laut.de-Kritik
Mit spirituellen Klängen zu ganz neuen Perspektiven.
Review von Toni HennigAnfang bis Mitte der 60er-Jahre versuchten sich einige Musiker an der Verbindung aus Jazz und Chorgesang. So fusionierte etwa Max Roach auf seinem 62er-Werk "It's Time" diese beiden Komponenten miteinander. Der Trompeter Donald Byrd, der als Mitglied von Art Blakey & The Jazz Messengers Bekanntheit erlangte, ergänzte auf "A New Perspective" diesen Ansatz um eine spirituelle Komponente und eröffnete somit dem Jazz ganz neue Perspektiven.
Schon die Besetzung des Septetts war für das Genre außergewöhnlich, setzte Donald Byrd doch mit Tenorsaxofonist Hank Mobley, Pianist Herbie Hancock, Gitarrist Kenny Burrell, Vibrafonist Donald Best, Bassist Butch Warren und Drummer Lex Humphries auf stilistisch völlig unterschiedliche Musiker. Den größten Unterschied zu früheren Jazzaufnahmen mit Chorgesang machte allerdings ein achtstimmiger Gospelchor unter der Leitung von Coleridge-Taylor Perkinson aus. Für ihn schrieb Duke Pearson die Arrangements.
Donald Byrd, der als Sohn eines Methodistenpfarrers und Musikers in Detroit zur Welt kam, sah mit dem Album eine Möglichkeit, seine religiösen Wurzeln zu betonen und gleichzeitig seinen Vorbildern die Ehre zu erweisen. "Wegen meines eigenen Backgrounds wollte ich schon immer ein vollständiges Werk mit Spiritual-ähnlichen Stücken aufnehmen", erklärte er damals in den Liner Notes und fügte weiter an: "Die Jazzmusiker aus New Orleans spielten damals oft religiöse Musik – erweiterten sie aber mit ihren eigenen Jazzstrukturen und -techniken. Als moderne Jazzer nähern wir uns dieser Tradition nun mit Respekt und großem Vergnügen."
Das Werk entstand am 12. Januar 1963 an nur einem Tag unter optimalen Klangbedingungen in den Van Gelder Studios in New Jersey. Als Produzent saß Alfred Lion, Co-Founder des Blue Note-Labels, hinter den Reglern. Im Februar des Folgejahres kam das Album schließlich auf den Markt.
"Elijah" beginnt mit beschwingt hymnischem Choreinsatz, dem sich kurz darauf temperamentvolle lateinamerikanische Rhythmen am Schlagzeug, akzentuierende Bläser und zurückhaltende Vibrafon-Klänge anschließen. Danach stellen sich die Solisten einzeln vor, während die Drums und bluesige Töne am Klavier die Nummer weiter vorantreiben. Burrell steuert verspielt jazzige Sounds bei, Best bildet das leichtfüßige Gegengewicht, Mobley bringt mehr Tiefe ein, Byrd besinnt sich auf das Gefühlvolle. Gegen Ende tritt Hancock aus dem Hintergrund hervor und erdet das Stück.
Dabei fließen die unterschiedlichen Passagen völlig natürlich ineinander, als gäbe es nichts Selbstverständlicheres. Keiner der Solisten spielt sich unnötig in den Vordergrund. Dazwischen liegt der Schwerpunkt immer wieder kurzzeitig auf dem Chor, der durchgängig wortlose Silben singt, die Raum für die eigenen Emotionen des Hörers lassen. Am Ende steht eine emotional facettenreiche Nummer, die mit ihrem festlichen, zeremoniellen Charakter wie ein Vorläufer von John Coltranes "A Love Supreme" anmutet.
Auch der suiteartige Charakter, der für ein dynamisches, abwechslungsreiches Klangbild sorgt, nimmt 'Tranes' 65er-Meilenstein vorweg. Nur baut sich "A New Perspective" behutsamer auf. Schon "Beast Of Burden" kommt im gedrosselten Tempo und mit bedächtigem Choreinsatz daher. Das Schlagzeug swingt federleicht vor sich hin, während das Piano bluesiges New Orleans-Flair versprüht. Dazu vernimmt man akzentuierende Rhythmen am Bass. Bläser und Vibrafon setzen immer wieder betörende und gefühlvolle solistische Akzente. Ein zärtliches Nachtstück vom Feinsten.
