10. November 2010

"Schiller? Ist doch Tapetenmusik!"

Interview geführt von

Deine Lakaien sind mittlerweile schon ein Vierteljahrhundert alt. Und mit "Indicator" haben sie gerade einen Meilenstein in ihrer Karriere veröffetlicht.Zeit also, mit Sänger Alexander Veljanov Rückschau und Ausblick zu halten. Der eloquente aber oft als reserviert und eher zugeknöpft geltende Deutsch-Mazedonier zeigt sich dabei sehr offen und redselig. Für verfehlte Politik und schlimme Musik findet er deutliche Worte.

Hallo Alexander, zum Einstieg: Hast du eigentlich schon einmal deinen eigenen Wikipedia Eintrag gelesen? Da steht sehr staatstragend "Leben und Werk" als Überschrift. Klingt Goethe-artig und auch ein wenig nach Epitaph; als wenn du nicht mehr unter den Lebenden weilen würdest.

Alexander Veljanov: Kenne ich wirklich nicht. Ich boykottiere Wikipedia ganz bewusst. Ich lehne es komplett ab. Wenn man Halbwahrheiten und schlecht recherchierte Pseudofakten haben möchte, dann sollte man sich definitiv auf Wikipedia verlassen. Aber "Leben und Werk"? Grundsätzlich ist ja schon der Begriff Werk für schöpferisch tätige Menschen eher angestaubt. Nee, echt, Werk geht gar nicht.

Was geht: erstmal herzlichen Glückwunsch zum 25-jährigen Bestehen der Band.

Ist eigentlich erst nächstes Jahr offiziell geplant.

Moment, die Gründung datiert doch anno 1985.

Ja, du hast Recht. Die Gründung war 1985. Insofern schon 25 Jahre Lakaien. Aber Ernst und ich gehen für uns immer von der ersten Veröffentlichung aus. Und die war 1986.

Dann lass uns doch mal eine vergleichende Rückschau halten. Wenn du den Alexander von heute mit dem damaligen vergleichst in Bezug auf Texte, Gesang und Komposition, inwieweit näherst du dich der Musik anders als früher?

Es wäre ja fast schon tragisch, wenn es heute dasselbe wäre wie damals. Als Anfänger orientiert man sich zunächst viel mehr an Vorbildern. Das gibt sich. Ich muss allerdings dazu sagen, dass ich nie ausschließlich selbst geschriebene Texte gesungen habe. Im Gegenteil; anfangs war es umgekehrt. Bei den Lakaien hat sich das so auf mehr oder weniger fifty-fifty eingependelt. Es wäre doch für das Publikum langweilig und auch ein wenig enttäuschend, wenn man sich in so langer Zeit nicht zumindest ein wenig zum Besseren entwickeln würde. Allein schon die Beherrschung der Stimme als Instrument ist doch so ein Punkt. Und natürlich konnte ich in den Lyrics nicht die jugendliche Naivität und Unverfälschtheit auf Dauer konservieren. So fließen doch mit der Zeit die sehr intimen Erfahrungen ein, die unser aller ganzes Leben bestimmen.

Die Themen von "Indicator", Politik, gesellschaftliche Missstände und eine Menge Wut, sind tatsächlich sehr ungewöhnlich, wenn man die rein romantischen Darkwave-Anfänge bedenkt. Ist der Realismus bei den Lakaien eingekehrt?

Das kommt in der Tat unabhängig voneinander sowohl von Ernst und mir. Wir stellten fest, fast gleichzeitig Texte geschrieben zu haben, die das gleiche Thema berühren. Jedoch ohne es abgesprochen zu haben. "Immigrant" z.B. wurde von Ernst getextet.

Ach tatsächlich? Bei dem Text hätte ich nun wirklich gedacht, er käme von dir; gerade wegen deines bi-nationalen Hintergrunds.

