11. Oktober 2018

"Die Knechtung begann in den 80ern"

Interview geführt von

Es ist der letzte warme Tag des Sommers, an dem Richard Pappik und Sven Regener ihre Köpfe aus ihrem Backstage-Wohnwagen stecken und fragen: "Und du bist also von laut.de?" Na logen, stets zu Diensten.

Wir befinden uns in Mainz, genauer gesagt inmitten der hermetisch abgeriegelten Festung, die sich hier ZDF nennt – und philosophieren darüber, wer von uns länger gebraucht hat, um die Herren Security zu überzeugen, uns doch bitte die Schranken ins heilige Innere des Fernsehgiganten zu öffnen.

Anlass ist natürlich das neue, mittlerweile 14. Element Of Crime-Studioalbum "Schafe, Monster und Mäuse". Richard und Sven und alle anderen sind hier, um die neuen Stücke im Rahmen des 3sat-Festivals erstmals live zu präsentieren. Ich bin hier, um sie zu selbigen zu befragen.

Als Künstler wird man ja ständig falsch dargestellt oder wiedergegeben: In welchem Fall entsteht denn das verzerrtere Bild von der Realität, bei Interviews oder Fernsehkonzerten?

Sven: Ach, ich weiß gar nicht, ein Bild ist ja immer eine Verzerrung. So eine allgemeine Aussage kann ich da gar nicht machen. Wenn man das nicht will, dann macht man halt kein Fernsehkonzert. Wenn man kein Interview will, dann gibt man keins. Ist ja auch in Ordnung, machen wir ja auch öfter mal nicht. Ich wüsste nicht genau, wo die Verzerrung ist. Hängt ja auch von einem selber ab, was man rauslassen will und was nicht. Letztendlich ist alles auch immer Inszenierung, weil es ja auch um Kunst geht.

Im letzten Element Of Crime-Interview auf laut.de haben wir Richard und Jakob wunderbare Fotos von dir beim Live-Chat des laut.de-Vorgängers Music & Sound 1997 gezeigt. Damals klang das noch nach einer revolutionären Promo-Maßnahme. 20 Jahre später stehst du als großer Streaming-Gegner im Rampenlicht. Vom harmlosen Chat zu YouTube, Facebook, Spotify – wie konnte es so weit kommen?

Sven: Das eine hat doch mit dem anderen gar nichts zu tun. Das sind ja zwei verschiedene Dinge. Das ist ja das große Problem bei den ganzen Leuten, die so unglaublich viel Lobbyismus für Google und so betreiben, dass sie ständig ihre Lobbyarbeit, ihre eigene Gier als Dienst an der Menschheit verkaufen. Als ginge es darum, ob man Internet-Ausdrucker oder Internet-Nichtversteher ist. Mein Gott, Internet, seit über 20 Jahren hat man das zu Hause. Jeder Dödel hat das. Internet ist so wie der Verband der Postbenutzer. Da fragt man sich auch, was soll das eigentlich sein? Jeder ist doch irgendwie Postbenutzer.

Überhaupt Leute, die glauben, sie wären heute noch Insider und wüssten mehr als die anderen, weil sie Internet haben. Schnarch. Wenn man zum Beispiel sagt: "Beim Streaming ist es schwierig, Musikaufnahmen nur darüber zu finanzieren", dann ist das ein ganz banaler Fakt. Das hat ja nichts damit zu tun, wie man das Internet findet. Das ist ja das Blöde. Das ist, als ob ich sage: "Bitte fahr kein kleines Kind tot." Und dann heißt es: "Du hast was gegen Autos und Individualverkehr." Ich aber sage: "Nein, du sollst einfach nur dieses Kind nicht totfahren!" Ist das so schwer zu begreifen?

Und das ist der Witz an der Debatte, dass es da Akteure gibt, die die ganze Zeit so tun, als wären sie schlauer als alle anderen. Dabei ist das eigentlich eines der banalsten Dinge auf der Welt, über die wir hier reden. Internet, geht's noch banaler?

Wie einfach ist es überhaupt, bei einem Majorlabel eine ablehnende Haltung zum Thema Streaming des eigenen Backkatalogs einzunehmen?

Sven: Das hängt davon ab, was für Verträge man hat. Wir hatten da ganz gute Karten, wir hatten zwischendurch unsere Verträge verlängert und schon gemerkt, wo der Hase lang läuft. Da haben wir reinschreiben lassen, dass neue Auswertungsformen nur mit unserer Zustimmung gemacht werden können.

