laut.de-Kritik

Hier dreht sich alles um Erinnerung - wilde Partynächte inklusive.

Review von

"Wie sollen die Hosen da noch einen draufsetzen?" – Diese Frage stellte sich recht bald nach Erscheinen ihres Albums "Ballast der Republik" 2013. Die Band, die seit den 2000er Jahren auf Studioalben nie mehr so ganz zu ihrer Form fand, erreichte im 31. Jahr ihres Bestehens einen unerwarteten Karrierehöhepunkt. Ein überpräsentes, sich verselbstständigendes Monster von einer Nummer-Eins-Single ("Tage Wie Diese"), ein abwechslungsreiches, geglücktes Album, das endlich nicht mehr auf den obligatorischen und ab einem gewissen Alter ein wenig peinlich anrührenden Sauf-Song-setzt, und eine Band, die seit dem fabelhaften Hosen-Album "Opium Fürs Volk" 1996 nicht mehr so gut war. Hätten die Hosen nach "Ballast der Republik" den Hut drauf gehauen: Sie wären am Höhepunkt mit wehenden Fahnen abgetreten und hätten nichts mehr riskiert.

Haben sie aber nicht – und kündigten dieses Jahr ein neues Album an. Die erste Single "Unter Den Wolken" legte erst mal den Verdacht nahe, die Hosen würden auf Nummer sicher gehen und sich eng an die "Tage Wie Diese"-Formel halten: Hochglanz-Rockgitarren, Carpe-Diem-Text, Breitbild-HD-Chorus (wobei "Unter Den Wolken" dann doch nicht ganz so dick aufträgt wie "Tage Wie Diese"). Auch, dass wieder das gleiche Team am Longplayer arbeitete – Campino-Intimus Marteria als Co-Texter, Vincent Sorg an den Reglern und Tobias Kuhn als Arrangeur – ließ einen vermuten, dass das nächste Hosen-Werk schon sehr nahe am Vorgänger gebaut und allzu kalkuliert sein würde.

Schon der erste Hördurchgang von "Laune der Natur" entkräftet diese Sorgen. Zwar ist das Album ein logischer nächster Schritt zum Vorgänger und versucht erst gar nicht, eine völlig andere Richtung auszuloten – "Laune der Natur" ist aber viel in sich selbst gekehrter und über weite Strecken auch melancholischer als "Ballast Der Republik".

Die Toten Hosen hatten in den letzten Jahren mit den Toden ihres Manager Jochen Hülder und ihres langjährigen Schlagzeugers Wolfgang "Wölli" Rohde zwei herbe Verluste einzustecken. 1996 schrieben sie noch "Viva La Revolution" auf jede Scheißhaustür, diesmal haben sie sich "Viva la Muerte" in ihre Haut geritzt – und stellen sich selbst die Frage, wie lange es mit der Band noch weitergehen kann. Das ist weder bierselig noch bierernst – dran glauben muss Gitarrist Michael "Breiti" Breitkopf: "Und heut ist wieder Geburtstag / Wir stehen vor Breitis Tür / Haben zwei Kisten bei mit Biosnacks / Breiti verträgt nichts anderes mehr / Happy birthday to you".

Es dreht sich viel um Erinnerung auf "Laune der Natur" – wilde Partynächte inklusive der einen oder anderen konkret besungenen illegalen Substanz, jugendlichem Leichtsinn, Höhen, Tiefen, gebrochenen Knochen, verlorener Liebe. Ein großes Stück des Weges ist gegangen, das Gepäck ist kein leichtes, narbenlos ist hier niemand davon gekommen "Ich nehm' das alles mit nach Hause / Ich gebe nichts mehr davon her", singt Campino in "Alles Mit Nach Hause". Immer noch das alte Fieber eben.

Zuvor geht es mit dem Opener "Urknall" ab auf den Bolzplatz – denn dahin wünschen sich die Hosen mit verzerrten Sechzehntelgitarren zurück. "Wir kommen zurück zu dir / Zum Anfang, zum Urknall, als wäre nichts passiert", singt Campino – und um zu zeigen, dass sie mit ihrem Frontman einer Meinung sind, legen seine Freunde gleich ein paar "Oh-Oh-Oh"-Chöre drauf. Ein bisschen Augenzwinkern muss sein: "Die Gitarren sind verzerrt / Die Bässe sind verstimmt / Der Gesang war nie anders / Alles halb so schlimm / Unsere Plattenfirma, nur noch Schall und Rauch / All die Pyrotechnik / Von Rammstein aufgekauft". Ach was, Campi-Kuddel-Breiti-Andi-Vom, läuft doch eh gar nicht so schlecht bei euch.