Sollte man meinen, aber "Europe" ist von mir. Das Thema ist identisch. Es geht um Migration und die europäische Frage. Wer darf was? Wichtig war uns jedoch, die Thematik aus zwei völlig verschiedenen Blickwinkeln auszuloten. Immigrant handelt von einem Menschen aus der dritten Welt, der versucht, übers Mittelmeer irgendwo hin zu gelangen, wo er sich eine würdige Existenz erarbeiten kann und darf. Der Chorus gipfelt dann auch in der Frage nach einem ganz normalen Leben. Wer darf dieses Ansinnen in Frage stellen? Darfst du mir das Recht nehmen? Der Text ist sehr direkt aus der Ich-Perspektive eines Opfers. Ein sehr gehetztes Lied. Ich denke auch musikalisch gelungen umgesetzt. Die Angst, das Getriebensein und das nicht wissen, was passiert, hat Ernst sehr gut inszeniert. Man ist doch ausgeliefert sowohl den Naturgewalten als auch den politischen Gewalten. Wird man erschossen? Wird man zurück getrieben? Eingesperrt? Oder schafft man es? Und zu Hause wartet die Großfamilie, die eben in dem jungen starken Mann den fähigsten erwählt hat, das Schicksal zu wenden.

Und inwiefern ist Europa da das Gegenstück oder besser Partnerstück?

Da geht es eher um die Frage, wer reagiert auf den Wunsch von Menschen, sich zugehörig und integriert zu fühlen; z.B. in die EU? Wer entscheidet über die Einteilung in verschiedene Klassen in Europa. Wir wissen doch alle selbst, dass es die großen Reichen gibt. Dann gibt es die kleinen Reichen. Und an dritter oder vierter Stelle stehen dann die Bittsteller, aufgenommen oder eben noch nicht aufgenommen. Aber warum? Diese Einteilung ist doch wesentlich von der europäischen Geschichte der letzten Jahrhunderte geprägt. Es sind damals wie heute die Interessen Londons, Frankreichs, auch Russlands und nicht zuletzt Deutschlands. Alle haben ihre Vasallen und Verbündeten; ob das jetzt Italien, Spanien ist oder die Balkanstaaten. Da gibt es ja Verwicklungen und Verbindungen, die über Jahrhunderte gehen. Gleichzeitig hat Europa noch immer nicht geklärt, wofür man steht. Was soll es denn am Ende für ein System sein; wirtschaftlich, kulturell und sozial?

Eine andere Sache, die dir sehr am Herzen liegt, scheint die Verwaltung der Religion durch die Geistlichen zu sein. Richtet sich deine Wut hier speziell gegen die christlichen Staaten oder ist das eher als allgemeine Kritik zu werten?

Hier geht es in "Europe" natürlich aufgrund des Europabezugs vor allem um die christlichen Kirchen, die immer versucht haben, Macht zu konservieren und zu mehren. Das geht bis heute. Nicht mehr so offensichtlich. Und da stellt sich doch die Frage, wo sind sie denn eigentlich, die echten Hüter des Christentums? Das frage ich auch unseren deutschen, bayerischen Papst an oberster Stelle. Wo sind jene, berufen, die Rechte der Menschen zu verteidigen; dafür zu sorgen, dass Gerechtigkeit auch umgesetzt wird in Europa?

Wie stellst du dir das denn konkret vor?

Schau dir nur mal diesen schlimmen Widerspruch an. Auf der einen Seite versucht die katholische Kirche in einem Kontinent voller Armut, Überbevölkerung und AIDS-Epidemien noch immer, die Verhütung zu verbieten. Andererseits heißen sie aber nicht aktiv jene hier willkommen, die aufgrund dieser Umstände geboren werden und später nach Europa wollen, weil sie nur ums nackte Überleben kämpfen.

Wenn man die Entwicklung deines Gesangs seit dem letzten Album beobachtet, könnte man sagen, du kommst langsam bei Jacques Brel und Scott Walker an?