Wann war das so etwa?

Sven: Schon so vor zehn bis zwölf Jahren, bei der vorletzten Vertragsverlängerung. Weil uns schon klar war, dass da noch einiges auf uns zukommt. Man sollte keinen Vertrag ins Blaue machen, ohne zu wissen, worum es zukünftig eigentlich gehen wird. Was die Abrechnungsbasis sein wird und so weiter. Es ist wichtig, sowas konkret reinzuschreiben, denn sonst gibt es irgendwann einen neuen allgemein-rechtlichen Rahmen, in dem das einfach stillschweigend umgerubelt wird. Das ist vielen der alten Künstler passiert, wo die alten Kataloge im Streaming lächerliche Lizenzanteile kriegen, weil die alten Verträge sich eigentlich auf ganz andere Arten von Auswertungen bezogen haben. Wir hatten Glück, insofern wir das noch beeinflussen konnten. Und beim Katalog haben wir uns einigen können, der ist jetzt auf Spotify, Apple usw.

Das hat also weniger mit Altersmilde zu tun?

Sven: Das hat überhaupt nichts mit Altersmilde zu tun. Sondern damit, dass man die Sachen nicht macht, um sie zu verschleudern, damit andere sich daran dumm und dusselig verdienen. Das wäre ja Blödsinn. Das ist ja auch ein seltsames Akteursgemenge. Große Plattenfirmen sind ja zum Beispiel an Spotify beteiligt. Spotify selber macht Verlust. Da sind komische Deals gelaufen, wo ganze Anteilspakete abgegeben wurden, von denen die Künstler nichts haben. Wofür aber deren Kataloge komplett zu anachronistischen Lizenzbedingungen eingestellt wurden. Das ist jetzt zwar irgendwie doof, dass man dann immer nur vom Geschäft redet, aber man darf auch nicht blöd sein. Sonst ist man irgendwo alles los und hat keinen Einfluss mehr auf die eigenen Sachen.

Das heißt aber, eine Band die noch keine 30 Jahre dabei ist, hätte nicht so die Chance, sich da bei einem größeren Label so dagegen zu stemmen?

Sven: Wir stemmen uns nicht gegen irgendwas.

Ja, oder eben nicht in so etwas reinzurutschen.

Sven: Es geht auch nicht um reinrutschen, das ist ja keine Sekte oder irgendwas. Das ist ja völlig okay. Die Frage ist nur, zu welchen Bedingungen man das macht. Und letztendlich ist es immer so: Du kannst bessere oder schlechtere Bedingungen haben. Du kannst am längeren oder am kürzeren Hebel sitzen. Als wir unseren ersten Plattenvertrag gemacht haben – wann war das?

Richard: 1986.

Sven: 1986, bei Polydor damals. Fünf Prozent vom Netto-Detail-Preis. Mein Gott, das waren so siebzig Pfennig pro verkaufter LP. Und was sagte der Anwalt, der uns beriet: "Habt ihr irgendein besseres Angebot?" – "Nein." – "Tja, dann habt ihr wohl keine Wahl." Und genau so ist das. Es geht nicht darum, dass irgendwo ein Teufelswerk ist und man will da nicht reingezogen werden. Es geht um die Bedingungen. Ob man auch als Musiker mal einigermaßen Herr der Lage sein kann oder ob man immer nur der Dummbattel ist, der alles mitmachen muss.

"Schön sauber gespielt" – ja, was ist das denn für ein Kriterium in der Rockmusik?"

Kommen wir zur neuen Platte: Schafe, Monster und Mäuse. Und: Berlin. Es geht um Currywurst, ums Schlesische Tor, um den Ku'damm und das Prinzenbad. Das Album hat mehr Berlin als die letzten vier zusammen. Woher die Rückbesinnung auf eure Wahlheimat?

Sven: Rückbesinnung? Ich weiß nicht.

Erstmalige Besinnung?

Richard: Wir haben ja einen Berliner in der Band, den Jakob. Sven und ich leben ja nun schon wirklich Dekaden in der Stadt. Ich weiß nicht, ab wann man jetzt dazugehört, aber das ist natürlich ganz klar, dass sich das auch niederschlägt. Oder niederschlagen darf. Ich meine, ich schreibe nicht die Texte, aber ich habe das nicht als irgendetwas besonders Auffälliges wahrgenommen.

