15. September 2017

"Ein Blick auf Twitter, und Cobain würde sich umbringen"

Interview geführt von

Death From Above haben die Tage, in denen sie von allen Seiten hochgejubelt wurden, lange hinter sich. Und dennoch hielt sich ihr im Jahr 2004 veröffentlichtes Debüt "You're A Woman, I'm a Machine" lange in aller Munde. Einerseits weil sein rockiger Purismus, bestehend primär aus Schlagzeug, Bass und Gesang, einer ganzen Generation neuer Indie-Bands vorauseilte. Und andererseits, weil sich das Duo kurze Zeit später auflöste – und sich so einige Legenden um die Band entwickeln konnten, da viele Künstler immer wieder auf die Kanadier als maßgeblichen Einfluss verwiesen.

Bereits 2014 kehrte die Band mit einem mittelprächtigen zweiten Album zurück. Und auch das jetzt erschienene "Outrage! Is Now", das von Eric Valentine (u.a. QOTSA) produziert wurde, erfindet das Rad nicht neu. Doch Sebastien Grainger (Gesang, Schlagzeug) und Jesse Keeler (Bass, Synthies) stört das nicht, haben sie in den vergangenen den Spaß an der Musik nicht verloren. Hörbar ist das beispielsweise auf der letztjährigen Live-Platte, die in Jack Whites Third Man-Studios aufgenommen wurde, wo die Band dann auch noch auf Mick Jagger traf.

Wenige Wochen vor diesem Interview entschloss sich die Band zudem, sich des bis dahin im Namen geführten "1979" zu entledigen. Es gib also viel zu bereden beim Gespräch im Berliner Ramones-Museum. 2018 gehen sie mit At The Drive-In auf Tour.

Die erste Frage habt ihr wohl in den letzten Tagen etwas häufiger gehört: Warum habt ihr euch kürzlich vom Zusatz '1979' in eurem Bandnamen verabschiedet?

Jesse: Interessant, dass wir das gerade immer als erste Frage zu hören bekommen (lacht). Wir haben ja schon vor zwei Jahren damit aufgehört, das '1979' zu benutzen. Auf Tour-Plakaten steht seitdem nur noch Death From Above. Und keiner hat sich bisher darüber beschwert.

Sebastien: Der Grund, warum wir überhaupt dieses '1979' an unseren Bandnamen angehängt haben, ist ein sehr langweiliger. Es ist eigentlich auch langweilig, darüber zu reden, denn es hatte damals schlicht rechtliche Gründe. Wir mussten zulassen, dass unser Name von dieser Sache beeinflusst wurde. Wir wollten die Band ja niemals so nennen. Wenn wir untereinander redeten, benutzen wir die Jahreszahl ja auch nie. Trotzdem finde ich, dass es irgendwie cool ist, einen derart langen Namen zu tragen. Ich meine, es war einfach witzig, Leute im Radio oder Fernsehen unseren kompletten Bandnamen aussprechen zu hören.

J: Manche haben sogar die Zahl ausgeschrieben: Death From Above Nineteenseventynine. Das ist obszön lang (lacht).

S: Ja, das ist obszön. Also war es auch etwas lustig, diesen Namen zu tragen, auch wenn der eigentliche Grund dahinter ein belangloser ist. Und eigentlich will ich in keiner belanglosen Band spielen – also scheiß' drauf.

J: Das habt ihr Onliner immer richtiggemacht. Dort lese ich eigentlich immer nur von "DFA" oder so. Die Alternative wären einfach zu viele Zeichen.

Dieses Kürzel wurde von euren Fans ja sowieso schon immer benutzt.

S: Natürlich nennen die uns, wie sie möchten. Sie können auch gerne noch die Zahlen benutzen (lacht).

J: Weil sich die ja auch noch auf unseren alten Platten befinden.

S: Und sie sind noch auf meinem Arm (Zeigt ein Tattoo des Bandlogos auf seinem Unterarm und lacht).

J: Und im Internet.

S: Das "1979" wird ja nicht verschwinden. Nur wir haben uns entschieden, es nicht mehr zu benutzen.

Ich habe gerade euer neues Album gehört. Und im Vergleich zum Vorgänger ist es wieder puristischer und reduzierter. War es eine bewusste Entscheidung, diese Herangehensweise – die vielleicht eurem Debüt näherkommt – zu wählen?