Das freut mich nun wirklich sehr zu hören. In der Tat ist Brel ein wirklich ein extrem wichtiger Einfluss von Jugend an. Seit der Kindheit schon. Walker kam dann tatsächlich hinzu als ich 16 war. Schön, dass das jemand wirklich herauszuhören in der Lage ist. Gerade bei Walker treffen sich ja die Welten mit den Solosachen, wo er u.a. auch Brel gecovert hat. Oder Bowie nicht zu vergessen.

Bowie? Du meinst dessen 1972/73er Versionen von "Amsterdam" und "My Death"? Die finde ich auch hervorragend, obwohl das damals nicht so bei den Kritikern ankam.

Absolut richtig. Ich muss ohnehin sagen, dass französische Musik mich stets sehr interessiert hat. Das lag wohl auch an meiner Herkunft und Erziehung. Dass ich weder richtig deutsch noch richtig makedonisch war. Da habe ich mir als Kind eine Art Ersatzsprache zugelegt. Und das war französisch. Das hat mich einfach fasziniert, noch mehr als das Englische. Ich habe mich eigentlich ein Leben lang mit dieser Sprache und Kultur auseinandergesetzt.

Gibt es denn auch kulturelle Wurzeln aus dem makedonischen Raum?

Oh ja, ich habe beide Kulturen, deutsch und makedonisch von Anfang an mitbekommen. Da haben meine Eltern sehr drauf geachtet; sowohl die makedonische familie meiner Mutter und die deutsche Seite meines Vaters. Nach White Lies, also Anfang 2002 habe ich auch gemerkt, dass mir da noch etwas fehlt. Das schwarze Loch durch die Kriege in den 90ern musste aufgefüllt werden. Also habe ich diesen Versuch der Wiederentdeckung der zweiten Heimat ... nein ... zweite Heimat klingt furchtbar. Sagen wir der anderen Heimat. Das habe ich 2007 in ein Album münden lassen. Das war mir sehr wichtig als Mensch und als Künstler. Und genau da merkt man auch am Gesang die von dir bemerkte Entwicklung der Stimme. Die Stimme bewegt sich weniger hinter und durch Bilder.

Schiller? Tapetenmusik!

Woher kommt diese neue Direktheit, die bis heute immer stärker spürbar wird?

Das hat viel mit den gemachten Erfahrungen zu tun. Ich sah doch wie Kollegen und Freunde in diesen Jahren gelitten haben. Hierzulande wurde die Bevölkerung glücklicherweise verschont von Blutvergießen nach dem Mauerfall. Dort unten war das anders. Das kleine Mazedonien wurde und ist doch bis heute weder anerkannt von Bulgarien, noch von Serbien oder Griechenland. Jetzt sind die Griechen selbst am Rande der Existenz als Staatsgebilde. Versteh mich nicht falsch. Die meisten Griechen können ja gar nichts dafür.

Sehr weites Feld. Und dennoch im Lakaienkontext.

Ja, das hätte ich mich früher nicht getraut. Aber wir wissen jetzt: Es geht alles! "Indicator" hat die alten Stärken aufs Wesentliche reduziert. Überflüssiges wurde vermieden. Also haben wir hier ein Album, das hoffentlich nicht später nur als routiniertes Alterswerk durchgeht.

Vieles liegt hier auch an den Streichern. Sie nehmen nach meinem Eindruck genau den Platz ein, den früher das Piano bei euch hatte.

Interessante Analyse. Das mag vielleicht wirklich so sein. In der Tat sind sie nicht allgegenwärtig, aber, wenn sie mal vorkommen, sind sie sehr präsent und dominant. Wir haben versucht, Streicher zu wählen, die auch die Stimme tragen. Das war bewusst.

Keine Pseudo-Klassiksoße, meinst du?

Exakt, es sind eben keine Samples. Keine synthetisierten Geigen und Celli. Du hörst genau die Instrumente, die auch auf der Bühne stattfinden.

