11. April 2016

"Ich bin lieber Fler als RAF Camora"

Interview geführt von

Mit Degenhardt spricht man fast automatisch über Helden, Romantik, Nacktheit und über die unbedingt nötige Liebe zur Sache. Oder halt über Selbstdarstellung aus niederen Gründen, Akzeptanz von der falschen Seite, Lampenfieber und REWE-Kassiererinnen mit Gesichtstattoos.

Degenhardt zu Besuch, um eine lauschige Samstagnacht lang auf meinem Sofa zu versumpfen. Lustig wars. Wer irre genug ist, darf sich davon gern selbst überzeugen: Videobeweis liefern wir mit. Den hätte ich allerdings nicht gebraucht, um festzustellen, dass ich grandios versäumt habe, die richtigen Fragen zu stellen. Hmpf. Ich brauch' noch eine Samstagnacht und noch ein Sofa. Kein Problem, die Gegen-Einladung steht.

Hello, again. Glasklar meine Schuld, dass wir schon wieder hier sitzen.

[Telefon klingelt.] Ja? ... Du gönnst mir gerade diesen klassischen Moment, wo ich DAS mal sagen kann: "Tut mir leid. Ich bin grad' in 'nem Interview." (Gelächter) [Legt auf.]

Superstar-Gefühl?

Ja, voll. Ist zwar spät, aber der Tag ist schon gewonnen, heute. Alles deine Schuld. Musst du aber auch zugeben.

Hab' ich doch längst. Ich bin schuld, ja. Drei Stunden dummes Zeug gequatscht, was auch lustig war. Aber mit dir hätte ich doch über Distanzverlust reden müssen.

Yeah.

Du reißt dir das Herz raus, für das, was du machst. Der Effekt ist: Du reißt damit mir das Herz raus ...

Das ist doch gut.

Das ist einerseits gut. Andererseits kann ja wirklich niemand mehr behaupten, dass ich danach unvorbelastet an dieses Thema herangegangen wäre. Wäre Lob von einem unbefangenen Kritiker nicht mehr wert?

Das geht jetzt in die Definition des Berufsbilds des Journalisten. Aber der Journalist ist mir in dem Sinne ja fast eher egal. Egaler jedenfalls, als der Mensch, den ich da erreicht hab'. Klar, mit dir als Journalist red' ich gerne 'ne Stunde. Aber du als Mensch, der das mag, bist mir natürlich tausendmal lieber. Klar, es ist cool, wenn jemand was Positives über mich schreibt, aber das ist ja nur Mittel zum Zweck. Das ist halt einfach schön. Das siehste dann und es ist cool, aber im Endeffekt machst du das ja, damit es irgendeiner feiert. Und wenn du sagst, es hat dir genauso das Herz zerrissen, dann ist das doch das größte und beste Kompliment, das du haben kannst.

Ich hab' zusammen mit der Review Rotz und Wasser in die Tastatur geflennt. Hatte ich so auch noch nicht.

Wenn das jetzt so krass war, würde mich doch jetzt interessieren, wie das mit den anderen Sachen war. Du hast ja vorher auch schon drüber geschrieben. Das wär' ja ganz was Neues: Du kannst ja mal 'ne Diskografie-Review machen. Das wär' mal 'ne richtige Masteraufgabe.

Is' klar. Um das überaus klickträchtige Riesenthema Degenhardt auf laut.de NOCH ein bisschen breiter zu treten ... (Gelächter) Ja, mit "Terror 22" hast du mich vermutlich auch einfach in einem verwundbaren Moment erwischt.

Aber ist das denn schlimm? Bist du deswegen ein schlechter Journalist? Arbeitest du jetzt deswegen schlecht journalistisch? Also jetzt außer bei dem Video? (Gelächter) Tut das irgendeiner Sache irgendeinen Abbruch?

Es ist halt echt schwierig, wenn man nicht mehr weiß, wo der Fan anfängt und der Kritiker aufhört.

Ja, aber das hast du doch bei anderen Platten auch. Da ist doch bloß das Extrem anders. Oder?

Klar, es gibt schon viele Platten, die ich feier'. Aber doch eher wenige Künstler, mit denen ich über Wochen hinweg in dem Ausmaß persönlich zu tun hab'.

Hm. Wie lange bist du jetzt schon Musikjournalist?

Wer stellt hier eigentlich die Fragen? Keine Ahnung. Zehn Jahre?

Ich glaub', du wirst jetzt nicht zehn Jahre Professionalität wegen einer Platte über den Haufen werfen. Oder hast du das Gefühl, dass du jetzt irgendwas anderes machst? Dass du irgendwas gut heißt, das du sonst nicht gutheißen würdest?

Nö, das nicht. Ich find' das jetzt ja auch gar nicht so schlimm. Ich find', dass ich mir das durchaus erlauben darf. Aber WENN ich das schon mache, dann muss ich auch sagen, wie es ist. Dann kann ich nicht stundenlang rap.de-Fragen stellen. Dann muss ich mich hinstellen und sagen: Hier, Herzthema. Hier bin ich irgendwie emotional verstrickt. Hier machen wir Dinge, die wir sonst vielleicht nicht tun würden.

Ja. Find' ich vollkommen okay. Aber ich würde das Professionelle doch trotzdem mit dazunehmen. Dass die Begeisterung fehlt, wird gerade Rap-Journalismus doch immer vorgeworfen. Das ist jetzt die positive Seite: Dass man trotzdem immer Fan bleibt, dass man irgendwas mag und es feiert. Ist doch vollkommen geil.

Ja, ich denk' auch, dass Liebe zur Sache, die man behandelt, echt nötig ist. Trotzdem wird es schwierig, wenn Grenzen verschwimmen. Rap-Journalismus in Deutschland ist über weite Strecken echt mies. Ich glaube, dass das weniger daran liegt, dass die Leute nicht schreiben können oder dass sie nicht begeisterungsfähig sind, sondern daran, dass sich alles vermischt: Promo und Journalismus und Fantum ...

Ich dachte eher, wegen der ganzen Vetternwirtschaft. Dass es, so Blokkmonsta-Staiger-mäßig, schwer fällt, noch negativ zu schreiben, wenn man sich kennt. Das wäre, glaub' ich, der Punkt, wo man über Distanz reden kann: Wenn du ein Album von mir hättest, das du nicht gut findest. Wie sähe das dann aus? Ob du dann schaffst, das professionell zu zerreißen?

Klar. Auf jemanden, den man persönlich kennt, haut es sich halt nur schwieriger drauf. Es sei denn, natürlich, man kennt sich persönlich und findet sich kacke. Vielleicht sind, wenn man sie erst kennt, Niko und Visa Vie auch ganz schnafte Persönlichkeiten.

Klar, total. Das wundert mich schon wieder, so ähnlich, wie bei "Ich One": Gut, bei Visa Vie hab' ich gesagt, ich bin stolz drauf. Aber was hab' ich denn rein faktisch gesagt? Ich hab' doch gesagt, DIE mögen MICH nicht. Ich hab' gesagt: Niko wird mich niemals mögen. Visa Vie wird mich niemals mögen. Das ist doch kein Diss! Das ist doch nur zickiges Divaverhalten, leicht beleidigtes Wäwäwäh-die-Welt-mag-mich-nicht. Das ist doch so 'n Aggro-Berlin-Verhalten, dass man sagt: Okay, ihr wollt nicht, dass ich irgendwo mitmach', dann fickt euch alle. Ihr seid doch Vollspasten.

Also kalkuliertes Namedropping? Die mögen mich nicht, also beschimpf' ich sie?