J: Das einzige Konzept bei der Arbeit an diesem Album war, dass wir es sehr einfach halten wollten. Wir wollten uns auf das Wesentliche reduzieren, das unsere Band ausmacht. Ich persönlich hätte auch nicht damit gerechnet, dass dieser Vorsatz so lange halten würde. Denn manchmal habe ich mich sehr unwohl dabei gefühlt, aber wir haben es bis zum Schluss durchgezogen: Es ist wirklich sehr reduziert, was den einzelnen musikalischen und lyrischen Ideen auf der Platte mehr Raum verschafft und sie klarer zur Geltung kommen lässt.

S: Sogar als wir die erste Platte gemacht haben war es so, dass wir nach der Aufnahme des eigentlichen Songs immer noch Claps, Tamburin und das alles aufgenommen haben. Das mündete dann darin, dass manche Songs durchgehend mit Tamburin unterlegt sind. Danach bearbeiteten wir die Aufnahmen allerdings so weit, dass es an manchen Stellen eben mehr oder weniger zu hören ist. Wir starteten also immer mit sehr vielen musikalischen Mitteln und haben sie im Produktionsprozess dann reduziert.

Ihr habt als Band einen Status erreicht, bei dem euch ein bestimmter Pool an Produktions- und Aufnahmemöglichkeiten immer zur Verfügung steht. Da muss man sich doch sicher aktiv gegen Routinen stemmen, den Instrumentals immer noch etwas hinzuzufügen?

J: Es wäre nicht aufrichtig von uns, zu behaupten, dass wir diese Entscheidung alleine getroffen haben. Wir haben lediglich Eric Valentine, dem Produzenten, sehr viel Material gegeben, mit dem er arbeiten konnte. Ich habe beispielsweise oft sieben oder acht Basskanäle für einen Song aufgenommen. Er hat dann entschieden, wann welche zu hören sind. Wann vielleicht einer alleine reicht oder zwei, drei übereinandergelegt wurden. Damit hat er im Endeffekt geholfen, unseren Sound zu formen. Je nachdem, welche Stellen wir beispielsweise betont haben wollten. Meine eigene Herangehensweise war es hingegen bisher, einfach alle immer an zu lassen. (lacht) Diese Technik hört sich ebenso großartig an, gerade auch beim Schlagzeug, wo man so den gewaltigsten Sound bekommt.

S: Ich habe sogar auf zweispurigen Gesang verzichtet auf diesem Album. Klar, an manchen Stellen im Refrain gibt es schon mal zwei Spuren, aber in den Strophen nicht. Auf "You’re A Woman, I'm A Machine" haben wir durchgehend mit zwei Spuren gearbeitet. Das ist auch cool, aber es hört sich einfach nicht danach an, als würde eine einzige Person in deine Richtung singen. Dieses Mal gibt es also kein Verstecken. Wir haben noch nicht mal viele Effekte für die Stimme benutzt - außer, ihn ganz laut aufzudrehen. (lacht)

"Muse sind eine langweilige Mutation von Radiohead"

Lest ihr eigentlich manchmal, was Menschen auf einschlägigen Online-Plattformen über euch zu sagen haben?

J: Du siehst schon, dass ich meinen Kopf schüttle: Nein! (lacht)

Ich kann mir vorstellen, warum man das als Künstler ungern macht.

