laut.de-Kritik
Irgendwann holt die Geschichte jeden ein.
Review von Michael Schuh1989 kontaktiert das britische Magazin The Face Depeche Mode und hat folgende Idee: Die Band, auf die sich im Zuge der Acid House-Bewegung ab Mitte des Jahrzehnts immer mehr DJs aus Detroit beziehen, soll in die Geburtsstätte des neuen Sounds fliegen, und dort einen jener Fans für ein informelles Tête-à-Tête unter Musikern besuchen. Die Verehrung der Elektro-Youngster aus Übersee trifft die Briten einigermaßen überraschend, zumal Martin Gore gerade Country-Musik für sich entdeckt hat und Dave Gahan privat Marvin Gaye anstelle von Underground Techno bevorzugt. Dennoch geht die Band auf das Angebot der Zeitschrift ein, Derrick May in Detroit zu treffen, woran sich Alan Wilder bis heute mit Grausen erinnert, denn: "May was the most arrogant fucker I've ever met".
Nun scheinen der Rhythim Is Rhythim-Mann und die Band zwar keine Freunde geworden zu sein, dennoch legt diese Anekdote nahe, dass die ersten acht Jahre an Depeche-12"-Veröffentlichungen durchaus Einfluss auf verschiedene Musikschaffende hatten. Frankie Knuckles, auch als Godfather Of House bekannt, feuerte bereits Anfang der 80er Jahre den "Schizo Mix" von "Just Can't Get Enough" unters tanzende Volk. Kevin Saunderson, ein anderer Technogründer, der später als Inner City Erfolge feiert, preist den "Combination Mix" von "Get The Balance Right" als erste House-Maxi überhaupt. Höchste Zeit also, dass mit "Remixes 81 - 04" nun eine 2CD bzw. eine limitierte 3CD-Box erscheint. Erstere listet auf zwei CDs bekannte Maxi-Perlen der Band auf, während die (weitaus sinnvollere) Box mit neuen Interpretationen auf einer dritten Scheibe aufwartet.
Manch einer mag die Single-Auskopplung zum Ereignis, eine gitarrenlastige Umarbeitung von "Enjoy The Silence", bereits teilnahmslos vernommen haben. Nun ja, was sollte man von einem Linkin Park-Mitglied auch erwarten. Absolut genial geriet dagegen ausgerechnet der alte Heuler "Photographic" in einer absolut zeitgemäßen, mächtig anschiebenden Minimal Electro-Powerversion aus den Händen von Rex The Dog. Leider nicht auf der Box, sondern nur auf 12" erhältlich ist übrigens der "Enjoy The Silence" Extended Remix von Soma-DJ Ewan Pearson, der nicht umsonst neben Groove-Killer Ivan Smagghe auf dessen "Kill the DJ"-Parties in Paris ein gern gesehener Gast ist. Deswegen: Doch die "Enjoy"-Maxi kaufen! (Aber aufpassen welche, denn wieder einmal befinden wir uns im Veröffentlichungsdschungel bei Mute!)
Zurück zum Thema: "Lie To Me" von LFO wird leider erst mit dem Bass-Einsatz ab Minute Viereinhalb richtig spannend, während uns Goldfrapp einen zarten Gänsehaut-Schauer über den Rücken jagen, indem sie den Groover "Halo" entblättern. Einen unnötigen "Clean"-Remix findet man noch, und selbst die Ballade "Little 15" dreht sich im Mixwolf, wieso weiß wohl nur der heilige Kompilator. Zu allem Überfluss ist aber auch noch "Nothing" in einer Rock-Version vertreten, wo man doch heutzutage eh schon Farmer Boys-Coverversionen von "Never Let Me Down Again" ertragen muss.
Aber der Rezensent würde in der LAUT-Redaktion nur noch halb so ernst genommen, würde er euch jetzt nicht doch zum CD Box-Kauf treiben, schließlich schwillt ihm beim Namen Depeche Mode allein schon die Hose an, wie es Kollege Edele wohl formulieren würde. Also: Standards setzte 1987 der "Blind Mix" von "Strangelove", der mit seinen harten Drums die bislang verbreiteten stoischen Kraftwerk-Roboter-Grooves auf die Tanzflächen überführte und die angesprochenen US-Techno-Pioniere von "European Dance" schwärmen ließ. In die selbe Kategorie gehört der "Split Mix" von "Never Let Me Down Again" (1987), bei dem man einfach einen fünfminütigen Instrumental-Teil an die Single-Version anhängte. Wer damals auf die Idee kam, den Bass von "Behind The Wheel" mit "Route 66" zu kreuzen, sollte nachträglich noch einen Orden verliehen bekommen ("Beatmasters Mix").
In den 90er Jahren, vor allem nach dem Rock-Album "Songs Of Faith And Devotion" (1993) und nicht zuletzt dank der Grunge-Welle, wurde es langsam auch bei Alternative-Fans schick, Depeche Mode gut zu finden. Aus dem elektronischen Bereich stand ohnehin schon die Crème de là Crème für einen Remix Schlange. Ausgerechnet zwei Österreicher zeigten jedoch der gesamten Legendenschaft um Underworld, Speedy J und Co. die lange Nase: Kruder & Dorfmeisters "Useless"-Mix bleibt der Hit des Jahrzehnts.
Seltsamkeiten wie der "Master & Servant"-Mix von Adrian Sherwood oder das "Stripped"-Outtake "Breathing In Fumes" dienen heute weniger dem Hörgenuss als der musikalischen Aufklärung, legen sie doch dar, dass sich Depeche Mode nie allein dem tanzbaren 80er Jahre-Extended Mix, sondern durchaus auch dem Klangexperiment gegenüber offen zeigten. Lauscht man den federnden Acid House-Bässen in Alan Moulders "Everything Counts"-Mix von 1988, fängt man auch gar nicht erst nicht mit der Suche an, welcher persönliche Lieblingstrack hier wohl fehlt. DM-Songwriter Martin Gore, der sich 1989 noch wunderte, warum man seine Band im Ausland durchgehend als Dance-Band etikettiert, ist zehn Jahre später schließlich selbst dem DJing verfallen. Die Geschichte holt eben alle ein.
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