Nö. Ja. Aber das ist doch nicht kalkuliert, das ist doch trotzdem Herzenssache. Es ist ja auch nicht so, dass mir das jetzt so ultrawichtig ist, aber das war eben einfach ... ja, klar: Fickt euch! Das Gefühl war: Fickt euch. Aber das heißt jetzt nicht, dass ich irgendwas gegen die habe. Nur dagegen, wie das mit diesem Journalismus an sich funktioniert. Wenn die mich nicht mögen und finden, meine Musik ist nicht geil ... ja, mag sein. Vollkommen in Ordnung. Aber jetzt einfach so strukturelle Sachen: Weil man jetzt einen Promo-Menschen hat, weil es so und so läuft, plötzlich ist es okay, plötzlich macht die ganze Backspin 'ne Review zu der Platte ... Ja, ist halt so. Ich akzeptiere diese Strukturen dann doch irgendwann. Aber ich will da nicht leben, ich will mich damit nicht beschäftigen. Ich will Romantik. Ich will einen Redakteur, der es feiert. Oder mich mit einem kritischen Journalisten unterhalten, der sagt: "Aah, was ist denn da los? Hmm, das und das und das ist auch doof." Ey, ich will Liebe zur Sache! Das ist Hip Hop, kein BWL. Da müssen sich auch alle Journalisten gefallen lassen, kritisiert zu werden. Also, nicht von mir. Auch! Aber generell. Es geht um Liebe zur Sache. Wenn du nicht genug Liebe hast, kriegst du eins auf die Eier.

Liebe zur Sache bedeutet ja nicht, dass man alles super finden muss.

Nein!! Gerade wenn ich Liebe zur Sache habe, bin ich auch sehr kritisch. Wer kritisiert mich denn am schärfsten? Ein Freund, der mir wichtig ist. Klar kritisiert mich auch der Nachbar, der mich rundum komplett scheiße findet. Aber der wird mich halt auf 'ne Ekel-Alfred-Art kritisieren. Fundierte Kritik entsteht immer aus Liebe. Daraus entsteht auch der größte Hass.

Ist wirklich die Kritik fundierter, oder kratzt sie einen einfach mehr?

Wie meinste?

Na, wenn mich jemand kritisiert, dessen Meinung mir wichtig ist, dann geht mir das doch näher, als wenn mir zum Beispiel der Nachbar was sagt, den ich eh kacke finde.

Hmm. Das ist bei mir in dem Punkt jetzt nicht so. Normalerweise, rein menschlich, stimmt das. Wenn jemand sagt: "Ey, pass auf, da verhältst du dich echt behindert. Das war echt nicht cool.", interessiert mich das natürlich mehr von meinem Freundeskreis. Aber rein künstlerisch, es geht ja doch um irgendwas Kunst-artiges, ist mir das gleich. Beziehungsweise geht es da nur danach, wie respektabel die Person für mich ist. Ob ich mit irgendeinem Menschen, den ich sehr, sehr respektiere, befreundet bin oder nicht, ist völlig wurscht. Wenn ich sein Schaffen toll und ihn menschlich auch sehr gut finde, dann ist seine Meinung für mich natürlich extrem hochwertig. Egal, ob ich den kenne oder nicht. Ob irgendein Ali As das feiert, ist mir halt wurscht. Aber wenn ein Grim sagen würde, dass irgendwas scheiße oder gut ist, ist das für mich natürlich das um Lichtjahre Wichtigere.

Genau das hab' ich doch gesagt: dass einem die Meinung unterschiedlicher Leute unterschiedlich wichtig ist.

Grim steht mir ja aber nicht nahe. Der steht mir vielleicht bisschen näher, weil ich ihn jetzt einmal getroffen habe, aber das ist irrelevant. Ich könnte Ali As ja kennen. Oder ... nee, könnt' ich nicht.

Was hast du bloß für ein Problem mit Ali As?

Ali As ist megabehindert. (Lacht) Is' ja egal. Nimm' dir irgendeinen anderen.

Nö, du kannst mit dieser Dissnummer ruhig weitermachen.

Wen fand ich denn auch ganz schlimm ... (überlegt) Nee, lass' mal Ali As stehen. Is' ja wurscht. Der ist auf jeden Fall nicht so stark, der kann mich nicht so stark verprügeln. Denn kann ich noch zusammenschlagen. Is' okay.

Als ob du das tun würdest.

Ich? Ich bin sehr jähzornig. Ich bin ein Wutanfallkind, ich kann gut schlagen. Ich kann aus dem Affekt sehr aggressiv sein.

Kann ich mir gar nicht vorstellen.

Ich bin kein trainierter Schläger, ich bin Exzessschläger. Affekt ist der erste Moment, der hält dann aber noch länger an. Ich bin dann schon eher ein exzessiver Schläger. Is' ja auch wurscht. Nee, völlig egal, ob ich jemanden persönlich kenne oder nicht: Bei mir zählt das künstlerische Standing, wie ich jemanden respektiere. Das ist aber, glaub' ich, ganz normal. Das ist eine Aussage wie: Torte is' lecker.

Och, wird schon Leute geben, die keine Torte mögen. Auch wenn mir die irgendwie verdächtig vorkommen. Wenn du etwas machst, sieht es immer nach hundertprozentig deinem Ding aus - was ja so nicht stimmt. Es haben ja durchaus auch andere Leute ihre Finger drin, zum Beispiel dein Haus- und Hofproduzent Hiro. Wie sieht so ein Entstehungsprozess aus? Zeigst du auch mal unfertige Sachen her und holst dir eine Meinung ein? Muss erst alles fertig sein, bevor jemand einen Blick draufwerfen darf?

Es kommt drauf an, was. Bei Grafiken und Ideen hab' ich in meinem Umfeld gewisse Leute, die ich immer frage. Die sind vor jedem Release immer extrem genervt. Das wurde auch immer schlimmer. Am Anfang hat mir das mega Spaß gemacht. Es macht mir eigentlich auch immer noch sehr viel Spaß, aber Coverdesign und Titel werden immer schlimmer, immer schwieriger! Bei dem Album war jetzt der Titel irgendwie sehr schnell klar, das war ganz okay.

Warum eigentlich?

Ja, weil ich zufrieden damit war. Aber bei "Destroy" hab' ich megaviel rumprobiert, "Harmonie Hurensohn 3" hatte vorher auch einen anderen Namen. Cover sind noch schlimmer. Ich bin ja noch so ein Produkt-Konsum-Mensch. Deswegen mach' ich auch supergerne Cover für andere Menschen. Weil ich es einfach schon feier', wenn ich mir vorstelle, wie das dann ist, wenn man das in der Hand hat. Da bin ich sehr produkt- oder konsumorientiert.

In der Hinsicht ist Vinyl natürlich nochmal geiler.

Jaaaa! Lichtjahre. Unfassbar großartig. Auf der Kindertraum-Liste wieder ein großes Ding abgehakt.

Nicht abhaken!

Nein, nur Häkchen gemacht. Das kann jetzt weitergehen. Jetzt will ich mein erstes Vinyl-Fach haben, in dem Scheiß-Expedit-Ikea-Regal. Jedenfalls wird das immer schwieriger. Woah, das sind immer so Phasen: Ich hab' jetzt schon den Namen fürs neue Album. Ich hab' auch schon grob 'ne Coveridee - und die wird noch vierhundert Mal umfallen. Der Name wahrscheinlich auch, ja.

Unfertige Sachen herzeigen: bei Grafik und Covern demnach möglich.

Ja, was heißt 'unfertig'? Die sind dann ja fertig designt. Ich bin halt auch so ein Todesfrickler. Ich sitz' fünf Stunden da, mach' irgendeine Artwork-Sache und schmeiß' sie hinterher weg. Weil ich das auch mag: Mucke hören, dabei rumbasteln, zeichnen. Ich mach' ja auch superviel. Zum Beispiel die ganzen Schriften, die zeichne ich alle mit Bleistift, dann mal' ich sie nochmal mit Wasserfarbe, dann bau' ich irgendwelche Schwämme um und so ... Dann siehts auch hier immer aus wie ... völlig wahnsinnig! Ich bastel' halt auch wirklich viel und wirklich gerne. Ich mach' das schon so, dass die Sachen geil-find-bar sind. Ich mach' sie soweit fertig, wie ich sie dann auch gut finden würde. Dann zeig' ich sie und nerv' alle.