Sven: Wir haben's ja nie abgestritten, dass wir aus Berlin kommen. So eine Band konnte sich ja in den Achtzigern wahrscheinlich auch nur in Berlin gründen, weil wir ja auch alle aus diesem ganzen Avantgarde- und Krach-Rock und Post-Punk kamen. Das merkt man der Band ja heute noch an, darum war das immer miteinander verbunden. Auf der anderen Seite haben wir da auch nie ein Promo-Ding draus gemacht. Hey, wir sind die Berliner Band!

Ich glaube, dass man sich das mit der Zeit auch erst erobert. Dass Songs auch einen konkreten Ort haben. Ist ja auch alles kein Problem, einen Song zu schreiben, der jetzt irgendwie am Broadway oder in New York spielt. Das wird ja in Berlin auch möglich sein, das drängt sich irgendwann eben auch auf, Friedrichshain, Halensee, "Party am Schlesischen Tor" ... Wir haben halt die Platte mehr oder weniger am Schlesischen Tor aufgenommen. Jeden Tag durch das Gewühl durch, morgens und abends. Da ist immer Party. Kann doch ein gutes Thema sein. Also man will ja auch kein Thema bewusst unterbinden, nur um nicht zu zeigen, dass man aus Berlin kommt. Aber eben auch nicht so absichtlich Städtemarketing-mäßig.

Wann habt ihr denn zuletzt Party am Schlesischen Tor gemacht?

Sven: Wir hatten eine richtig rauschende Party im Studio, als die Platte fertig aufgenommen war. Und das Studio ist ja in der Nähe vom Schlesischen Tor. Was aber dann auch nur Zufall ist. Jedenfalls Party. Einmal für die ganzen Leute, die mitgespielt haben. Das sind ja schon einige, die da zusammenkommen. Streicher, Bläser, trallala, mit Kumpels, Freunden und Crew. Dann hast du auf einmal 100 bis 200 Leute, die durchtrampeln, das ist schon eine ordentliche Party.

Apropos Party. Ich hatte 2014 beim WDR2-Festival in Remscheid als Roadie für eine andere Band das Glück, den Nachmittag im notdürftig abgetrennten Backstage-Raum neben euch zu verbringen. Wenn ich das richtig beobachten konnte, habt ihr den Nachmittag weitestgehend im Sitzen und mit der einen oder anderen Flasche Rotwein verbracht – der perfekte Festival-Nachmittag?

Sven: Weißt du: Meister Yoda. Da wundert man sich ja immer. Dieses kleine grüne Männchen läuft da so mit diesem Stock rum. Und du denkst: Jeden Moment stirbt der oder so. Und dann kommt's zum Schwertkampf mit Count Dooku. Und der wirbelt da rum wie so ein wahnsinniger Derwisch. Und ist besser als dieser andere Typ. Voll der super Lichtschwertkämpfer. Und kaum ist er fertig, tapert er wieder so weg.

Ich habe mich mit Leander (Haußmann, Regisseur) darüber unterhalten und meinte: "Ist das nicht irgendwie unglaubwürdig?" Aber er meinte: "Nein, ganz genau so ist es doch eigentlich. In der Zeit dazwischen schont der sich einfach." Damit er, wenn's drauf ankommt, wirklich voll da ist. Und ich glaube, so muss man den perfekten Tag auf Tournee sehen. Dass man sich so weit runterdimmt bis zu dem Moment, wo's drauf ankommt, dass man dann richtig da ist.

Sven, du bist Rundumkünstler. Musiker, Regisseur, Autor. Sind Albumcover auch Kunst? Und wenn ja, seid ihr es auch, wo ihr auf den letzten vier von fünf Artworks zu sehen seid?

Sven: Wo sind wir denn überall nicht drauf? Auf der "Basically Sad" sind wir drauf, auf der "Weißes Papier" sind wir drauf. Da sind wir in diesem Wohnwagen.

Richard: Auf der New Yorker Platte sind wir auch drauf.

Sven: "Freedom, Love & Happiness", genau.

Richard: Auf der "Ballad Of Jimmy & Johnny" auch.