J: Kannst du das wirklich? Ich kann es dir ganz genau sagen: Weil es unwichtig ist. Es juckt mich nicht. Das Konzept des Fans hat so an sich, dass er oder sie vergänglich ist. Das kenne ich selbst ja auch. Ich liebe Sonic Youth. Von allen kontemporären Künstlern sind sie mir bei weitem die liebsten. Trotzdem mag ich nicht alles, was sie gemacht haben und nicht alle Kleider, die sie jemals getragen haben. Es gab auch Zeiten, als sie in Toronto gespielt haben und ich hätte hingehen können, aber ich habe es nicht getan. Mein Hund ist aber sogar nach einem ihrer Songs benannt. Was ich damit sagen möchte: Auch, wenn ich die Band sehr liebe, stehen wir in einem Verhältnis zueinander, das sich ständig ändern kann. Selbst meine Einstellung gegenüber ihrem Korpus an Werken kann sich ja verändern. Ich mag auch nicht alles, was David Bowie jemals gemacht hat. Ich bin zum Beispiel kein Fan von den Tin Machine-Alben. Das bedeutet aber nicht, dass ich ansonsten kein großer Fan bin, im Gegenteil. Wir leben heute in einer Zeit, in der von Menschen fast schon erwartet wird, auf Dinge genau dann zu reagieren, wenn sie passieren. Weiter finde ich es fast schon beschämend Bowie gegenüber, dass wir die Möglichkeit haben, auf einen Blick sein gesamtes Lebenswerk zu betrachten. Dabei waren die Umstände, unter denen die einzelnen Alben herausgekommen sind, teilweise extrem unterschiedlich. Er hat zwischen seinen Stationen immer wieder viele Fans verloren und neue hinzugewonnen.

S: Stell dir doch mal vor, David Bowie hätte damals die Kommentarspalte unter seinen Videos auf YouTube lesen können. (lacht)

J: Die Leute waren doch extrem wütend, als er plötzlich Ziggy Stardust verschwinden ließ. Und dann kam er zurück mit Schulterpolstern und einer Bläser-Sektion. Zur Hölle! (lacht)

S. Genau darauf wollte ich übrigens im Song "Always On" auf unserer letzten Platte hinaus. Da heißt es einmal: "If we brought Kurt back to life / there's no way he would survive." Stell dir vor, Kurt Cobain würde heute wieder zum Leben erweckt. Er würde sich wohl noch in der Sekunde, in der er eine Kommentarspalte lesen müsste, sein Hirn noch einmal wegpusten. Er würde das Ende des Tages nicht erleben. Aber das bedeutet natürlich nicht, dass der Inhalt solcher Kommentare für mich wichtig wäre. Hätten wir Lust darauf, alle Entscheidungen, welche die Band und ihr Umfeld betreffen, gemeinsam zu fällen, dann wären wir wohl ein zwölfköpfiges Gremium. Aber wir sind eine totalitäre Band. Alle Entscheidungen sind eine Übereinkunft zwischen Jesse und mir.

J. Ich respektiere beispielsweise Twitter. Übrigens lustig, dass es Twitter heißt. Das steckt die Unwichtigkeit ja schon im Namen: Ich habe heute einen Vogel zwitschern gehört. Etwas, das ständig und beiläufig auf der ganzen Welt passiert. Das finde ich dann fast schon wieder aufrichtig seitens der Entwickler. Es ist doch gar nicht dafür gemacht, wichtige Nachrichten zu transportieren. Aber um das Thema mit der Kommentarspalte abzuschließen: Das interessiert mich nicht.

Dann bin ich mal gespannt darauf, wie ihr die Kommentare einordnet, die eure Fans zur ersten Single eures neuen Albums gepostet haben.

(Beide lachen.)

Da ist zum Beispiel der hier über die erste Single eures neuen Albums: "Freeze Me" klingt wie der am wenigsten kitschige, sexieste Muse-Song seit langem.

J: (lacht) Ich kenne die Musik von Muse leider gar nicht. Ich weiß also nicht. Was ich weiß ist allerdings, dass Muse verdammt große Venues spielen. Wenn wir also eine bessere Version dieser verdammt populären Band sind, dann denke ich, kann ich das als Kompliment auffassen.

Also schmeicheln euch solche Vergleiche? Denn klar ist Muse in Sachen kommerziellem Erfolg eine der größten Bands, allerdings in den letzten Jahren nicht sonderlich stilsicher.

J: Ich finde diesen Vergleich interessant.

S: Mich amüsiert das sehr. Allerdings würde mich es stören, wenn wir plötzlich nur noch mit anderen Bands verglichen würden, weil unsere Band ja bisher mit nichts zu vergleichen war. Bisher amüsiert es mich aber. Muse sind wie all diese anderen Bands. Die sind wie Coldplay. Eine mutierte Version von Radiohead, nur weit weniger interessant.

J: Muse ist für mich nur eine Band, die von meiner Schwiegermutter gehört wird. (lacht)

S: Natürlich haben Muse auch Talent. Der Sänger hat eine besondere Stimme.