Lässt dich vom Feedback dann noch beeinträchtigen?

Ich lass' mich schon beeinflussen, ja. Vielleicht aber auch genau gegenteilig. Dass jemand sagt: "Ja, scheiße!", und DAS find' ich dann gut und nehm' es deswegen. Es beeinflusst mich auf jeden Fall. Es hängt ja auch von meinen Kritikpunkten ab. Hauptsache, es sieht nicht gewollt aus.

Wann sieht denn etwas "gewollt" aus? Ist das nur so ein Gefühl? Kannst du das an irgendetwas festmachen?

Ich könnte es an schlechten Fällen festmachen. RAF Camora, da ist alles komplett gewollt, und es ist das Grauenhafteste ...

[Der imaginäre Diss-Zähler klickt um eins nach oben.]

(Lacht) Ja. Der ist mir nicht eingefallen! Ich streiche Ali As und nehme RAF Camora, der Todesengel der Welt. Ey, das ist so ein widerlicher Wichser. Das ist einfach unfassbar eklig, gewollt und gestelzt und zurechtgeschustert ...

Du meinst die Musik? Das Artwork? Oder ...

Alles! Ich mein' das Artwork, ich mein' die Videos, ich mein' die Mucke, alles! Da kommt so richtig gar nichts rüber! "Ich habe mir was zusammenkonstruiert!" Da ist kein Herz drin. Ich will das jetzt gar nicht so sehr auf das Emotionale schieben, aber da ist so wenig aussagefähige Substanz drin und so viel Schmotze außenrum, die auch noch richtig scheiße ist. Wer macht sich denn ein Cover mit selbstgemalten "Tron"-Halstattoos? Wie unfassbar fake und gewollt kann denn irgendwas sein?! Heutzutage hat doch schon jede REWE-Kassiererin Gesichtstattoos, und der macht sich fake Hals-"Tron"-Tattoos! Das sieht doch so unfassbar scheiße aus! Diese ganzen Videos ... ey, bitte! Okay, dass inzwischen jeder auch Skater in seinen Videos hat: ja. Parkour? Ernsthaft? Parkour?!! Im Video??! Ey, und irgendwelche Fahnen ... schlag' mich tot. Es ist wirklich grauenhaft. Künstlerischer Holocaust, auf jeden Fall. Ja, isso! Wirklich ganz, ganz grauenhaft! Widerlich! Das ist so wie ungewollter Arschfick. Nä!

Das ist genau das: Du machst irgendwas, und es geht nicht um die Sache. Du hast nichts zu sagen und du hast auch nichts, das du rüberbringst. Es gibt ja Leute, die bringen irgendwas rüber. Ein MC Bomber, der bringt einfach 'nen Style rüber. Egal, ob man das gut findet, aber das ist eine Persönlichkeit. Wenn du das nicht hast und innen drinnen bist du nur so ein kleines, weiches Ei, so 'ne Puppe, nichts, und dann packst du einfach alles obendrauf und versuchst, das zu verdecken ... Aber da ist nichts, Alter. Da ist nichts! RAF Camora ist nichts. Und DANN machst du dir auch noch so Ed-Hardy-artige Scheiße außenrum: eklig. Weil es in drei Instanzen schlecht ist: a) ist er nichts, b) er nimmt sich andere Sachen, um es zu überdecken, und c) er nimmt unfassbare Scheiße, um es zu überdecken. Das ist ja das Schlechte. Diese "GHOST" und "DAEMON" mit dem durchgestrichenen ... Junge, wie wack ist das denn, ey? Das ist so unfassbar schlecht.

Äh, ja. Bei der Frage, ob du Unfertiges herzeigen kannst, hast du dich auf Artwork und Grafik rausgeredet. Wie sieht es mit Texten und Musik aus?

Ah, schwierig. Eher nicht. Nee, das muss eigentlich fertig sein. Vocals ... nur, wenn sie fertig sind. Da geb' ich dann auch nichts drauf, da kann mich auch keiner mehr beeinflussen. Nee! Von der Technik, wat willste da? Da bin ich eh schon der Strengste. Weil ich da sehr unsicher bin, hab' ich da meinen eigenen Anspruch. Wenn der erfüllt ist und ich mich damit wohlfühlen kann, ist das für mich safe. Da weiß ich dann: Besser wirds nicht. Besser kann ich es auch erstmal nicht. Der einzige, auf den ich dann hören würde, ist Hiro. Der hört es ja auch vorher, und auf sein Urteil geb' ich was. Wenn er sagt: "Boah, hier ... das ist jetzt echt zu lang" oder "Das ist dann doch aus dem Takt" oder "Das klingt komisch", dann sag' ich: "Ja, okay." Ich hasse es, in die Tonne zu arbeiten. Widerspricht jetzt der Sache von vorhin, mit dem Cover, aber: Ich hasse es, musikalisch in die Tonne zu arbeiten. Ich mach' keine Fun-Tracks. Ich mach' auch keine Tracks, die nicht auf irgendwelche Alben kommen. Es sei denn, etwas ist wirklich schlimm. Schweren Herzens sag' ich dann: weg damit. Aber das hasse ich wirklich.

"Mein Arbeitgeber soll sich verdammtnochmal schämen"

Du bist also keiner von denen, die fünfzig Songs produzieren und dann aussuchen, was davon aufs Album kommt?

Nee, gar nicht. Find' ich auch doof. Ich kann mich nicht so richtig reindenken, in die Arbeitsweise. Ich respektier' es, weil ich es nicht genau verstehe. Aber fänd' ich komplett nicht gut. Das können ja keine fünfzig geilen Songs sein. Wenn ich das beste versucht habe und gesagt hab': Das ist dieser eine Song, einer von dreizehn auf dem Album, der geil sein soll, dann kann ich daran scheitern. Dann kann ich sagen: Okay, der Song ist halt nicht geil geworden. Ich hab' versucht, eins von dreizehn Herzchen zu machen, aber ich hab' es halt nicht geschafft. Wenn ich einfach mache und kuck', ob ein Herzchen draus wird: Diese Herangehensweise find' ich irgendwie uncool. Zu sagen: Ich mach' jetzt einfach mal fünfzig Kreise und kuck', ob einer davon ein Herz wird ... irgendwie komisch. Nicht meine Art. Wie gesagt: Ich versteh' es nicht komplett, deswegen will ich das auch nicht diskreditieren. Find' ich aber nicht so schön.

Das ist wohl wirklich 'ne Frage der Herangehensweise. Ich will zum Beispiel auch nicht, dass jemand einen unfertigen Text von mir sieht. Wenn ich was veröffentliche und mein Name steht dabei, dann will ich schon das Bestmögliche gemacht haben. Wobei man das ja nicht vergleichen kann.

Na, ein Text ist ein Text.

Aber bei mir hängt ja nicht gleich viel Herzblut an jedem Text. Manches ist dann halt doch einfach nur ein Job. Das ist bei dir ja nicht so.

Nee. Sollte nicht sein. Ich hab' ja nichts zu leisten. Ich mach' das ja nicht Bushido-mäßig: Ich muss mal wieder ein Album machen, weil ich die Miete zahlen muss, oder irgendwas.

Das ist einerseits zwar mies, andererseits aber auch 'ne ganz schöne Luxussituation, wenn man etwas nicht wegen der Kohle machen muss.