Sven: "Try To Be Mensch" auch. Schon einiges. Weißt du: Eine Band ist eine Band. Und es gibt gar nicht so viele richtige Bands. Viele sind ja mehr so verkappte Soloprojekte. Und es stimmt schon, bei einer richtigen Band sollte auch dazugehören, dass sie sich als richtige Band darstellt. Bandfotos zum Beispiel sind eigentlich sehr schwierig für uns. Habe ich immer als sehr schwer empfunden früher. Aber irgendwie geht das mittlerweile auch viel besser.

Richard: Früher waren wir auch ängstlicher und eitler in der Art, dass man falsch dargestellt werden könnte.

Sven: Man lernt, sich in diese Band fallen zu lassen. Ich bin ja dann da nicht als Einzelperson, sondern wir werden als Band fotografiert. Dann ist vielleicht auch einer einfach mal von der Seite oder von hinten zu sehen. Ich finde das eigentlich gut bei Bands, wenn die vorne auf dem Cover sind. Wenn man das nicht macht, dann muss man schon ein gutes Argument haben. Wie zum Beispiel, man will einfach keine Fotos machen oder sich selber nicht sehen, was ja auch schon einmal ein gutes Argument wäre.

Richard: Das Beste!

Sven: Oder man meint eben, man müsste jetzt ein Bild nehmen, das irgendwie die ganze Platte repräsentiert. Das finde ich aber schwierig.

So wie es auch bei Plattentiteln schwierig ist?

Sven: Es gibt ja Plattentitel, wo du nur nach einem Song gehst. Dann heißt die Platte vielleicht "Schafe, Monster und Mäuse". Oder aber sie heißt eben "Psycho" oder "Romantik" oder "Try To Be Mensch". Und das kriegt natürlich einen anderen Subtext, das kriegt eine andere Schwere, ein anderes Gewicht. Man entscheidet immer so von Fall zu Fall, wie's gerade läuft, wie man gerade drauf ist.

Wenn ich nicht falsch liege, ist die neue Platte ja zum ersten Mal eine Doppel-LP.

Sven: Ja, also, nicht direkt.

Also, die Musik auf zwei Platten verteilt.

Sven: Jetzt wo Vinyl nicht mehr so eine Rolle spielt, haben wir plötzlich eine Doppel-LP.

Richard: Das passte halt einfach nicht mehr auf eine drauf.

Aber ein Gatefold-Cover bietet ja dann gleich doppelt so viel Gestaltungsspielraum.

Sven: Das hatten wir ja bei der letzten auch schon. Insofern war das einfach ein bisschen aus der Not geboren. 58 Minuten kriegst nicht auf eine Platte. Aber es ist nicht gedacht wie ein Doppelalbum, eher wie ein Einzelnes.

Richard: Ein Longplayer.

Sven: Wir hatten gedacht, da es 12 Songs sind, lassen sich die Seiten einigermaßen gleichwertig bestücken. Aber gerade auch in der Reihenfolge der Songs denkt man eigentlich immer noch in A- und B-Seite, oder?

Richard: Doch, doch.

Sven: Man hat auf jeden Fall diesen Strich vor Augen. So als wäre "Gewitter" das letzte Lied auf der A-Seite und "Die Party am Schlesischen Tor" das erste auf der B-Seite. Genau so macht man das, genau so haben wir das immer gemacht. Hier endet das eine und dann kann man damit wieder loslegen. Das ist toll. Wir denken schon noch in diesen Vinyl-Kategorien.

Im Promotext steht: "Wenn Richard Pappik die Tempi verschleppt und beschleunigt." Spielt ihr komplett ohne Metronom?

Richard: Wir spielen einfach wie Konzerte. Wir proben viel und reizen die einzelnen musikalischen Themen aus, wenn dann der Text dazukommt. Wir haben nie auf Klick gespielt. Das würde dem Charakter der Musik und auch der Band einfach nicht gut tun. Wenn wir anfangen würden, sowas zu machen, würde das das Gesamtbild einfach dermaßen verändern, dass es nicht gut wäre.

Sven: Das haben wir mal mit irgendwelchen Sequenzen gemacht, bei "Vier Stunden Vor Elbe Eins" oder auch "Ferien Von Dir" von der "Psycho". Sowas haben wir dann meistens mit Pyrolator (Kurt Dahlke) zusammen gemacht. Dann hast du natürlich so etwas wie ein Metronom. Ich weiß das noch damals, bei "Der Mann Vom Gericht", 1989, als wir "The Ballad Of Jimmy & Johnny" aufgenommen haben. Kurt hat da Richards Sounds gesamplet und in eine Sequenz gelegt, aber das fanden wir irgendwie noch zu steif, zu gerade. Da hat er gesagt: "Okay, dann machen wir einen Humanizer rein." Das fanden wir dann aber ein bisschen sehr ungerade, da meinte er: "Plusminus 15 Millisekunden ..."

