laut.de-Kritik
Kammerpop und Dschungeltanz für ein aufgeklärtes Amerika.
Review von Ulf KubankeDavid Byrne geht schon in den ersten Sekunden sehr typisch von Null auf 100. Ist "I Dance Like This" eine vom schroffen Elektro-Säbel zerhackte Pianoballade? Oder hört man hier ein derbes New Wave-Stück mit eingeschobenen Tastentupfern? In der knapp dreiminütigen Ouverture von "American Utopia" veranschaulicht Byrne seine lebenslange Zerrissenheit zwischen Nervosität und Ruhepol.
Fast 15 Jahre sind seit dem letzten echten Soloalbum "Grown Backwards" ins Land gezogen. Auch die superbe Kollaboration mit St Vincent, "Love This Giant" hat bereits mehr als eine halbe Dekade auf dem Buckel. Sein Land hat sich seitdem nicht zum Guten entwickelt. So nimmt Byrne, der so sehr New York verkörpert wie außer ihm allenfalls noch Andy Warhol, Woody Allen oder Lou Reed, den Kampf auf. "American Utopia" ist zehn Songs lang ein leidenschaftlicher Gegenentwurf zu Trumps Amerika.
Die zehn Lieder sind natürlich Teil eines größeren, multimedialen Rahmens namens "Reasons To Be Cheerful". Grob gesagt geht es darum, auch in einer als weitgehend negativ empfundenen Welt trotz allen Übels bzw. gerade deswegen positive Impulse zu setzen und lieber richtige Fragen zu stellen als falsche Antworten zu geben.
David Byrne erläutert dazu: "Wir schauen uns um und fragen uns "Muss es so sein?. Gibt es eine andere Art und Weise? In diesen Liedern geht es um das Suchen und Nachfragen. Manchmal bedeutet 'beschreiben' auch zu offenbaren, andere Möglichkeiten zu sehen. Eine Frage zu stellen ist, den Prozess der Suche nach einer Antwort zu beginnen. Beschreibend zu sein, ist in gewisser Weise auch präskriptiv."
Damit sind Byrnes Fragen das konstruktive Gegenteil jener totalitären Suggestivfragen, die von Alt.Right über AFD bis hin zu AKP alle Feinde des humanistischen Pluralismus auf ihren Lippen führen. Er nennt es "nicht bereit sein, der Verzweiflung oder dem Zynismus völlig zu erliegen." Gleichwohl kann das ambitionierte Vorhaben nur gelingen, sofern die Worte in knackige Songs eingebettet sind.
Hier zeigt Byrne sich in Form wie zuletzt in den frühen bis mittleren 90ern. Tracks wie das erfrischen runde "Gasoline And Dirty Sheets" locken mit kreativen Arrangements und kraftvollen Ohrwurm-Melodien. Besonders schön wird der intelligente Pop für Erwachsene, wenn Byrne eine Prise Humor addiert.
Das gelingt ihm auf "Every Day Is A Miracle" besonders gut. Darin mahnt er die Menschen zur Demut gegenüber Natur und Kreatur und bietet einen philosophischen Perspektivwechsel. Aus Sicht eines Kükens ist Gott eben "a very old rooster". Und "the pope don't mean shit to a dog." Alle deutliche Sätze schön subversiv umhüllt von zuckersüßen Klängen zum Mitsingen.
Die Arrangements zeigen insgesamt eine extreme Bandbreite von Kammerpop bis Dschungeltanz. Immer wieder hat man das Gefühl, hier den gesamten Weltmusik-Fundus vor sich zu haben. Die Freunde seiner nächtlichen Stilleben à la "Selfmade Man" werden das asiatisch angehauchte "This Is That" sicherlich lieben. Fans seiner polyrhythmischen Gassenhauer sollten es mit "Everybody's Coming To My House" versuchen.
Die einzige Kritik gilt der mitunter etwas kühlen Grundnote des Sounds, den Brian Eno produziert hat. Byrnes Spezi Eno bleibt beim elegant-coolen Trip eigener zuletzt veröffentlichten Eno & Hyde-Alben. Was im Zusammenhang mit dem Underworld-Mastermind funktionierte, gerät hier gelegentlich eine Spur zu kalt, zu steril. Spätestens, wenn Eno auf "Everybody's Coming To My House" teilweise dieselben instrumentalen wie rhythmischen Versatzstücke einbaut wie etwa auf dem Opener von "Someday World", wird seine Zuarbeit hier zum unnötig schablonenhaften Wermutstropfen.
1 Kommentar
Perfektes Album!