Bei "Pop & Politik" üben sich die Hosen auch gleichzeitig in Ironie und zeigen ihren Spöttern (und derer gibt es bekanntlich durchaus viele) den Stinkefinger: "Wollt ihr die Welt verändern / Mit eurer peinlichen Musik / Ihr seid nur Zeitverschwender / Niemand will euch mehr sehen" – und später: "Wir sagen's euch im Guten / Haltet euch lieber raus / An Tagen wie diesen / Bleibt ihr besser mal zuhaus". Ob da nicht die gegenseitige, medial genügend diskutierte Antipathie mit einem gewissen deutschen TV-Moderator reinspielte?

"Wannsee" kommt im angedubbten Reggae-Offbeat daher und lebt vom etwas kalauerhaften Wortspiel "Wannsee, Wannsee, wann seh ich dich wieder". "Ich will nicht mehr in die Hipsterviertel, die verdreckten Straßen / Fahr direkt von Tegel in die frische Luft, dein Duft hat dich verraten", singt Campino – aber bevor das noch zur Berlin-Liebeserklärung würde: "Sag doch einfach nur ja, und ich schwöre dir, ich nehm dich mit nach Düsseldorf". Nicht der stärkte Track des Albums, wäre im hinteren Teil der Platte vielleicht besser aufgehoben gewesen.

Auf "Eine Handvoll Erde" verarbeitet die Band den Tod ihres Managers und Weggefährten Hülder. "Wir tragen dich nur ein paar Meter / Die für ein ganzes Leben steh'n / Verloren in Gedanken / Es gibt nichts mehr dran zu dreh'n".

Der Schluss des Albums ist ihrem Freund und früheren Schlagzeuger Wölli gewidmet – mehr noch: Der letztes Jahr verstorbene "Kirschwasserkönig" hat das letzte Wort. Die Hosen nahmen dessen rührenden Country-Crooner-Song "Kein Grund zur Traurigkeit" (vom Wölli-und-die-Band-des-Jahres-Album "Das ist noch nicht alles" und spielten ihn neu ein. Die Gesangsspur Wöllis steht dabei im Vordergrund, Campino singt mit Wölli den Chorus. "Ich hab Blut von dir im Herzen / Das ist alles was mir bleibt / Sehnsucht nach dir in meinem Herzen / Lange noch kein Grund zur Traurigkeit". Ein klasse Abschluss, vor allem für eine Band, die ihre Freundschaft untereinander stets über alles stellte und sich sogar eine gemeinsame letzte Ruhestätte kaufte.

"Laune der Natur" kümmert sich (abgesehen von "Unter Den Wolken") nicht um Popappeal oder schielt auf Singles. Hier wird weder plakativ der Edelpunk noch der Berufsjugendliche aus dem Stall gelassen, kein Wal wird zurück ins Meer geschoben, keine Jägermeisterpulle geöffnet und politisiert wird ebensowenig. Wo die Hosen stehen und wofür sie sich engagieren, ist ohnehin hinlänglich bekannt. Vielmehr ist "Laune der Natur" ein selbstreferenzielles, streckenweise introspektives Album – das auf eine lange Straße zurückblickt, den Status Quo mit Humor, Spaß und gebrochenem Herz abklopft und weiß, dass die Straße nicht für immer weitergehen wird. Damit liefern Die Toten Hosen 2017 ein überraschend konsequentes und tolles Album ab.

Als Bonus Disc hat die Band sich und ihren Fans noch die Freude gegönnt und gemeinsam mit alten Punkrock-Kapazundern den zweiten Teil ihres Punkrock-Kurses "Learning English" eingespielt. 1991 sangen sie mit Joey Ramone, Johnny Thunders und Ronnie Biggs. Diesmal ist dabei: Jello Biafra (Ex-Dead Kennedys), Cheetah Chrome (Ex-The Dead Boys), Johnny Moped, Pete Bywaters (Peter and the Testtube Babies) und Bob Geldof (The Boomtown Rats, hasst Montage). Würdig und recht, dürfte sich doch vielleicht gerade für junge casual Hosen-Hörer der "Tage Wie Diese"-Ära die legendäre Frage des ersten Teils stellen: "Dad, what was Punkrock?"

Trackliste

  1. 1. Urknall
  2. 2. Alles mit nach Hause
  3. 3. Wannsee
  4. 4. Unter den Wolken
  5. 5. Pop & Politik
  6. 6. Laune der Natur
  7. 7. Energie
  8. 8. Alles passiert
  9. 9. Die Schöne und das Biest
  10. 10. Eine Handvoll Erde
  11. 11. Wie viele Jahre (Hasta La Muerte)
  12. 12. ICE nach Düsseldorf
  13. 13. Geisterhaus
  14. 14. Lass los
  15. 15. Kein Grund zur Traurigkeit

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