Sven und Richard (gleichzeitig): "... wo leben wir denn?"

Sven: Also letztendlich sehen wir überhaupt nicht ein, warum uns ein Metronom was vorschreiben soll. Das machen ja nicht mal die klassischen Musiker. Stell dir mal vor, Horowitz hätte da auf seinem Klavier geklimpert und dazu ein Metronom angemacht. Wo kommen wir denn da hin?

Richard: Da geht einfach viel Dynamik verloren, die uns wichtig ist. Das ist sonst zu steif, das kann nicht losgehen. Warum nicht auch mal ein bisschen anziehen oder ein Tempo verschleppen. Es gibt zum Beispiel eine alte James Brown-Aufnahme, "It's a Man's Man's Man's World". Wenn man sich das Intro mal anhört, da gibt es eine Stelle, wo das Tempo dermaßen weggeht und dann wieder hochgeht. Und das ist geil. Das ist geil, das zu hören. Das muss man nicht immer als Fehler bezeichnen, das kann auch ein Stilmittel sein.

Sven: Das ist auch einfach, also, als alter Krautrocker ...

Richard: Das kriegt man aus uns nicht raus.

Sven: Dieses Rock-Beamtentum mit den Klicks ... pfft. "Schön sauber gespielt" – ja, was ist das denn für ein Kriterium in der Rockmusik?

Richard: Das war schon in den Neunzigern, wo man sich fragte: Warum macht man das?

Sven: In den Achtzigern ging das los, mit der Herrschaft der ganzen Produzenten. Die Machtübernahme im Studio. Knechtung der Musiker. "Hier habt ihr neben dem Klick gespielt." – Ja, scheiße. Als dann die Computer aufkamen und man auch noch anfing, das alles hin- und herzurückeln. Das ist alles okay für die Popmusik. Aber Rockmusik ... vor allem für so folkrockiges Schlabberzeug, wie wir's ja machen. Das kannst du so nicht aufnehmen, das wird dann total fad.

"Ich sehe Richard, Jakob, David und mich einfach nicht bei Sing meinen Song sitzen."

Ihr habt ja regelmäßig Gastmusiker an Bord, wart aber ja nie die große Feature-Band. Auf eurer neuen Platte hat sich zu "Karin, Karin" aber auch wieder eine weibliche Stimme eingeschlichen. Um wen handelt es sich dabei?

Sven: Gibt's da keine Credits bei den Promosachen?

Scheinbar nicht für mich.

Sven: Das ist Alexandra Regener, meine Tochter.

Cool! Du bist ja mittlerweile auch auf einem Kraftklub-Track zu hören. Gibt es noch Musiker, mit denen ihr gerne zusammenarbeiten würdet?

Sven: Ach ja, John Cale hat ja damals bei der "Try To Be Mensch" mitgespielt, das war doch gut. Ekki Busch (Akkordeon), Rainer Theobald (Saxophon), die sind ja quasi durchgehend dabei. Chor haben wir drauf, die Kids ... aber jetzt so ein Namedropping-Ding, das muss ja nicht sein. Bei Kraftklub war das auch ein spezieller Fall, weil sie ja dieses Lied ("Am Ende") an unser Lied "Am Ende Denk Ich Immer Nur An Dich" angelehnt haben und die Schlüsselzeilen ja auch verwenden. Da haben sie mich auch als Autor beteiligt, was eine faire und freundliche Geste ist. Da lässt man sich nicht lumpen, da quakt man dann auch gerne mal rein.

Aber ihr covert ja auch gerne einiges und schmückt euch mit "Fremden Federn". Erleben wir dich denn irgendwann mal bei Tauschkonzert-Sendungen à la Sing meinen Song?

Sven: Nein, weil wir ja eine Band sind. Das geht ja nicht. Du kannst ja nicht als Band dahin gehen. Und selbst wenn, ich sehe da Richard, Jakob, David und mich einfach nicht sitzen.

(Richard lacht)

Sven: Das ist echt eine ehrenhafte Sache und sicher ein feines Ding für die Leute ...

Richard: ... aber nichts für uns.