Bei so viel Authentizität dann mal eine kritische Frage. Würdest du mir zustimmen, dass du mitunter auch unter künstlerischen Gesichtspunkten ein recht unglückliches Händchen hast was die Auswahl der Kollaborationen betrifft?

Gastauftritte meinst du?

Ja, Künstler, denen du die Stimme geliehen hast.

Ganz ehrlich: Ich sage da meistens nur aus Sympathie zu und nicht unbedingt, weil die Musik der Leute jetzt das ist, was ich am überzeugendsten finde. Leider machen oft die nettesten Menschen die schlechtere Musik und leider ist die Musik, die einem gefällt, oft mit Menschen verbunden, die man nicht so sehr mag.

Das ist nicht dein Ernst.

Doch, das ist ein Erfahrungswert. Aber wenn du schon so direkt bist, dann sag doch bitte auch an, was für besonders gute und besonders schlechte Projekte du da im Auge hast.

Gern! Zitat von dir: Blöd seine Songs runterdudeln und dazu irgendwelchen klebrigen Klassiksirup drüber gießen, das ist ganz schlimm.

Ja stimmt, und?

So etwas Richtiges und Wichtiges sagt der Alex, und dann geht er zu Schiller. Ich nenne diese Beliebigkeit für mich immer die Peter-Heppner-isierung der eigenen Gesangskarriere. Ebenso erzählst du mir hier von wichtigen Texten und lyrischer Entwicklung. Und dann gehst du zu Stendal Blast, die nun wirklich eher mit gängiger Szene-Klischeelyrik glänzen. Und auf der anderen Seite so großartige Projekte wie The Perc Meets The Hidden Gentleman. Was bitte soll das denn? Wie soll man daraus schlau werden?

Hm, naja, also ... mir war auch ganz klar und mir ist auch klar, dass Schiller Tapetenmusik ist, wenn auch auf hohem Niveau mit vielen internationalen Gästen. Ich wollte einfach mal wissen, wie es funktioniert, mit jemandem zu arbeiten, der absolut das Gegenstück zu einem Ernst Horn, einem unermüdlichen Elektrofrickler ist. Schiller als einer, der aus dieser klassischen Tapeten ... äh ... Elektronik, World, Ambient Musik à la Michael Cretu stammt. Aus dieser Schule. Ich wollte wissen, wie der mit mir umgeht, mit meiner Stimme. Wie kann ich mit meinem Text und meiner Melodie dieser sehr oberflächlich gestalteten Gebrauchsmusik etwas entgegensetzen. Das fand ich wirklich spannend. Und meistens sagte ich Leuten in der Vergangenheit zu, weil man sich kannte und privat gut miteinander auskam. Weil man sich einfach sympathisch war. Und Emilio von The Perc Meets The Hidden Gentleman kannte ich wirklich schon, als ich noch keine einzige Platte verkauft habe. Bei dem habe ich früher in der Kneipe in Schöneberg gejobbt, um Geld zu verdienen. Und Stendal Blast hast du noch erwähnt. Ja, das sind wirklich auch sehr nette Kerle.

Und wie steht es mit dem Klischeebild der Lakaien? Viele versuchten euch stets in die typische Darkwave-Ecke zu drängen. Am besten als deutsches Flaggschiff der schwarzen Szene. Alles Quark? Alles überwunden?

Ach, einerseits sind wir doch als typisches 80er Elektroduo gestartet. Sänger und Schrauber. Nur hatte eben kaum eines dieser zahlreichen Duos eine solch lange Lebensdauer, außer vielleicht den Pet Shop Boys. Ästhetik über Elektronik war der Ausgangspunkt. Aber die transportierten Songs klingen ja nicht durch die Elektronik wie Songs, sondern, weil man sie klassisch komponiert. Klavier, Stimme Text! Und genau das haben wir auch bewiesen. Wir waren, glaube ich, die erste Elektroband der Welt, die unplugged mit präpariertem Klavier à la John Cage und Gesang aufgetreten ist. Ernst hat das ja auch studiert und oft auf der Bühne gemacht. Unsere Elektromusik kommt direkt von der Cage Schule. Das ist kein Klischee. Das war ein Wagnis damals.

