19. September 2014

"Ich will keine SMS von Neil Young bekommen"

Interview geführt von

Vier Jahre muss man meistens warten, dann haben Sven Regener und seine Jungs wieder ein neues Element Of Crime-Album ausgetüftelt. So auch jetzt: "Lieblingsfarben und Tiere", das am 26. September erscheinende Album ist der Nachfolger von "Immer Da Wo Du Bist Bin Ich Nie". Ein Gespräch mit Sven Regener und Richard Pappik in Berlin.

Ich dachte immer, Sven Regener und mit ihm Element of Crime müsste man niemandem mehr vorstellen. Da war der Herr Lehmann vor gefühlt 1000 Jahren, da war "Weißes Papier" und "Hai-Alarm am Müggelsee" und ausverkaufte Tourneen und Ramba Zamba und seine Wutrede vor zwei Jahren.

Und dann treffe ich den Herrn Regener und seinen Kumpanen Richard Pappik ganz gediegen im Berliner Kaffeehaus und bekomme zu hören, das sei doch alles ganz anders. Die Hater da draußen hätten keine Ahnung von Element of Crime, was natürlich eine sehr privilegierte Position sei und auch ziemlich cool. Ziemlich cool, das sind Element of Crime beim Interview auch. Irgendwie halt auf ihre eigene Art und Weise. Weil sie ziemlich darauf scheißen, was als cool angesehen wird und auch mal Dinge öffentlich doof finden.

Das Interview läuft prima, finde ich, und freue mich, wie ehrlich der Regener mit mir spricht und wie schön verschroben-herzlich die beiden drauf sind. Ein interessantes Gespräch über Lieblingsfarben und Tiere, über Mystik und Marketing, Angel-Metaphern und blöd galore. Und auch darüber, warum Neil Youngs SMS so unbeliebt sind.

Wahnsinn, ihr macht schon länger Musik als ich überhaupt auf der Welt bin.

Richard Pappik: Mit Musik zu leben und Musik machen zu dürfen und zwar so erfolgreich, dass man auch davon leben kann, ist ausgesprochen positiv und ein großes Glück. Das ist wie ein Sechser im Lotto. Das ist wunderschön und passiert nicht jedem einfach so. Ich bin sehr dankbar dafür.

Wird es vor allem für junge Musiker immer schwieriger, von ihrer Musik zu leben?

Sven Regener: Nein, das war immer schwierig. Wir haben es nicht leichter gehabt. Nur die Zeiten ändern sich, die Ansprüche werden anders. Ich glaube, man erwartet heute von Musikern Marketing- und Management-Leistungen, die sie eigentlich nicht erbringen können und meiner Ansicht nach auch nicht erbringen sollten. Ich finde, ein Musiker sollte nicht dafür zuständig sein, seinen Kram auch noch zu vermarkten.

Dieses ganze DIY-Marketing ist nicht gut, es hält die Bands vom Wesentlichen ab; nämlich Musik zu machen. Wir können über Plattenfirmen diskutieren, solange wir lustig sind, und darüber, wie doof oder gut die Leute dort sind. Das ist letztendlich auch nur müßig, weil es dort wie überall auf der Welt gute und doofe Leute gibt. Aber wir als Musiker brauchen ein Label. Grundsätzlich. Denn wenn wir uns selbst um diesen ganzen Kram kümmern müssen, gehen wir unter.

Aber eure Facebook-Seite liest sich so, als würdet ihr sie selbst führen.

Sven: Wir machen den Newsletter und die Homepage-Texte selbst, das stimmt. Was wir dort rausbringen, hauen wir auch bei Facebook rein. Das war's. Da kommen auch nur Infos drauf, wenn es wirklich Infos gibt. Bei uns gibt es keine Fanbespaßung, das schaffen wir nicht. Ich kann nicht mit 100.000 Plattenkäufern kommunizieren. Wie sie das fanden, was sie denken ... Wer behauptet, er könne das, der lügt. Wenn jemand von Element of Crime was anderes erwartet, als dass wir Songs schreiben, die aufnehmen und Konzerte spielen, dann tut es mir leid. Dann müssen wir ihn enttäuschen.

"Meerschweinchen sind kleine Punker, die scheißen alles voll"

Vielleicht liegt auch darin euer Vorteil, dass ihr seit Jahren eine starke Fanbase habt, die das gar nicht von euch erwartet.

Sven: Machen wir uns doch nichts vor: Die Leute erwarten das sowieso nicht, auch von den anderen nicht. Die glauben, sie würden sich einen Gefallen tun, wenn sie einmal die Woche eine Sau durchs Dorf jagen. Die Wahrheit ist: Das will kein Mensch. Wenn ich Neil Young-Fan wäre, würde ich mich garantiert nicht in seinen Twitter-Account einschreiben. Hat der überhaupt einen? Würde ich denn wissen wollen, was Neil Young heute wieder durch die Birne rauscht? Nein! Ich will, dass er in einem Lied darüber singt, was ihm durch die Birne rauscht. Twitter ist ja nichts anderes als SMS, ein Kurzformat. Und ich möchte keine SMS von Neil Young bekommen.