Sven: Gerne ohne mich. Das ist nicht so unser Ding, meine ich. Es ist immer so: Die Leute meinen ja auch, dass man das dann gleich für alle anderen und grundsätzlich ablehnt, weil man das selber nicht macht. Aber wenn's den Leuten Spaß macht, ist doch alles okay, die Leute gucken das auch gerne. Aber selber muss ich das nicht haben. Es muss nicht jeder alles machen!

Richard, welcher ist dein liebster Text auf der neuen Platte?

Richard: Das wechselt. Ich habe auch manchmal beim Proben, beim Anhören oder auf den Konzerten so Momente, wo mich zum ersten Mal irgendeine Aussage oder Zeile trifft. Da ist ein eigenes Leben drin, das kann ich nicht so irgendwie vorhersagen oder beschreiben. Das ist ein ganz organischer Fluss. Ich erinnere mich, dass ich letztes Jahr im Sommer mal ziemlich schlecht drauf war. Und da hat mich dann auf einmal ein Lied, das wir schon seit vielen, vielen Jahren spielen, so persönlich erwischt, wie ich es niemals für möglich gehalten hätte. Das ist doch schön, wenn so etwas möglich ist.

Sind das denn besonders markant mitsingbare Passagen, die einen treffen?

Richard: Manchmal klingt einfach nur ein Wort schön. (singt) "Und wenn du deine Currywurst ..." Immer wenn Sven das singt, denke ich mir die zweite Stimme zu "Currywurst" mit. Ich werde die nie singen. Aber in meinem Kopf ist die.

Wie steht es denn generell um die Mitsingbarkeit? Dass ihr nicht konkret darauf aus seid, ist klar. Aber wie ist das bei Konzerten, passiert das einfach?

Sven: Das kriegen wir ja nicht so mit, weil wir doch sehr laut spielen. Aber ich bekomme von Leuten gesagt, dass sehr viel im Publikum mitgesungen wird. Wir sind halt nicht die Leute, die dazu animieren und die alten Rocktricks rauslassen. Das Mikrofon hinhalten, "I can't hear you" und das ganze Programm. Nicht, dass ich das schlimm fände, aber das liegt mir als Sänger einfach nicht. Mir reicht's völlig, wenn die Leute tun, was sie wollen, ich will niemanden steuern. Ich würde verstehen, wenn die dann sagen würden: "Hau ab, Idiot!"

Manchmal denke ich aber auch, warum ist man nicht auch so locker? Vielleicht würden sich die Leute ja sogar freuen, wenn man es so macht. Aber ich tu's halt nicht. Aber dann können sie sich halt selber organisieren, wenn sie gerne im Chor singen wollen.

Ich erinnere mich an ein Konzert im Kölner Palladium 2015, wo hinter mir eine Gruppe von Neu-Fans stand, die sich offenbar nur grob an den Songtiteln orientieren konnte und dann auch immer auf den Punkt zu den jeweiligen drei oder vier Worten im Refrain zu lallen begann.

Sven: Ich finde diese Aufteilung eigentlich ganz gut, die Band spielt die Musik und die Leute können damit machen, was sie wollen. Und wenn sie nur die Worte "Weißes Papier" singen, ist doch okay.

Richard: Das können sie übrigens inzwischen.

Ich glaube, da muss die Gruppe hinter mir noch ein bisschen üben.

Sven: Ich habe irgendwann mal an der Reeperbahn irgendwie durchgemacht, zwangsweise, weil ich gerade nicht in die Wohnung reinkam, in der ich damals gewohnt habe. Und dann spielten sie morgens um 5 Uhr in so einer Fischmarkt-Kneipe "Klingelingeling, hier kommt der Eiermann". Was auch sonst, das waren die späten Achtziger. Am Ende des Tresens saß so ein alter Mann, vom Leben gezeichnet, mit seinem Bier. Total regungslos. Und nur wenn das Wort "Eiermann" kam, klappte kommentarlos sein Mund auf.

(Sven demonstriert das Ganze, zur Freude Richards und des Interviewers)

Richard: Gespenstisch!

Sven: Und das fand ich eigentlich total super. Das ist die Kraft der Kunst. Und das meine ich ganz ernst. Dieses Wort "Eiermann".

Richard: Das hat ihn berührt.

Sven: Ich fand das hatte auch total Würde. Überhaupt nicht lächerlich, das war irgendwie stark. Der war in seiner eigenen Welt und der Eiermann hatte darin Platz.

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