J: Ja? Ich habe nur kleine Ausschnitte von ihren Songs gehört.

S: Es gibt wirklich schlimmere Sachen!

J: Bis zu einem gewissen Punkt nehme ich es als Kompliment auf, dass man uns auch in einer solchen Umgebung wahrnimmt. Die Leute mögen Muse ja offenbar. Irgendjemand kauft ihre Platten. Das ist ja gut!

S: Ich bin im Endeffekt einfach nur froh, dass die Fans "Freeze Me" mit Muse vergleichen und nicht mit dem Künstler, bei dem ich eigentlich geklaut habe. (lacht) Wenn es jemand herausgefunden hätte, dann hätte ich wirklich an meinen Fähigkeiten gezweifelt.

Dann lasst uns doch noch etwas über diese Stadionsache sprechen.

J: Ja, lass uns in Zukunft nur noch Stadien spielen. (lacht)

Als ich "Outrage! Is Now" hörte, war für mich bei einigen Songs sofort klar, dass sie sehr gut in größeren Venues funktionieren könnten. Ein klarer Gegensatz zu eurem Debüt, das ich mir nie außerhalb eines verrauchten Club-Kontexts vorstellen wollte.

S: Das ist ja nicht vollkommen zufällig passiert. Was wir bislang als Band weniger ausprobiert hatten, waren Songs in langsamem Tempo. Klar gab es immer mal langsamere Songs, die waren allerdings gar nicht so langsam. Wir hatten irgendwie bei 130 BPM eine Grenze eingezogen. Auf diesem Album haben wir uns diese Grenzen nicht gesetzt. Wir wollten so schnell oder so langsame Songs machen, wie wir wollten. Denn dadurch gewinnen die Songs mehr Raum zwischen den Noten. Das wollten wir haben.

Ihr würdet also nicht sagen, dass euch euer Aufeinandertreffen mit Jack White und Mick Jagger in Richtung Stadion-Rock beeinflusst hat?

J: Wenn ich Riffs schreibe, dann male ich mir aus, wie sie klingen würden, wenn ich sie vor einem großen Publikum spielte. Dann frage ich mich einfach nur, ob es gut oder schlecht klingt. Das mache ich so, seitdem ich ein Teenager bin.

S: Außerdem haben wir ja schon große Stadien gespielt. Also auch vor unserer Auflösung. Ich weiß, wie es klingt, "Romantic Rights" zu schnell in einer großen Arena zu spielen. Es gibt ja einen Grund, warum beispielsweise Disco-Musik so trocken produziert ist. Die Drums klingen wie auf einem Kissen eingespielt. Das ist wie unser erstes Album eine Art von Musik, die dafür bestimmt ist, nah bei den Leuten zu sein. Alle unsere bisherigen musikalischen Erfahrungen beruhen auf dem Gedanken, Menschen nah zu sein. In Clubs, Bars, Kellern. Wenn du den Faktor Nähe also wegnimmst, dann ändert das Zwangsläufig den Modus, wie du mit Leuten kommunizierst. Vielleicht haben wir das gemacht.

"Unser erstes Album ist ein One-Hit-Wonder"

Im Video zu "Freeze Me" kommen ganz schön viele Bodybuilder und Bodybuilderinnen vor - und plötzlich steht ihr beide als Butler bei denen in der Villa und serviert denen Essen, von dem ich nicht weiß, wie man es nennt...

S: Das sind Corn Dogs.

Das gibt es hier nicht, glaube ich. Zumindest kenne ich das nicht.

S: Aber das ist ein essenzielles Nahrungsmittel! Da ist eine Wurst drin.

Im Teigmantel?

J: Ja, in einem Maisteig, der dann frittiert wurde.

Und das schmeckt?

J: Ja, ungefähr so wie ein Hot Dog im Brötchen.

S: Du kennst doch diese Dinger, die man bei euch immer an der Tankstelle kriegt. Diese Brötchen mit Wurst drin.

Du meinst Bifi?

S: Ja, genau! Es ist wie Bifi, nur an einem Stock. Und eben warm.

