentare
Dr. Dre hats wirklich immer noch drauf!
Ich hätte nicht gedacht dass er mal etwas produziert was von den Kritikern nicht gefeiert wird...als nächstes bekommt Radioehad eine 2-sterne-Wertung
@DrManh4774n:
War auch eben total geschockt als ich die Wertung gesehen habe! Auch wenn ich ein Damon-Albarn-Fan bin, bin ich froh, dass laut.de zu den Kritikern gehört, die nicht gleich allles aufwerten was ein eigentlich guter Künstler produziert hat. Und 'ne gut geschrieben Kritik.
Interessant: der von mir hochgeschätzte Jan Wigger gibt dem Teil 9 von 10 Punkten, bei laut.de wird die Scheibe gnadenlos verissen. Und es war noch nicht mal der Kubanke! Spannend! Ich selbst hab noch nicht reingehört, vielleicht schaffe ich es heute Abend.
Hab das Album noch nicht gehört, aber die Oper war, sowohl musikalisch als auch visuell, fantastisch. Kann natürlich jetzt gut sein, dass das so ist wie mit dem Monkey-Soundtrack - ohne das Schauspiel auf der Bühne kaum zu greifen.