Würdet ihr jemandem raten, in der heutigen Zeit Musiker zu werden?

Sven: Nein. Ich rate sowieso niemandem was, ich rate nicht mal meinen eigenen Kindern was. Na ja, ab und zu mal, aber nicht sowas. Das muss jeder selbst wissen. Ich würde aber jemandem, der sagt, er möchte Rockmusiker werden, auch nicht davon abraten. Es gibt nichts Tolleres auf der Welt, als Rockmusiker zu sein. Aber ich weiß nicht, was die Zukunft bringt, und könnte letztendlich nur sagen: Viel Glück!

Nimmst du dir vor dem Schreibprozess ein Überthema?

Sven: Du musst dir das so vorstellen: Eine Masse von 100.000 Wörtern. Und dann kommen plötzlich drei oder vier nach vorne gedrängelt und rufen: "Ich, ich, ich, ich!" Du wirfst die Angel immer wieder ins Becken und irgendwann beißt was an. Ja, man muss auch mal eine schöne Metapher vom Angeln bringen. Es gibt Ideen, bei denen man merkt: Da ist eine Geschichte drin, man muss sie nur finden. Ist jetzt ein bisschen mystisch, was ich hier daher rede.

Richard: Das ist geil. Mystisch ist geil.

Sven: Du bist so ein Mystik-Freak, nicht wahr? Der Weise vom Berg.

Habt ihr beim Text ein Mitspracherecht oder ist das allein Svens Sache?

Richard: Sven ist ein toller Texter. Rein theoretisch, glaube ich, hätten wir ein Vetorecht.

Sven: Wenn einer den Text völlig doof findet und nicht mitspielen will, dann kommt er weg. Das gab's einmal, 1987. Weißt du, ich vergess' ja nix. "I love you, I love you, I love you, I love you, I love you so": Da meinte dann einer, das ginge gar nicht, hier fünf Mal "I love you" zu singen. Ich wollte das ganze Lied dann nicht mehr machen. Ist ja sein Recht zu sagen, dass er das nicht will, aber dann hab ich auch das Recht zu sagen, dass ich den Text nicht ändern will. So funktioniert Element Of Crime. Niemand wird gezwungen, etwas zu machen, dass er nicht will. Naja, "Nervous and Blue" haben wir dann doch gemacht.

Stellt ihr die Geschichten in den Vordergrund oder die Reime?

Sven: Das Wichtigste ist, dass es gut klingt. Ich will eigentlich nur Texte haben, die ich gut singen kann und die gut klingen und bei denen mich keiner auslacht.

Richard: "Yummi, yummi, yummi, I got love in my tummy." Haha.

Sven: Wie gerne würde ich den Mut haben, so was zu schreiben. Oder: "I'm a barbie girl, in a barbie world." Gibt es was Größeres? Herrlich. Ich habe auch schon ein paar idiotische Texte in meinem Leben geschrieben. So blöd galore, das macht Spaß.

Richard: "So wie du" oder "Vorschlaghammer". Vollkommener Dada, das ist toll.

Ich finde die Tatsache faszinierend, dass du wahrscheinlich schreiben könntest, was du willst. Irgendjemand würde sich immer damit identifizieren und einen Sinn darin finden.

Sven: Das ist ein bisschen wie der Rorschachtest, weißt du, mit den Tintenklecksen. Was sehen Sie da? Eine Frau, die die Beine spreizt. Eine Katze. Ein paar Spaghetti. Du hast natürlich recht, aber ganz so einfach ist es dann eben doch nicht. Die Wahrheit ist, dass mir die Leute eigentlich total egal sind. Mein Problem ist, dass ich den Text vielleicht 1.000 Mal singen muss. Es gibt ganz wenige Songs von Element of Crime, von denen ich sagen würde: Die haben echt 'nen schwachen Text. Die will ich dann auch nicht mehr singen.

Was die Leute aus meinen Texten herauslesen, kann ich nicht beeinflussen. Ich weiß noch, als wir mit der "Damals hinterm Mond"-Platte in Plauen gespielt haben. Das ist sächsisches Vogtland, die machen Spielzeug und so. Plauen halt, das kennst du nicht, da ist man sonst nie. Das ist ganz toll. Und dort hat mich eine Frau angesprochen, dass ich doch sicher aus dem Osten sei. Und ich so: "Nee, ich bin aus Bremen." Und sie: "Das kann nicht sein." Dieses Lied "Damals hinterm Mond" handele doch eindeutig davon, dass man im Osten aufgewachsen sei. Und ich so: "Also, nö. Ich hab's eigentlich, also ..." Sie hat dann noch mal auf die Ost-Sache gepocht. Da hab ich aufgehört, weil ich klug genug war und noch nicht zu betrunken. Es war falsch, ihr überhaupt zu widersprechen. Sie hat natürlich genauso recht wie ich, es ist genauso ihr Lied wie meines.