Klingt für mich jetzt eher nach einem Snack, auf den ich höchstens auf einer zwölfstündigen Autofahrt zurückgreifen würde. Was nicht bedeutet, dass wir gleich noch mehr über Essen reden können – im Gegenteil! Davor interessiert mich noch, welches Konzept hinter diesem Video steckt: Wir haben also diese Bodybuilder, die außerhalb der Stadt in ihrer Villa leben. Während die Welt um sie herum explodiert, leben sie in Saus und Braus.

J: Der Chef der Bodybuilder ist ja für den Luftangriff auf die Stadt verantwortlich. Er lacht darüber. Sie wissen, dass es passieren wird und möchten einfach für sich Spaß haben.

S: Das eigentlich Interessante daran ist ja, dass diese Bodybuilder – also auch die Schauspieler selbst, mit denen wir hier zusammengearbeitet haben – irgendwie außerhalb der Gesellschaft stehen. Ich meine: Wann habe ich schon mal im Alltag mit einem Bodybuilder interagiert? Wir hatten dann beim Dreh aber eine großartige Zeit mit ihnen. Es war eine seltsame Erfahrung, weil du ja schon eine Voreinstellung gegenüber diesen Menschen hast. Zum Beispiel, dass sie womöglich sehr angespannt und fokussiert sind. In Wahrheit sind das aber sehr herzliche Menschen, wir haben uns die ganze Zeit nur umarmt. (lacht) Und sie wollten dann Fotos mit uns machen. Es war alles sehr angenehm.

Was ist dann die Botschaft des Videos, würdet ihr sagen?

J: Es gibt auf jeden Fall eine Botschaft. Aber sie lautet eher, dass es an einem selbst liegt, zu entscheiden, was sie nun genau ist. Ich bin kein großer Fan davon, eine einzige Lesart als die richtige darzustellen. Sobald es eine korrekte Interpretation eines bestimmten Kunstwerks gibt, dann ist es für mich keine Kunst. Sondern kommerzielle Kunst, weil damit eine Aussage vermittelt werden möchte. Gerade auch bei unserem Video soll jeder seine eigene Erfahrung haben. Wir könnten doch alle dieselbe John Coltrane-Platte anhören und das trotzdem total verschieden erleben.

Warum ich die Frage gestellt habe war, weil es im Promo-Text zum neuen Album heißt...

J: (lacht) Oh Gott, was schreiben unsere Promoter schon wieder über uns?

Nichts Schlimmes! Es wird lediglich gesagt, dass die Platte – wie der Titel "Outrage! Is Now" ja schon verrät – als Kommentar zu den aktuellen Weltgeschehnissen gelesen werden kann. Denn in diesem Fall legte das einem schon eine bestimmte Lesart des Videos zumindest nahe.

S: Das ist ja gerade die Aufgabe eines Künstlers, der Welt auf eine bestimmte Weise den Spiegel vorzuhalten. Deshalb sind die Bodybuilder im Video ja auch eine Art Metapher. Wir Künstler stehen auch irgendwie außerhalb der Gesellschaft. Die meisten Menschen leben ein Leben, das sich vollkommen von unserem unterscheidet. Wir reisen viel mehr, sehen viel mehr Dinge. Teil unserer Aufgabe ist es also, verschiedene Perspektiven zu entwickeln. Unser Leben dreht sich eigentlich nur darum, bestimmte Perspektiven einzunehmen. Unser Job ist es irgendwie, bestimmte Dinge zu tun – Bücher lesen, viel zu lange Podcasts anhören – für die Menschen im Normalfall keine Zeit haben. Weil sie eben Jobs haben. Ihre Meinungsbildung erfolgt über Konsens. Das ist aber nicht, was wir tun. Unsere Perspektive im Fall des Albums ist kein Kommentar zu Politik oder sonst was, es ist mehr ein Blick auf die Welt insgesamt. Außerdem sind wir nicht parteiisch, denn sobald du eine bestimmte Seite wählst, musst du deine Meinung aufgeben. Aber diese Antwort wird jetzt zu lang.

J: Nein! An solche Fragen werden wir uns bei unserer neuen Platte gewöhnen müssen. Es hilft uns ja auch, darüber zu diskutieren. Was ich dem noch hinzufügen möchte: Weil wir als Künstler diese Perspektive von Außerhalb einnehmen, sehen wir manche Dinge vielleicht weniger emotional. Allerdings weiß ich nicht, wann das gut und wann es schlecht ist. Jedenfalls ist "Outrage! Is Now" weniger eine politische Platte als eine über die Reaktionen der Menschen auf die Politik.