Ja, vollkommen. Aber das hab' ich mir doch verdient. Die Situation kann ich doch komplett mir zuschreiben. Ich könnte ja sagen: Ich häng' den ganzen Tag rum und stürz' mich dann auf Hip Hop. Mach' ich nicht. Ich hab' mich ja entschieden, dass es nur um die Kunst geht.

Fändest du überhaupt erstrebenswert, einen Broterwerb draus zu machen?

Wenns gut läuft ... ja. Aber, ach! Das ist doch utopisch.

Trotzdem kann man doch drüber nachdenken, ob man die Utopie überhaupt wollte.

Doch. Für 'ne Zeit lang würd' ich es dann machen, klar. Weil es ja schon das ist, das am meisten Spaß macht. Ich hätte nur Angst davor, dass es systematisch wird. Dass du dann in diese Strukturen reinkommst. Noch nicht mal, dass du sagst: Ich muss jetzt ein Album machen, weil es einfach wieder ansteht, dieses Jahr. Sondern dass du dann halt einfach auch immer so eine Struktur hast. Aufstehen, Texte schreiben, irgendwas ...

Strukturen sind ja aber per se noch nicht schlecht.

Die sind nicht schlecht! Ich bin ein sehr großer Strukturen-Mensch. Aber wenn etwas deine Hauptstruktur ist, hätte ich, glaub' ich, Angst, dass es motorisch wird. Da hängt auch zu viel Herz dran. Ich hab' zu viel Angst, dass mir diese eine Sache kaputtgeht.

Es ist schon riskant, seine Liebhaberei zum Beruf zu machen.

Fand ich auch immer scheiße, eigentlich. Weil du immer auf irgendwas angewiesen bist. Dazu bin ich zu leidenschaftlich. Ich will ein großes, buntes, waberndes Ding haben. Ich will auch einfach immer diese naive Herangehensweise behalten. Ich möchte nicht wissen, dass ein Film in Belgien hergestellt und in München verpackt wurde, sondern ich will einen Film haben, der einfach ein Film ist. Der hat ein schönes Cover, und das glänzt. Ich will aber nicht wissen, wann die Druckdaten fertig sind. Das soll seinen Zauber bewahren. Da bin ich rigoros. Romantik-Nazi.

Wenn es anfangen würde, ein Job zu sein, müsste man sich natürlich auch ganz anders mit den Promo-Strukturen rundherum auseinandersetzen.

Hmm. Muss ich ja jetzt auch schon, so ein bisschen. Es macht ja auch Spaß. Wenn ich sage, ich bin ein leidenschaftlicher Mensch, dann sag' ich ja nicht: Haaach, ich muss jetzt nur im Bademantel rumlaufen, auf Acid, und die ganze Zeit einen Film fahren. Ich sitz' dann ja auch gern in einem Flugzeug nach Berlin, weil ich da Pressetermine hab', und kann auch ganz strukturelle Sachen machen.

Hätte vor einem Jahr auch noch keiner gedacht, dass du mal über Pressetermine in Berlin redest. Nur ich werd' sagen können: ICH habs immer gewusst.

Ja. Oh.

Ich hab' nachgekuckt, übrigens: Es war tatsächlich Prezident, der dich bei mir angeschleppt hat. Mit den Worten: "Is' so ein bisschen wie Private Paul."

Ja, weiß ich noch. Is' doch okay. Hauptsache, es ist angekommen, egal wie. Auch, wenn er gesagt hätte: "Is' wie Ace Of Base."

"Is' wie Fler."

(Gelächter)

"Wie Ace Of Base", das hätt' ich sofort gehört.

Ich bin lieber Fler als RAF Camora. Ace Of Base hab' ich auch sehr viel gehört. Wo waren wir?

Bei Promo-Terminen in Berlin.

Ach, ey, das ist doch auch einfach alles noch toll. So ganz verblendet bin ich ja nicht. So lange ich immer noch weiß, in der Mitte ist dieses glänzende, schöne, rosa Ding, dann ist es okay, dass du drumherum auch Stromanschlüsse hast, damit das funktioniert. Dass es da 'ne Halle gibt, die geputzt werden muss, in der das rosa glänzende Ding drinnen steht. So lange das immer noch größer ist als alles, ist das alles gut. Das macht alles Spaß, so lange es um eine geile Sache geht. Es ist ja auch gut, banale Sachen zu machen. Die Cover abzuholen, zu verpacken ... Ich mach' zum Beispiel mein Merch alleine. Ich genieß' das auch, einen ganzen Nachmittag nur Päckchen zu packen, Anschriften zu schreiben oder einen Samstagabend lang alleine ein Regal dafür aufzubauen. Ich freu' mich da tierisch drüber, weil es ja trotzdem mit der Sache zu tun hat. Es darf halt bloß nicht überwiegen. Maximal ein 70-30-Verhältnis. Das ist dann gut, weil: Es hat ja mit etwas Schönem zu tun.

Völlig vom Thema abgekommen, schon wieder.

Distanz?

Daran könnten wir dieses Masken-Ding nochmal aufziehen. Wenn man sich eh schon hinstellt, sich das Herz rausreißt und es den Leuten vor die Füße schmeißt, warum dann mit der Wampe nicht auch noch seine Fresse in die Kamera halten?

Das war ja so nicht geplant. Ich hab' ja nicht gewusst, wie das ausartet, mit der Nackigkeit, als ich angefangen hab'. Ich fands cool, war ein Fan und hab' gedacht, ich mach' mal irgendwas. Dass es dann so nackt ausgeartet ist, das ist ja dann so einfach gekommen. Zur Maske, hab' ich ja schon mal gesagt: Das ist zum einen dieses Schutz-Ding, dass ich mich trotzdem noch ein bisschen verstecken kann. Und dann ist es halt einfach ein bisschen geheimnisvoller. Wie gesagt: Es war nicht so geplant. Aber im Endeffekt find' ich, wie es sich entwickelt hat, weitaus cooler. Dass man sagt: Ich bin jetzt befreit. Ganz ehrlich: Wenn ich keinen Job hätte, auch nie wieder in den Job müsste, und meine Eltern vielleicht in Belgien leben würden, dann wär' mir das auch egal. Es ist ja schon etwas anstrengend, so. Ich muss ja auch überlegen, wie ich das mit Live-Sachen mach'. Da eigentlich keine Maske. Aber wenn die Konzerte jetzt doch ein bisschen mehr werden ... das ist schon anstrengend.

Wär' es dasselbe, ohne Maske?

Ach, ich glaub' nicht, dass in meinem Fall die Maske jetzt so der Mega-Coolnessfaktor ist. Oder?

Davon red' ich doch gar nicht. Eher von diesem Selbstschutz. Davon, dass man sich, wenn man seine Fresse eben NICHT ins Licht hält, doch andere Sachen traut.

Nee, das wär' das Gleiche gewesen. Dazu bin ich zu vertragslos. Ich bin irgendwie ungebunden, in meinem Kopf. Ich bin natürlich nicht ungebunden im Leben. Aber so in meiner Denke, in meiner Welt, bin ich sehr frei. Weiß nicht, wie ich das erklären soll. Ich bin halt auch so ein Träumerchen, so ein Künstler-was-auch-immer. Das ist mir alles egal.

Du schützt mit dieser Maske demnach eher dein Umfeld? Vor deinem Irrsinn?

Ja, so 'n bisschen. Nee, ich schütze MICH davor, dass mein Umfeld meinen Irrsinn miterlebt. Ich möcht' mich einfach nicht mit meinem Arbeitgeber auseinandersetzen, so wie Pillath jetzt. Man kann das ja machen. Ich kann auch Sachen machen, wo ich dahinterstehe, und bei denen auch ein Arbeitgeber dann sagt: "Ja, okay, hab' ich mal gehört." Ich respektier' das, wenn man dieses Level hat. Aber ich will das auf gar keinen Fall. Ich will, dass das etwas ist, wofür man sich schämt. Wo man hinterher denkt: Fuck, was hab' ich da gemacht? Weil das ist ja das Wichtige. Ich will, dass es schwierig ist. Schwierig, zu bestehen. Und ich will, dass es schwierig ist, mit meinen Eltern im Konflikt, und mit anderen Menschen, die mir wichtig sind.