Was also seid ihr?

Gut, lange Rede kurzer Sinn. Wir sind weder Klassik, noch Pop, noch Avant Garde. Wir sind einfach eine Band, die versucht, Dinge zusammen zu bringen, die scheinbar nicht zusammen passen. Orchesterarrangements, die eben nicht sind wie Metallica plus Symphoniesoße.

Du meinst die "S&M"? Das ist für mich auch das ewige Mahnmal dafür, wie man es nicht machen sollte.

Es gibt sicherlich noch viel Schlimmeres. Aber von Metallica hätte ich wirklich erwartet, dass sie es besser hinkriegen. Auch diese ganzen Queen meets Royal Philharmonic Sachen. Das ist doch wirklich völlig indiskutabel. Aber eine Band wie Metallica, die intelligent war und auch wegweisend, der hätte ich wirklich was Besseres zugetraut als eine Auftragsarbeit machen zu lassen mit einem typischen Hollywood-Soundtrack-Streicher-Sirup. Unsere Arrangements sollten eben beweisen, dass es anders geht. Und dieses neunte Studioalbum ist für mich ein ganz persönlicher Beweis dafür, dass ich in den letzten Jahren nicht alles falsch gemacht habe. Sondern tatsächlich eine Entwicklung genommen habe, die mich als individuelle Stimme innerhalb unseres Konzeptes identifizierbar macht, aber gleichzeitig nicht in dem Stil, der Geste und dem Habitus verharrt.

Ist dir in diesem Zusammenhang mal aufgefallen, dass man euch bzw dich für genau diesen Gesang heutzutage lobt, bei dem der Musikexpress und viele andere anno "Forrest Enter Exit" noch schrieben: Bedenkliche Vocals!?

Ach, die Moden kommen und gehen. Es dreht sich alles und kommt und geht. Zur Zeit haben wir diese Post Joy Division Revival Stimmung. Ich glaube auch, wenn "Indicator" jetzt das Album einer unbekannten englischen Band wäre, würde es ganz anders aufgenommen und beurteilt werden, als wenn da der Lakaienstempel drauf ist. Aber das ist eben der Gang der Dinge. Wir waren nie hip oder zeitgeistig. Man hat das auch zu Zeiten unseres Durchbruchs 1994 oft eher befremdlich gefunden. Ich weiß noch, Spex schrieb damals Smells like Weltschmerz. Und heute werden wir so als die Godfathers of Darkwave bezeichnet. Ein Begriff, den es damals übrigens noch gar nicht gab. Den haben wir quasi mitgeprägt.

Wie positionierst du dich denn zur Darkwave- und und Gothic-Szene in ihrer Entwicklung? Epigonentum ohne Ende?

Ich habe da keinen Einblick mehr, ehrlich gesagt. Ich habe aber das Gefühl, dass es heute mehr denn je nur um die Äußerlichkeit geht. Mit einer Musik, die man in Endeffekt auch durchaus als schlagerkompatibel vermarkten könnte, vermischt man düster schwarze Attribute. Ebenso die musikalisch fast volkstümlich mittelalterlichen Weisen. Nur eben, das die Jungs sich heute Bärenfelle umhängen. Ergebnis: Etiketten funktionieren immer. Oder deutschsprachiger Rap. Da haste auch vom Bierzelt-Schenkel-Klopfer, von Maria, pack deine was weiß ich aus, bis hin zu wirklich feingeistigen gesellschaftspolitischen Texten alles dabei. Ich denke, das ist in allen Genres ähnlich.

Sehr diplomatisch, die Überdachung mit allen Genres. Aber lass mich kurz nachhaken. Ihr spielt immerhin nicht wenige solcher Festivals und du kennst altersbedingt auch die Anfänge der Waveszene mit Größen wie Bauhaus und Co. Wie heimisch fühlt man sich denn heutzutage in diesem Umfeld?

