laut.de-Kritik
Musik, die sich vom Zeitgeschehen emanzipiert.
Review von Maximilian FritzDer Lebenskreislauf des Phönix eignet sich für ein Konzeptalbum wie nur wenige andere fantastische Naturschauspiele. Seine Genese, sein Verbrennen und seine Wiedergeburt mit feministischen Inhalten, Weltschmerz und naheliegenderen Vergänglichkeitsgedanken zu verknüpfen, hebt diese Grundidee aber auf ein höheres Niveau.
Alexandra Drewchin alias Eartheater, die als Künstlerin in New York sozialisiert wurde und sich längst nicht nur als Musikerin begreift, hat diese Überlegungen in eine Dreiviertelstunde orchestralen Performance-Pop gegossen, der Indie, Singer/Songwritertum und einnehmende akustische Instrumentierung zu einem der besten Alben des Jahres vermischt.
"Phoenix: Flames Are Dew Upon My Skin" klingt dabei erstaunlich gradeheraus. Der Experimentierdrang, der auf ihren vorherigen Alben, auf der betont hippen Avantgarde-Pop-Schmiede PAN wie auch auf Hausu Mountain, die Eingängigkeit im Zaum hielt, wird hier weitestgehend in homöopathischen Dosen verabreicht – lässt man Noise-Skizzen wie "Burning Feather" oder konzeptionelle Stützen wie "Kiss of The Phoenix" außer Acht.
Dafür dominieren feingliedrig instrumentierte Pop-Balladen, in deren traumhaften Melodien aus Harfen, klassischen Indie-Gitarren und im richtigen Maße eingesetzten Effekten Drewchins Stimme ein ums andere Mal versinkt. Auch Gegenteiliges passiert, ist das Verhältnis von Lyrics und akustischer Untermalung doch ein betont demokratisches.
Insbesondere wenn Drewchins Kopfstimme erklingt, entfesselt das Album seine ganze Wirkmacht. Designierte Standout-Songs wie die Vorab-Single "Below The Clavicle", "How To Fight" oder "Volcano" werden aber nicht in steter Regelmäßigkeit abgefeuert, sondern intelligent eingesetzt. Die Höhenflüge des Phoenix ergänzen behutsam aufgebaute, raumgreifende Stücke wie "Metallic Taste of Patience" oder "Fantasy Collision", die das Album emotional in der Balance halten und Eartheaters Gespür für kluge Strukturen unterstreichen.
Wenn "Faith Consuming Hope" mit seinen versöhnlichen Gitarrenakkorden schließlich als erweiterte Reprise des Openers das Album beendet, hat dieses die komplette Indie-Gefühlspalette einmal abgearbeitet, ohne dass sich Vergleichsgrößen unmittelbar aufdrängen würden. Eartheater ist damit das gelungen, wonach sich Künstler*innen 2020 am meisten gesehnt haben dürften: Einen musikalischen Eindruck zu hinterlassen, der maximal losgelöst vom Zeitgeschehen ist.
6 Kommentare mit 22 Antworten
Klingt bei den ersten Versuchen ziemlich unsexy, weil es so sehr von der eigenen prätenziösen Bedeutsamkeit und Arty-Fartyness überzeugt zu sein scheint. Hurz.
Tolles Album, schlimmstes Cover.
So ein Raketenfurz ist immerhin originell.
Äh, mal doof gefragt: Ohr-Theater oder Erd-Esser?
Ja!
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heinz
Ich war mal in nem musiktheatralischen Theaterstück, da haben die auch so komisch rumgequäkt und sind dann strange rumgehüpft und so. Also mag sein, dass das einfach zu hohe Kunst für mich ist, in jedem Fall klingt das aber 45 Minuten lang sehr zäh und sehr schmerzhaft. Wer's mag..
*braucht
Klingt, als würdest du die Schöpfer des Stücks für deine mangelhaften Kenntnisse im Diskurs verantwortlich machen.
"Klingt, als würdest du die Schöpfer des Stücks für deine mangelhaften Kenntnisse im Diskurs verantwortlich machen."
machst du das bei k-pop nicht auch?
Nein. Ich verstehe die K-Pop ja. Darum find ich's scheiße.
Ich wollte darauf hinaus, dass Ausagen wie "prätentiös, hohe Kunst, artsy fartsy" etc. in der Mehrheit darauf zurückgehen, dass der Rezipient die Aussage des Werks nicht verstehen kann oder will.
Ist anstrengende Kackmusik vllt einfach anstrengende Kackmusik, egal ob exaltiert wie hier oder diabetesquietschig wie K-Pop? Du kannst wahrscheinlich auch zu Kerstin Ott analytisch dissertieren, das macht die Musik aber nicht besser.
woher wisst ihr denn, dass ihr die "aussage" von k-pop "verstanden" habt?
Woher weißt du, dass du die Aussage von Helene Fischer verstanden hast?
"woher wisst ihr denn, dass ihr die "aussage" von k-pop "verstanden" habt?"
Vor allem, weil die Zielgruppe von K-Pop picklige Teenager und/oder sogenannte "Gölzes" (edgy Anfangzwanziger, die keinen Musikgeschmack haben, aber ganz gut schreiben können) sind. Diese Zielgruppe kann und darf konzeptuell nicht überfordert werden.
Lyrics wie
"Ho-how you like that?
You gon' like that, that-that-that-that, that-that-that-that
How you like that? (Bada-bing, bada-boom-boom-boom)
How you like that, that-that-that-that, that-that-that-that?"
haben sicherlich auf der Diskursebene zahlreiche Bedeutungen, im Gegensatz zum Theater, einer jahrtausende währende Kunstform mit was-weiß-ich wievelen Ausprägungen.
"Lulu"
Sind doch nur Texte.
Richtig, Chris. Ist vielleicht einfach anstrengende Kackmusik. Den Vorwurf, wer das so sehe, sei nicht in der Lage, sie zu verstehen, kann man ebenso gut zurückwerfen: Vielleicht läßt besonders eitle Zeitgenossen die Verpackung von Avantgardekultur denken, man müsse davon ausgehen, daß man es nicht mit anstrengender Kackmusik zu tun habe.
Führt beides zu nix.
alles schön und gut, aber beantwortet meine frage nicht.
Fachleute nennen es auch das Hurz-Phänomen
Doch, tut es.
nein, nicht wirklich.
Ist ja auch ne Quatschfrage. Die "Aussage von K-Pop"? Was bedeutet Jazz? Was ist der Duft von Techno? Wie kalt ist Schlager? Was ist der Zweck von Metal?
K-Pop ist ein Plastikprodukt. So authentisch wie Christina Aguilera, die mit frischen Plastiktitten singt, dass du wunderschön bist, so wie du bist, egal was andere sagen. Inhaltliche Aussagen sind da Kalkül, sonst nix.
Ey, nix gegen Wunderstimme Christina! Aber natürlich ansonsten ein treffender Vergleich.
"Volcano" klingt ziemlich nice. Wird gecheckt
Bin vom enormen Unterschied zwischen Leser- und Redaktionswertung nicht verwundert, obwohl das Album den Hörer trotz des martialischen Covers musikalisch sicher nicht übermäßig vor den Kopf stößt. Es liefert im Grunde langsamen, ätherischen Pop, der durch instrumentale Ausflüge ergänzt wird, die irgendwo zwischen Noise und Klassik rangieren. Von dieser Vorgabe wird über 45 Minuten kaum abgewichen, was "Phoenix:..." letztendlich zu einem Album macht, das man entweder liebt oder hasst.