S: Das hast du schön gesagt! Ich bin immer wieder überrascht davon, wie Menschen auf Politik reagieren. Negativ und positiv. Ich bin beeindruckt davon. Oder manchmal auch angewidert. Oder verwirrt.

Während der Jahre, in denen es euch als Band nicht gab, hatte ich das Gefühl, dass sich so eine Legende um euch gebildet hatte: Ihr habt damals ein gefeiertes Album aufgenommen und euch dann alsbald aufgelöst. Habt ihr heute manchmal das Gefühl, dass ihr sehr darauf reduziert und damit verglichen werdet?

J: Das mag vielleicht auf die alten Fans zutreffen. Aber wenn wir nur einen Blick ins Publikum bei unseren Konzerten werfen, dann stehen da Menschen zwischen 18 und 30.

S: (lacht) Das musst du aber etwas nach oben korrigieren.

J: Okay, dann lass uns sagen: 19 bis 40. Von den jungen Leuten war Anfang der 2000er noch keiner da! Bei uns war es schon immer ein gemischtes Publikum, das sich auch sehr häufig durchmischt.

Euer Publikum sieht also nicht so aus, als seien das die Übriggebliebenen von damals?

S: Nein, es fühlt sich an wie bei jeder Band. Klar gibt es Extreme. Wir sitzen hier ja gerade in einem Ramones-Museum, was bedeutet, dass ein motivierter Fan hier über die Jahre allerhand Artefakte zusammengetragen hat. Das ist schon ein Extrem. Und klar gibt es diese auch zuhauf. Aber als Band konzentrierst du dich natürlich nicht nur auf diese Menschen. Wie komisch wäre es, wenn wir unsere neuen Platten genau auf den harten Kern unserer Fans ausrichten würden?

J: Es ist natürlich hart, wenn man diesen Menschen vor Augen führen muss, dass ihre Gefühle vergänglich sind. Ich denke nicht mehr gleich über die Schlümpfe und über Transformers, wie ich es einmal getan habe, aber ich würde immer noch behaupten, dass ich ein Fan bin. (lacht) Ich erinnere mich an die Namen bestimmter Charaktere und ich kann die Titellieder mitsingen, wenn ich sie höre. Aber ich nehme keine aktive Rolle mehr ein.

Viele Künstler berufen sich in Interviews immer wieder auf eure erste Platte, wenn sie nach Einflüssen gefragt werden. Was denkt ihr: Welchen Einfluss hatte "You're A Woman, I'm A Machine" wirklich auf die Musikszene der Nullerjahre?

J: Die Antwort ist sehr simpel. Auch, wenn es sich dabei eher um eine Perspektive handelt. Denk mal an einen One-Hit-Wonder-Song: Entweder magst du es nicht oder es ist gut genug. Über den Künstler selbst weiß man dann nicht viel. Das Ganze spielt sich also in einer Art One-Hit-Wonder-Blase ab. Ähnlich verhält es sich auch mit uns. Klar, wir hatten eigentlich schon damals mehr Songs draußen als dieses eine Album. Dieses hat aber unsere Arbeit bis dahin zusammengefasst. Das ist handlich und gibt dir einen direkten Überblick über uns als Band: Du kannst uns auf einen Blick lieben oder hassen. Es wird auch keine Konsequenzen nach sich ziehen, weil es sich ja um ein Museumsstück handelt. Man konnte also sehr leicht eine Meinung zu uns entwickeln, ohne dass das mit großen Konsequenzen für einen selbst einhergeht. Über die Jahre konnte unsere Platte so in ein Vakuum hineinwachsen. Diese Chance kriegen wir natürlich nicht nochmal. Ich bin kein Fan davon, uns mit irgendwelchen Legenden zu vergleichen, aber van Gogh...

S. Ja, genau, vergleich uns mit van Gogh! (lacht)

J: Ich finde das eigentlich ganz treffend. Er hat zu Lebzeiten eigentlich fast nichts verdient. Erst nach seinem Tod verkauften sich seine Werke – denn die Bilder eines toten Mannes zu kritisieren, wäre natürlich irgendwo pietätlos gewesen.

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