Es gibt natürlich gerade auf Festivals zu viele Musiker oder Bands, die meinen, es reicht, irgendeine Latex-Schnepfe auf die Bühne zu stellen. Oder gleich mehrere, die dann hoppla-hoppla-hoppsassa machen. Das ist schon sehr peinlich. Das sind quasi die Totengräber einer einstmals interessanten, mit echten Künstlern bestückten Bewegung nach der Punkära. Wenn man 20 Bands dieser Bewegung aus den 80ern nimmt und sie mit heutigen 20 Bands vergleicht, die auf den Festivals spielen. Dann kann man eigentlich nur beschämt wegschauen. Punkt!

Die Totengräber mit der Latex-Schnepfe

Ich wollte auch noch mal auf euren Namen zu sprechen kommen. Es ranken sich zahllose Legenden um seine Entstehung. Sind die Lakaien im übertragenen Sinne tatsächlich von den Einstürzenden Neubauten getauft worden?

Ja, das kannst du tatsächlich so sagen. Es gibt ein Lied auf dem Album "Zeichnungen Des Patienten OT". Dort heißt es: Auch Lakaien haben Taktgefühl. Das hat uns damals sehr gut gefallen. Gerade wegen der sprachlichen Mehrdeutigkeit. Wir wollten wirklich einen haben, der nicht nach NDW, Deutschrock oder ähnlichen Sachen klingt. Aber er sollte deutsch sein und uns als deutsche Band ausweisen. Es sollte auch zeigen, dass wir keine typischen Popstars werden wollen.

Haben sich die Neubauten bzw. Blixa denn jemals dazu geäußert?

Mir persönlich gegenüber nicht. Ich kannte Blixa zwar ein wenig aus dem Berliner Nachtleben, habe mit ihm auch mal ein paar Sätze gewechselt. Aber da warten wir noch sehr jung. Das war in den 80ern.

Was kann denn nun noch kommen für die Lakaien? Ihr habt fast alles durch. Bleibt nur noch die Hinwendung zum Jazz als Steigerung des eigenen Anspruchs?

Och ja, gerne. Aber wohl eher solo als mit dem Lakaien. Ich bin ja dem Jazz auch nicht abgewandt. Es gibt ja auch so fantastische Jazzsänger. Ich finde es nur immer so gruselig, was für ein massenkompatibler Kram uns heute von Sängern wie Robbie Williams oder Michael Bublé als Jazz verkauft wird. Bäh! Aber so jemand wie Cassandra Wilson z.B. ist natürlich sehr beeindruckend. Es gibt da soviel hervorragende Sachen. Und vergiss bitte nicht: Unser Song "Alabama" von der neuen CD ist ja auch ganz bewusst John Coltrane gewidmet.

Also keinerlei Berührungsängste?

Nein, warum auch? Mit guter Musik grundsätzlich nicht!

Das wäre auch ein Schlag für die so genannte seriöse Presse, die euch gern ignoriert und die Szeneblätter des Darkwave, die euch auch nicht verstehen.

Ich glaube auch, dass das Internet hier die Zukunft ist. Da geht es oft mit mehr Enthusiasmus zu als bei den Kollegen der immer überflüssigeren Branche des gedruckten Wortes. Das gedruckte Papier in punkto Musikkritik ist doch höchstens so attraktiv wie ... naja ... ich habe mich wohl gerade ein wenig verbrannt.

Nein, du hast ja völlig Recht. laut.de ist ja immerhin Deutschlands größte Onlinemusikseite und kein gedrucktes Kioskprodukt. Mich beleidigst du damit nicht.

Hätte ich auch nicht beabsichtigt.

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LAUT.DE-PORTRÄT Deine Lakaien

Es begab sich aber zu der Zeit (genauer: anno 1985), dass der in Hamburg und Freiburg studierte Schlagzeuger, Pianist und Dirigent Ernst Horn aus München …

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