laut.de-Kritik
In Liedgut gegossene Atmosphäre voll entrückter Schönheit ...
Review von Matthias MantheDas Luftschiff ist gelandet. Dredg sind zurück von der Oberstübchenreise durch Okzident und Orient, zu der sie 1998 mit "Leitmotif" aufgebrochen waren. Mit dem Majordebüt "El Cielo" traumwandelte die Band wie eine Arche Noah im Stumpfsinn der Musikberieselung vorbei an leeren Opern, in denen die Musik niemals verebbt. Überflog nächtliche Winterlandschaften, bizarre Wüstendünen und berauschende Flussdeltas. Öffnete Augen, Herz und Geist. Nun haben Dredg wieder festen Boden unter den Füßen.
Die vier Kalifornier bauen 2005 keine brüchigen Progrock-Monolithen mehr, sondern überaus eingängige Popsongs. So viel Ohrwurm wie im Titelstück war noch nie: Gitarre, Bass, Drums und ein schüchternes Piano bereiten den Grund für das hochfrequente Organ Hayes', Strophe und Refrain stehen artig nebeneinander, alles wirkt wohl sortiert. Auch inhaltlich, denn die Platte entpuppt sich als kleines Meisterstück in zwei diametral entgegengesetzten Akten.
Paradebeispiel: das Alkoholproblem des Sängers. In "Zebraskin" sitzt das Teufelchen auf Hayes' vor Trunkenheit wackeliger Schulter, während er in "Hung Over On A Tuesday" auf den Rat des Engelchens hört und schwört, nie wieder einen Tropfen anzurühren.
Die rockigeren Momente kommen aber trotz textlicher Introspektive nicht zu kurz. "Ode To The Sun" preist das Himmelsgestirn mit der so Dredg-typischen Slidegitarre und einer Inbrunst, die zucken macht vor Freude. Bei "Tanbark" darf Drummer Dino mal so richtig die Hi-Hat verprügeln und Gavin am Ende den Schreihals raushängen lassen. "Jamais Vu" ist dagegen ganz und gar nicht erdig, sondern in Liedgut gegossene Atmosphäre voll entrückter Schönheit. Ähnlich esoterisch geht es auch im vorgezogenen Schlussstück "Sang Real" zu, in dem Hayes über Tod, Seele und Universum reflektiert.
Am Ende hat die reinigende Waschstraße namens "Catch Without Arms" seelische Altlasten abgespült und den Sound ordentlich zurecht gestutzt. Herausgekommen ist dabei das mit Abstand persönlichste und melodiöseste Werk. Die exaltiertesten Popmomente ("Spitshine", "Planting Seeds") prahlen gar vor A-ha-Erlebnissen - und stellen die wenigen Schwachstellen der Platte. Insgesamt schmeckt aber auch das Destillat des bisherigen Soundkosmos unverwechselbar nach Dredg. Ob der Zauber als Konzentrat die Halbwertzeit des Vorgängers erreicht, bleibt abzuwarten.
146 Kommentare
Göttlich.
glaub ich dir sofort. wo, wie, wann, warum noch nicht in meinem plattenschrank??
Hoffentlich schon bald, freu mich unheimlich.
@lastslayer1985 (« Ich muss gerade mal noch loswerden, dass Catch Without Arms die wohl ultimative Produktion für ein Rockalbum hat. Also gleichberechtigt neben Tool stehend. »):
Was immer das bedeutet. In jedem Fall hat Dredg bei CWA einiges an Eingängigkeit draufgelegt. El Cielo war mehr ein Kunstprodukt, mehr durchkonzeptioniert und hat mich länger beschäftigt als CWA (ohne das Album in irgend eienr Form abwerten zu wollen).
Viel spannender für mich ist Album 1 nach Live at the Fillmore. Dem Livealbum, mit dem sie das dritte Release quasi gekrönt haben.
@lastslayer1985 (« [...]
Also, wie gesagt, besser kann man ein Rockalbum, meiner Meinung nach, echt nicht produzieren, mischen und mastern. Groß! »):
Im Gegenteil. Ich bin mal in den Genuss von "Sang Real" in der Demo-Fassung gekommen (die eher nach "El Cielo" klingt) .. viel zerbrechlicher, emotionaler, schöner.. einfach besser. Weiß aber nicht, ob das auch für andere, "wuchtigere" Songs gilt..
"Catch Without Arms" kann man eigentlich nur 5 oder 4 Punkte geben. Diese erhabene Schönheit in musikalischer Form kann nichtmal der dümmste Hopper verkennen. Und wenn doch hat der einfach keine Ahnung. Ich bin ein Verfechter von absoluter Meinungsfreiheit, vorallem in der Musik, aber bei Dredg gibt es nur ein Urteil: [Hier bitte dein Lieblingswort, das zum Audsdruck von höchster Wertschätzung benutzt wird einsetzen]
Und zum Thema "Welches Dredg-Album ist besser?" sage ich, dass beide auf einem ähnlichen Niveau sind, El Cielo ist einfach nur ein bisschen progessiver und CWA ein bisschen poppiger, das ist mMn alles. Man darf ruhig beide lieben.