Ist es schwierig?

Ja.

Da kommt Mama und sagt: "Junge, das kannste so nicht machen!"?

Na, die weiß es ja nicht.

Dann ist es doch auch nicht schwierig.

Aber das liegt ja nur daran, dass ich nirgendwo sage, wie ich richtig heiße, wo genau ich wohne, oder gewisse banale biografische Fakten verrate, die das nachvollziehbar machen würden. Nur solche, die von mir schon von vorneherein gefaket sind, damit man auf die falsche Fährte kommt. Es liegt daran, dass ich einfach meine Fresse nirgendwo reinhalte. An den Tattoos erkennt man mich ja trotzdem ganz gut, aber halt auch nur Leute, die mich wirklich mal gesehen haben. Die wissen dann ja sowieso, dass ich rappe. Aber dieses erwachsene Rundumfeld halt' ich zum Glück noch ganz gut raus. Das will ich auch. Ich will einfach nicht, dass das gemocht wird. Ich will nicht, dass mein Arbeitgeber okay findet, was ich mache. Mein Arbeitgeber soll sich verdammtnochmal schämen. Und ich soll mich dann verdammtnochmal schämen, weil ich meinem Arbeitgeber das zumute.

Schämst du dich denn?

Nein!! Nö, überhaupt nicht. Ich bin megastolz drauf. Aber ich will mich nicht damit auseinandersetzen. Ich will keine Akzeptanz haben. Das ist mir zu uncool.

Seltsam. Man will was machen, es herzeigen, und will die Akzeptanz dann aber nur von den richtigen Seiten?

Bei mir ergibt das Sinn. Es ist halt einfach auch sehr naiv, so ein Schulhofdenken. Ich will nicht, dass das Erwachsene toll finden. Ich will nicht von Erwachsenen akzeptiert werden.

Irgendwann wirst du hinnehmen müssen, dass du dazu gehörst.

Is' ja okay. Aber so will ich nicht Musik machen. Es ist ja nicht so, dass ich nicht denke, dass es funktioniert. Ich hab' ja erwachsenere Fans. Ich glaub' auch, dass meine Mutter einige Sachen wirklich mögen würde. Aber ich will das nicht danach ausrichten. Ich will keine Rücksicht drauf nehmen. Ich will nicht dran denken müssen. Ich mach' das auch nicht nur, um mich zu verstecken, weil ich feige bin. Es ist viel ehrlicher, zu sagen, das gehört auch alles dazu. So weit weg von Gut und Böse bin ich ja nicht, ich bin ja nicht im Elfenbeinturm. Ich bin ja trotzdem angreifbar. Ich bin ja greifbar, wenn man das wollte.

Jemand, der sein ganzes Gefühlsleben in seine Texte stopft, macht sich doch eh schon angreifbar.

Ja, klar. Und ich bin ja nicht soweit Kunstfigur - ich bin ja gar nicht Kunstfigur! - dass ich sage: Huh, jetzt seh' ich aber privat ganz anders aus. Ich kann mir nicht alles leisten. Ich muss auch mit Disses leben. Das ist nur ein kleiner Teil Privatheit. Den nehm' ich mir, dafür zieh' ich dann auch komplett blank.

Wie viel exhibitionistische Neigungen braucht man, um sich so nackig zu machen? Nicht nur körperlich.

Einen gewissen Prozentsatz Narzissmus, wahrscheinlich. Oder Egozentrisch-heit. Das ist 'ne Sache, über die ich mir selber immer sehr viel Sorgen gemacht habe: Ob das jetzt irgendwie aus einem falschen Antrieb passiert.

Was wär' denn der falsche Antrieb?

Der falsche Antrieb wäre, dass man es einfach nur aus Selbstdarstellung macht. Dass die Rampensauigkeit das Treibende ist. Ob ich jetzt so mega-gifted bin, sei mal dahingestellt. Ich hab' weder das beste Taktgefühl noch bin ich der beste Techniker. Aber man weiß es ja nicht. Woher kommt der Trieb, sich zu aktivieren, Sachen zu machen, sich darzustellen? Vielleicht ist das alles nur megaverpeilt. Vielleicht sind alle Menschen, die sich extrovertieren, alles nur Narzissten und Egozentriker. Vielleicht ist das der Antrieb, dass überhaupt etwas geschafft wird. Muss gar nicht abwertend für die Produkte sein, aber der Antrieb ist vielleicht ein total niederträchtiger.

Aber wär' das falsch? Du willst dich doch darstellen.

Ja, klar. Aber das ist eine Sache, die ich mir lang überlegt habe, und meine Therapeutin hat gesagt: "Nee, is' nich' so. Das ist einfach Veranlagung." Rampensauigkeit ist Veranlagung. Gewisse Menschen haben das, andere haben es nicht. Wobei es unfassbar viele Graustufen gibt. Und es hängt viel mit Selbstbewusstsein zusammen. Inzwischen glaub' ich das auch, und das legitimiert mich ein bisschen. Wenn ich jetzt wüsste, das kommt wirklich nur aus einem Selbstbewusstseins-Defizit heraus ...

Ist es ein Defizit, wenn man sich darstellen will?

Joah. Wenn es doch nur das RAF Camora-Ding ist, dass man nur ein weißes Ei ist und sagt: "Ich will aber groß und bunt sein", das wertet schon viel ab. Selbst, wenn man aus dem Antrieb heraus etwas Gutes schafft. Wenn man sich auf RAF Camora-Scheißart schmückt und vielleicht daraus etwas Gutes schafft, dann haste zwar was Gutes geschaffen, okay. Aber es hat schon einen bitteren Beigeschmack.

Kann ich jetzt gar nicht so finden. Wenn was Gutes bei rumkommt, ist doch das Ergebnis Rechtfertigung genug.

Nö. Find' ich nicht.

Entschuldigung, wenn einer 'ne gute Platte macht, die mich irgendwie kickt, ist mir doch völlig wurscht, ob die entstanden ist, weil der Urheber 'ne gute Platte machen wollte, oder weil er glaubt, sein Schwanz ist zu klein.

Hm. Ich denke da größer. Ich bin da auch so ein Fanboy. Ich will besondere Charaktere haben, möchte den Menschen dann auch total toll finden. Ich finde es gerade toll, wenn ich den Menschen gut finde, und der dann auch noch was Geiles macht. Da bin ich einfach wirklich mit Helden groß geworden. Ich möchte Helden haben. Ich möchte beeindruckt werden.

Und auch selbst ein Held sein?

Ja, wenn das geht. Im kleinen Rahmen oder der abstrusen Art: 'türlich. Warum nicht? Ist doch 'ne gute Sache.

Klar. Geliebt werden wollen wir alle. Hatten wir ja schon.

Geliebt werden wollen wir alle. Ich würde auch mit einem Produkt leben können, wenn das Produkt gut ist. Wenn ich es aber aus der falschen Motivation gemacht habe, würd' ich es deswegen vielleicht nicht komplett canceln. Aber ich würd' sagen: Aah, is' mir nicht ehrlich genug, nicht real. Ich würds trotzdem machen und versuchen, den Rest zu verstecken. Es ist einfach unfassbar toll, wenn du jemand kennenlernst, und du siehst das und liest die Geschichte von dem ... Die Nacht, als ich Rummelsnuff entdeckt habe ...

Wah, großartig. Der Typ ist unfassbar.