Mit federnden und bluesigen Rhythmen geht es auch in "Cristo Redentor" weiter, das vom lebhaften Spiel Hancocks und den majestätischen Soli Byrds lebt. Zudem strahlen die Chorpassagen etwas äußerst Souliges aus. Ein Stück, auf dem die Grenzen zwischen Jazz und populärer Musik verschwimmen, und das mit Erfolg: Mit der Nummer landete der Trompeter einen kleinen Hit.
Deutlich wilder gerät dagegen "Black Disciple", das mit unruhigen Soli und dramatischen Choreinsätzen durchgehend Spannung aufbaut. Bei aller Hardbop-Hektik hört man aber auch Melodien an der Trompete, die für ihre damalige Zeit ungemein modern klangen. Das Alte und das Neue gehen somit eine fieberhafte Symbiose ein.
Das abschließende "Chant" kündet schließlich mit hellen Gesängen, optimistischen Soli und swingenden Rhythmen von der Schönheit des Lebens. Religiöse Anmut und die Freuden des irdischen Daseins schließen sich auf "A New Perspective" also nicht aus.
Das Werk schaffte es nach der Veröffentlichung auf Platz 110 der amerikanischen Charts. Einen noch viel größeren Erfolg erlangte Donald Byrd 1973 mit der groovigen Jazz-Funk-Platte "Black Byrd", mit der er seinerzeit zum meistverkauften Künstler des Blue Note-Labels wurde. Zudem entdeckte die Hip Hop-Kultur die Scheibe wieder, nachdem er sich in den frühen 90ern an den ersten beiden "Jazzmatazz"-Alben des Rappers Guru beteiligte.
Auch "A New Perspective" dürfte dank seines natürlich fließenden Charakters Hörer ansprechen, die ansonsten keinerlei Berührungspunkte mit Jazz haben. Im Grunde sitzt jeder einzelne Ton auf dieser Platte an der richtigen Stelle. Die Produktion hat bis heute nichts an Zeitlosigkeit eingebüßt. Letzten Endes hat man es mit einem wahren Klassiker zu tun, der sich qualitativ hinter den Megasellern des Jazz' wie Miles Davis' "Kind Of Blue" nicht zu verstecken braucht.
In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.
2 Kommentare
Donald Byrd ist schon einer der ganz großen Jazztrompeter. Technisch beeindruckend und seine Melodieführung in den Improvisationen gehört zur obersten Liga.
Die "A New Perspective" mit dem Gospel Chor klingt zwar außergewöhnlich und Byrd und Herbie Hancock sind darauf natürlich genial, allerdings nutzt sich für mich der Effekt des Chors über die Laufzeit des Albums ziemlich ab. Dass das Album als Klassiker gesehen wird wusste ich nicht.
Mehr begeistern mich da seine Funk Aufnahmen aus den 70ern und vor allem das mitreisende Zusammenspiel mit Horace Silver.
Was für eine grandiose Besetzung: der charismatische Mobley am Tenor Sax, der innovative Hancock am Klavier und der einfühlsame Kenny Burrell (zu empfehlen: Burrells "Midnight Blue" Platte) an der akustischen Gitarre. Da kann nicht viel schief laufen. Donald Byrd selbst gehört zu den Größten, der mit den Größten im Jazz kollaboriert hat. Eine der schönsten Veröffentlichungen aus dem Hause Blue Note Records. Dazu das wie gewohnt grandiose Cover-Designing von Reid Miles, der für die meisten Blue Note-Cover damals verantwortlich war (jem, der selbst Jazz nie wirklich gemocht hat, ganz zu schweigen die Platten jemals angehört hat, bevor er das Cover dazu designte). Last but not least: ein Rudy Van Gelder an den Reglern. Dieser Mann hat an so gut wie allen Blue Note-Releases mitgewirkt und gehört zu den besten Tonmeistern ever. 5/5