Ja! DARUM gehts doch! Da hatte ich den ganzen Abend irgendwas gemacht, ein Video geschnitten oder so. Es war schon ein Uhr, da hab' ich das irgendwie entdeckt. Ich hab' dann bis vier Uhr morgens gelesen. Das ist doch das Bezaubernde: dass es so Menschen gibt. Dieses Bigger-than-life-Ding, das ist doch geil. Natürlich ist das auch okay, wenn jemand 'n Album aus niederen Gründen macht und dann ein gutes Album hat. Ja, gut: Dann hast du von dem Herz ein Drittel. Aber wenn du es schaffst, komplett zu flashen, 'ne tolle Person zu sein: Das ist doch tausendmal besser. Wieso sollte man das nicht anstreben? Ich mach' das jedenfalls so. Es gibt dann halt zwanzig Scheißleute und zwei gute Leute. Jeder hat seine Berechtigung, auch die zwanzig nicht so intensiven Menschen. Es kann ja nicht nur zwanzig Überstyler geben.

Wär' ja auch langweilig.

So funktioniert das Thema ja auch nicht.

Dafür ist Musik ja ohnehin viel zu ... ja, unterschiedlich. Wenn mir jede Platte so nahe gehen würde ...

Das wär' megaanstrengend, ne?

Sauanstrengend. Aber man kann ja auch mal irgendeine Plastikscheiße feiern. Es gibt so viel wirklich schlechte Popmusik, die ich hochleben lasse, obwohl ich genau weiß, dass es billiger Scheiß ist. Es ist trotzdem geil. Aber das ist halt nichts, das einem an die Substanz geht.

Ja. Ich hör' ja Sachen auch unterschiedlich. Wenn du jedesmal was hättest, das dir das Herz rausreißt, das jedesmal diese Megaoffenbarung ist, das würde sich ja auch totlaufen. Dazu ist halt wieder alles Biologie: permanent, permanent, permanent, und dann ist es schon wieder Gleichstand. Ich hör' einfach unfassbar oft dieses Scheiß-257ers-Album. Das letzte, "Boomshakkalakka".

Das fand ich nicht so gut. "HRNSHN" hör' ich dafür immer noch. Gerade auf der Herfahrt erst.

Ja, ich auch. Beide! Weils einfach mega-entertainig ist. Es tut nicht weh, es ist unterhaltsam, es verschafft mir kein schlechtes Gefühl ...

... und das sind richtig gute Techniker.

Klar, Technik-mäßig sind die auf jeden Fall sehr gut. Wie gesagt: Das ist auch geil. Dass es nicht nur gibt: Ich mag Torte, also ess' ich Torte. Oder ich mag Lakritze. Dass man auch unterschiedliche Sachen, dass man auch anders mögen kann. Dass du mögen kannst, im Sinne von "Ich find' das supertoll und es berührt mein Herz" oder "Ich mag das, weil das einfach nur warm an meinen Füßen ist". Das ist nicht nur eine Skala, sondern es sind drei komplett verschiedene Sparten. Das find' ich gut.

Du hast ja nicht jeden Tag auf dasselbe Bock. Ich will ja auch nicht jeden Tag das gleiche essen.

Das eine hörst du halt fürs Herz, das andere hörst du als Entertainment, das nächste hörst du nur für den Film. Das sind ganz unterschiedliche Bedürfnisse. Musikhören ist nicht nur ein Strang. Es gibt nicht nur das Extrem des Mögens, das mag ich ganz doll, das mag ich weniger, und das mag ich so mittel. Sondern es gibt komplett andere Bereiche, wie man etwas hört. Also, so ist das bei mir. Ich hör' zum Beispiel auch superviel unbelastete Sachen, die ich für mich entdecken kann, die keiner Sparte zugehören. Sehr viel Soundtracks, viel so skurrile Sachen, wo es keinen vorgefertigten Film für gibt. Wo ich mir dann komplett meinen Film drauflegen kann - wie Babymetal oder so. Oder ich hab' jetzt zum Beispiel ganz bewusst ein Samantha Fox-Album gehört. Das Album, nicht die Hits.

Harter Stoff.

Ja! Aber super. Klar, zu irgendeiner Zeit war das auch mal konzipiert, einen Film zu verursachen. Aber der ist ja jetzt töter denn je. Deswegen ist es jetzt megainteressant, zu sagen: Ich hör' mir jetzt mal 'ne ruhige Ballade von Samantha Fox an und kuck', was dabei geht. Da kann ich dann meinen eigenen Film drauf fahren, kann diesen Film entwickeln. Das ist mir sehr wichtig. Wenn ich jetzt irgendetwas vorgefertigt krieg', was zu einer Zeit gehört, wo ich schon weiß, welche Gruppierung dazu gehört: Kann man machen. Ich will den Film aber lieber für mich entdecken. Ich hab' ganz viel skurrile Platten, komische Sounds ... Apollo Schwabing fand ich unfassbar gut.

Bitte?

Apollo Schwabing ist 'ne Band, die es nur in dem Film "Verschwende deine Jugend" gab. Das ist halt eine ganz andere Herangehensweise. Ich kann die aber auch ganz anders konsumieren, deswegen. Ich kann für mich ganz anders entscheiden, wie ich das mag. Weil es nicht dafür veröffentlicht wurde, dass es normal an die Menschheit geht, sondern es wurde in einem Film, als Plastik-Variante für irgendwas, gemacht. Aber wenn ich es jetzt ins normale Ding hol', kann ich einen ganz anderen Film drauf fahren. Das hab' ich oft, und das brauch' ich auch.

Völlig unbelastet Musik hören fällt mir halt zunehmend schwerer. Wenn es dein Job ist, fängst du immer sofort an, zu analysieren. Was ist das eigentlich? Was hör' ich da?

Das ist ein Grund, dass ich das nie machen würde. Davor hatte ich auch tierisch Angst, als ich angefangen hatte. Am Anfang war es auch so: Dass du, wenn du selber Mucke machst, plötzlich diese Konstruktion merkst. Dass es dann halt nicht mehr so wabert, dass der Fuchur nicht mehr da ist.

Na, der ist schon noch da. Muss er auch, bei der miesen Bezahlung in unserer Branche. Wenn da das Feuer ausgeht, ist es vorbei. Das andere hatte ich aber trotzdem bei fast allen meiner Jobs. Ich hab' mal Partys und Konzerte veranstaltet, ich hab' 'nen Plattenladen gehabt ... Wenn ich irgendwo hingehe, läuft immer noch mein Veranstalter-Ich neben mir her. 'Ah, so machen die das hier. Wie viele Leute sind da? Was kostet das Eintritt? Rechnet sich das?'

Hmm. Dieses Scannen.

Im Plattenladen fang' ich sofort an, aufzuräumen. Ich merk' das nicht mal.

Das mach' ich sonst auch, aber bei der Mucke würd' es mich stören. Das will ich halt nicht mit meinem Herzding machen. Ich hab' auch mal angefangen, Beats zu machen, hier und da. Aber da konnte ich dann auch viel zu viel hinter die Kulissen kucken, das war mir viel zu analytisch. Ich will nicht scannen. Bei meiner Herzsache muss ich den Scanner wegkriegen. Es ist ja jetzt schon so, dass ich manchmal auf die Lautstärken-Verhältnisse achte, von Stimme und Beat. Das reicht mir schon, das ist schon schlimm genug. Wenn ich jetzt irgendwelche alten Punk-Kassetten von früher hör', dann denk' ich mir wahrscheinlich: Krass, warum ist denn die Stimme so laut? Warum ist das und das so? Das soll nicht sein. Da würde ich alles dafür tun. Ich glaub', wenn das dann passiert, würd' ich auch aufhören, Mucke zu machen. Wenn es mir das Muckehören, dieses naive Fuchur-Denken, kaputtmachen würde, würd' ich aufhören. Zum Glück geht es aber. Ich mach' das jetzt ja auch nicht erst seit einem Jahr. Ich denk' mal nicht, dass das noch extremer wird. Dass es jetzt noch kaputtgehen würde.

Weiß nicht. Huarr, der Erfolg hat schon viel kaputt gemacht.

Haha. Dazu müsste es ja erst mal richtiger Erfolg sein.

"Dieser wahnsinnige Künstler ist mir lieber"

Na, immerhin sagst du, du hast jetzt mehr Live-Auftritte ...

Zwei mehr als vorher. (Gelächter) Aktuell hab' ich schon drei geschafft.

Warum denn eigentlich so wenige?

Na, weil ich Angst hab'. Weil ich ein Nervenbündel bin. Ich muss das einfach trainieren. Egal, wie unheimlich entspannt ich bin: Ich hab' halt echt viel Stress, manchmal. Kopfmäßig. Das heißt nicht, dass ich dann immer so ein megazitterndes Wrack bin. In den Wrack-Momenten würde mich keiner sehen. Aber ich hab' da große Schwierigkeiten. Ich würd' das gern machen und ich trainier' mir das auch an. Ich bau' mir meine Eselsbrücken und meine Hilfsmittelchen, damit ich da hinkomm'. Ich würd' das supergern machen. Ich machs ja auch.

So schlimm Lampenfieber?

Ja, es ist Lampenfieber, aber im Extrem. Ich hab' einfach ein megageficktes Nervenkostüm, in allen Varianten. Ich hab' unheimlich starke Einschränkungen ... öh ... wie sag' ich das denn? Alles, das so Emotionalität angeht, das nervliche Belastungen angeht, durch diese ganzen Macken ... Mir gehts ja sonst sehr gut, jetzt. Trotz allem, das ich erlebt habe. Für meinen Alltag und das ganze Ding bin ich gut gestützt. In meinen Bahnen kann ich mich so Meerschweinchen-mäßig gut bewegen. Ich schaff' es auch gut in neuen Situationen. Aber trotzdem ist das alles halt ein wieder-gesund-gewachsenes Konstrukt. Es ist nicht so, dass ich jetzt in den Dschungel gehen und sagen kann: Hier bin ich, ich mach' einen Survival-Trip. Ich hab' einfach noch unheimlich viele Handicaps im Kopf. Die Narben sind da, sie sind verheilt. Aber aus den Narben ergeben sich einfach noch sehr viele psychische Defizite. Mich belasten und stressen manche Sachen viel mehr. Ich hab' das vielleicht auch schon immer gehabt, so eine Hochsensibilität. Das wirkt alles immer viel krasser. Ich schmeiß' unheimlich viel durcheinander, emotionsmäßig. Ich weiß bei manchen Sachen nicht mehr, ob ich die erlebt oder geträumt habe. Ich bin ein sehr, sehr, sehr ver-emotionalter Mensch, irgendwie. Was teilweise sehr gut ist, weil es sich sehr schön anfühlt. Was aber teilweise auch unheimlich stressig ist.

Glaubst du, das war vorher schon so? Oder hast du dir das ... eingefangen?

Die Veranlagung war auf jeden Fall da. Und ich habs einfach komplett gefickt. Durch den ganzen Drogenscheiß hab' ich das megakrass forciert. Aber ... is' halt einfach so. Ich hab' es ja in dem Sinne auch rausgekehrt. Mit jedem LSD und jedem Pilze-Fressen hab' ich das gefördert, und ich mag es ja im Endeffekt auch. Ich kann mich nur schemenhaft daran erinnern, wie ich vorher war. Aber ich hab' - durch meine Eltern - beide Stränge sehr stark: Ich hab' dieses Hochemotionale, sehr Sensible, und dieses total Analytische, Deutsche, Strukturelle, Spießige hab' ich auch, von meinem Vater. Und ich genieß' das. Ich mag beides, und es unterstützt sich gegenseitig. Vorher war ich, glaub' ich, sehr unsicher mit emotionalen Dingen. Ich war dann doch eher zurückhaltender, strukturierter und hab' mir das alles nicht so gegönnt. Das hat mir dann, sag' ich mal, geholfen, diesen wahnsinnigen Künstler mehr auszuleben, der mir lieber ist.

Der Exzess war also nötig?

Hmm ... weiß ich nicht. Vielleicht hätte man das auch mit gesundem Menschenverstand geschafft. Oder durch Sport. (Lacht)

Sport scheidet völlig aus.

He! Ich hab' sehr viel Sport gemacht.

Ja. Ich nicht.

Okay. Weiß ich nicht. Es ist, wie es ist. Das ist ein Film. Es gibt kein Richtig oder Falsch.

Man kanns eh nicht mehr ändern.

Nö. Aber ich bin damit eigentlich zufrieden. Ich nehm' lieber die Abgründe mit, anstatt zu sagen, ich bin dann jetzt doch ein sehr viel nüchternerer Mensch.

Existenzbedrohende Erfahrungen rütteln ja auch mal die Prioritäten zurecht.

Ja. Klar. Das ist, glaub' ich, auch dieses Ding mit der Vertragslosigkeit, was ich vorhin meinte. Das ist gar nicht böse gemeint, klingt aber wahrscheinlich megaüberheblich. Aber du kannst ja nichts dagegen tun, dass dir megaviele Sachen banal vorkommen, im Verhältnis. Man kann das jetzt nicht cool ausdrücken, ohne dass es überheblich klingt. Aber wenn du gewisse Sachen erlebt hast, dann, mein Gott, ist das alles eine lustige Serie, hier. Auch schlimme Sachen, die passieren, irgendwelche Nazi-Aufmärsche, weiß der Deibel! Ich häng' da ja auch drin, ich bin hochempathisch, ich kann mich in alles reinversetzen. Aber bei viele Sachen bin ich 'n bisschen drüber, irgendwo. Nicht, dass ich Niveau-mäßig drübersteh', aber ich schweb' da einfach drüber. Ich bin da irgendwo weg.

Manches kratzt einen halt auch einfach nicht mehr, wenn man mal vor Augen geführt bekommen hat, wie kurz das Leben ist. Kenn' ich von mir. Ich hab' seitdem wenig Geduld für Höflichkeit. Ich bin zum Beispiel null gewillt, Zeit mit Leuten zu verplempern, die mir nichts bringen.

Ja, man wird intoleranter. Mich stressen Leute unheimlich, die in einem Entwicklungsprozess stecken, den ich schon abgeschlossen hab'. Man hat eine gewisse Reife - wobei das natürlich sehr banal klingt, wenn ICH sage, ich bin reif. Aber wenn man so einzelne Erkenntnisse gelernt hat, kann mich jemand, der noch nicht soweit ist, sehr fuchsig machen. Es kommt drauf an, wie man dann auftritt. Aber das ist, glaub' ich, auch normal. Als Zehntklässler setz' ich mich auch nicht mit einem Zweitklässler hin und red' den ganzen Abend mit dem. Gerne mal 'ne halbe oder 'ne gute Stunde. Aber einen ganzen Abend mit einem Zweitklässler zu verbringen, ist einfach anstrengend. Ohne es böse zu meinen. Aber das sollte auch so nicht sein. Deswegen gibt es ja Klassen. Hierarchien. Damit keine Untermenschen mit mir reden. (Gelächter) Ey, wir müssen noch einkaufen gehen!

... was eventuell den radikalen Themenwechsel hin zu einer Facebook-Gruppe namens "I like Asian girls and I want to die" erklärt.

Bitte? Wie kommt man denn da hin?

Soll ich es erklären? Ich hatte relativ spät Facebook. Nur deswegen hab' ich so wenig Likes. Nicht, weil ich wack bin! Ich hatte zwei oder drei komische Modewellen. Ganz am Anfang, als ich die Seite gemacht hab', hab' ich KMK- oder Hirntot-Fans angefragt. Oder haben die mich angefragt? Egal, ich hab' dann einfach nur die ganzen Folgedinger, die vorgeschlagen wurden, angefragt. (Lacht) Dann hatte ich irgendwie zweihundert Blokkmonsta-, Hirntot- und KMK-Fans. Das war beim ersten Johnny-Album, was einfach so unfassbar gar nicht passt. Obwohl es witzigerweise jetzt noch das Kaisa-Feature gab.

Das ist ja aber noch gar nicht so lange her.

Nee, nee, eben! Jetzt hat sich die Schlaufe geschlossen. JETZT kommen die ganzen KMK-Fans und stellen mir Anfragen. Haha. Vor 'nem Monat oder so, da war ich etwas angetrunken und habe festgestellt, dass ich gleichzeitig so zwei, drei blauhaarige Mädchen hatte, die mir Freundschaftsanfragen gestellt haben. Und dann war rechts direkt NOCH EINE, der ich dann auch 'ne Freundschaftsanfrage gestellt habe, einfach aus der Spastiness heraus, und das ging immer so weiter. Jetzt hab' ich ungefähr zweihundert blauhaarige Mädchen als Freunde, was einfach total bescheuert ist. Das war die zweite Welle, irgendwelche komischen sechzehnjährigen, blauhaarigen Emo-Mädchen.

Darüber und weil ich auch selber viele Anime-Seiten geliket hab', wurde ich dann dauernd in so megakrasse geschlossene Gruppen eingeladen. Indische Anime-Gruppen, so Zeug. Das war dann irgendwie so ein Selbstläufer, und jetzt ist die Seite, die bei mir am aktivsten ist, eine My-Little-Pony-Seite: Friendship is Fanbase. Beste Seite: "My Little Pony - Friendship is Fanbase". Was auch immer das bedeuten soll! Ich glaube, niemand weiß es, aber ich find' es wunderschön. Die sind ultraaktiv, das heißt, meine ganze Timeline besteht nur aus My Little Pony. Und ich feier' es unendlich. Früher hab' ich mich manchmal durch meine Timeline durchgeklickt, und es war ab und zu auch ein bisschen deprimierend. Ich hab' ja auch asige Fans, was mich dann manchmal ein bisschen runterzieht. Also nicht, dass ich die Fans hab', sondern was da gepostet wird, irgendwelche harten Storys. Und jetzt besteht meine ganze Timeline nur aus so 'ner My-Little-Pony-Scheiße, und das ist total großartig. Ich feier' das des Todes. Und darüber kam das mit "I like Asian girls and I want to die".

Dem kann man schwer noch irgendwas anfügen. Höchstens noch den größten Poser. Bist du doch gar nicht.

Nö. Das ist RAF Camora.

Wieso behauptest du es dann? "Der letzte echte Arbeiter, der größte Poser"? Widerspricht ja meiner scharfsinnigen, unvorbelasteten journalistischen Analyse, der zufolge du völlig frei von Posen bist.

Nee. Die Pose steckt woanders. Die Pose steckt in dem Bedürfnis, es trotzdem zu machen. Bei "Taxi Driver" sagt er das irgendwo, aber das krieg' ich jetzt nicht intelligent zusammen. Das ist ja auch eine Form von Schwäche, die gut ist. Dieses Wollen, dieses Cool-sein-Wollen, das find' ich einfach unheimlich toll. Dieses Bedürfnis zu haben. Nicht, dass man dann cool ist. Das ist etwas Ehrliches, genau wie Geliebt-werden-Wollen. In dem Sinne ist auch Posen nicht so schlimm, von der Herangehensweise. Das Ding ist, wie man es dann umsetzt. Wenn man es RAF Camora-mäßig umsetzt, ist es schlecht. Aber das Grundbedürfnis find' ich total faszinierend. Das ist ja auch diese Rock-Idee: Ich möcht' aus meinem Ding raus, ich möchte toll gefunden werden. Das ist doch wunderschön, so ein Kinder-Ding. Das ist wie Verknallt-Sein. Das find' ich grundehrlich und total toll, weil das so Basics sind. Deswegen bin ich zu einem gewissen Teil natürlich auch ein Poser. Ich lass' mich tätowieren, um cool auszusehen ... Dieses Bedürfnis hat ja was Poseriges. Zu einem gewissen Prozentsatz ist das total toll. Keiner ist perfekt, und keiner sollte perfekt sein. Keiner sollte von vornherein als schöner, blonder Mensch geboren werden. Man sollte auch Knechtung erfahren und daraus was Neues machen. Es darf bloß nicht zu extrem sein. Die Dosis macht das Gift - wie bei Geschwisterliebe.

Wie bei allem. Perfektion ist ohnehin bocklangweilig.

Fürn Arsch!

Die Unangeknacksten haben mich noch nie interessiert. Ich hatte schon immer was übrig für die Kaputten.

Ja, weil du selber angeknackst bist.

Ah?

Allein mit dem Faible belegst du das doch schon. Auch wenn ich dir das auch so hätte sagen können.

... pfff!

Ich will übrigens auch unbedingt, dass mein Kind später so ein zugeklebtes Auge hat.

Du bist so ein Drecksack. Doch nicht echt!

Unbedingt! Ich will kein Kind, dem es gutgeht. Es soll nicht kaputt gehen, aber es soll was erfahren. Ich will kein Kind, das von vorneherein cool ist. Es soll diese Entwicklung mitmachen. Was nützt mir denn so ein Haufen, der von vorneherein auf der Sonnenseite ist? Der soll keinen Schaden haben. Es muss nicht so hart sein, wie das, was ich erlebt hab'. Aber ich will niemanden, der direkt in den Sonnenaufgang reitet. Das gibt mir absolut nichts. Klar wünscht man sich für sein Kind wahrscheinlich, dass es da keine Schwierigkeiten gibt. Wünsch' ich mir auch. Aber ich will da Mittelmaß. Ich will Mittelmaß, und ich will dieses Aufbegehren, dieses Lechzen. Ich will das Poserige, im Sinne von diesem Bedürfnis.

Wird schwierig. Wie willst du denn aufbegehren gegen Eltern, die das Aufbegehren erwarten?

Hab' mir auch schon überlegt, dass ich wieder megavernünftig und konservativ werden muss, damit das Kind dann rebellieren kann. Wobei ich glaub', dass das gar nicht so sein muss. Guck' mal, der Sohn von Tony Hawk, der ist auch cool geworden. Das Problem ist dann vermutlich eher, dass du versuchst, zu toppen. Der Sohn von Tommy Lee, der wird vermutlich einfach direkt mit einer Überdosis tot geboren. Das ist dann nur gefährlich, wenn du so den Punkrock hast. Du musst dem Kind ja auch Platz zum Rebellieren lassen. Oder halt einfach anders rebellieren. Ich werd' wahrscheinlich einfach den einzigen Jungen kriegen, der nicht Skateboard fährt. Da würd' ich, glaub' ich, sterben. Wenn mein Sohn nicht Skateboard fährt, verstoß' ich den.

In diesem Haushalt keinen Skater großziehen? Seh' ich keine Gefahr. Bin auch schon fast wieder draufgestiegen, vorhin. Beim letzten Versuch: zwanzig Sekunden bis zur Platzwunde.

Vielleicht schaffen wir dreißig.

Lass' mal. Ich glaub', wir sind hier fertig.

Wolltest du mich nicht noch nach dem Arbeiter fragen?

Nö, nur nach dem Poser. Den Arbeiter nehm' ich dir ab. Den Poser glaub' ich dir immer noch nicht.

Na, DAS war doch deutlich ergiebiger als Runde eins. Andererseits hatten wir im ersten Durchgang Handtäschchen, Einhörner, Gin, Scooter, tierische Gastauftritte ... das soll man ja alles auch nicht unter den Teppich kehren. Bitteschön:

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