Euer Album heißt "Lieblingsfarben und Tiere".

Richard: Wir lieben Farben! Alle Farben.

Sven: Wir haben im Moment Zwergkaninchen, die sind schon ganz schön niedlich. Aber die sind auch ganz schön biestig und arrogant, das find' ich stark. Meerschweinchen sind kleine Punker, die scheißen alles voll und essen alles weg und haben dauernd Angst. Zwergkaninchen sind so ähnlich, aber dabei total edle Tiere. Die sind so: "Das ess ich nicht. Nee. Kannst du das bitte wieder wegnehmen!" Die kratzen auch, wenn man die raus nimmt. Das sind echt harte Typen.

Auf dem neuen Album findet man die Worte Handysprachbox, Dosenravioli, Skypekontakte und Schwachstromsignalübertragungsweg in einem Song. Großes Kino! Wie kam es dazu?

Sven: Wir machen ja immer zuerst die Musik, die Worte mussten also genau da drauf passen. Ich glaube, dieses "leger"-Ding, dieses Abhängen, dieses Lass-mich-in-Ruhe-ich-will-nix-mehr-hören-hier-Ding, das war meine erste Idee. Ein relaxter Song, in dem jemand sagt: "Pah, ich geh doch nicht ans Telefon. Wenn einer klingelt, mach ich auch nicht auf. Ich bin doch nicht bescheuert."

"Liebe ist kälter als der Tod" - toller Titel, aber ich fürchte, ich hab ihn nicht verstanden.

Sven: Ich auch nicht. Das sagt einer, der richtig desillusioniert und schlimm drauf ist. Das ist ein ganz schön hartes Lied, aber es ist toll, weil es so rätselhaft ist. Der Titel stammt eigentlich von Rainer Werner Fassbinder. Als wir das aufgenommen haben, hat mich das sehr an die 80er erinnert, an "Try to be Mensch" und so. Zum ersten Mal habe ich bei einer Plattenaufnahme wieder an diese Zeit gedacht.

Richard: In diesem Text liebt offensichtlich nur einer. Und wenn nur einer liebt, stimmt irgendwas nicht mit der Liebe. Ich hatte bei dem Text und den Aufnahmen dazu plötzlich eine unglaubliche Wut in mir. Das hatte ich schon lange nicht mehr und ich fragte mich, ob mein Ansatz der richtige ist.

Wart ihr früher wütender als heute?

Richard: Ich kann nur von mir sprechen. Ich war früher sehr viel wütender und bin froh, dass ich es nicht mehr bin. Dadurch hab ich Zeit für andere Sachen.

Sven: Ich glaube, es ist unglaublich charmant, wenn man die alten Platten hört. Zu hören, wie die ganze Band an einem stahlharten Pullover aus Stacheldraht strickt und dann glauben die tatsächlich auch noch, der würde sie warm halten. Auch dieses Manierierte in meinem Gesang damals, das ist ganz schön krank und kaputt. Toll kaputt. Bei diesem Lied waren die Gedanken daran sofort wieder da. Was Jakob da an der Gitarre zusammenspielt, ist dermaßen böse und kalt.

Ihr habt eine treue Hörerschaft und ich habe das Gefühl, es werden immer mehr. Was wollt ihr noch erreichen?

Sven: Eigentlich gar nichts.

Richard: Es verwundert mich, dass über die letzten Jahre hinweg das junge Publikum in den ersten Reihen wieder zugenommen hat. Ich kann mir das gar nicht erklären, aber es ist super. Mein Ziel ist, dass es so weiter geht.

Sven: Ob jung oder alt, ist doch völlig egal. Das ist die normative Kraft des Faktischen. Du kannst dieses Level überhaupt nicht halten, wenn nicht mit jeder Platte zwanzig- bis dreißigtausend Leute die Band neu für sich entdecken. Wir verkaufen 100.000 Platten und 20-30% springen dir immer ab, die haben schließlich schon zehn Platten. Das ist ganz normal, geht mir auch so. Früher waren wir die Jüngsten im Saal, heute die Ältesten. Also muss da irgendwas passiert sein. Ich sag das jetzt zum ersten Mal heute – ich gestehe das jetzt sowieso überhaupt zum ersten Mal: Wir haben uns entschieden, in Berlin nicht in der Arena zu spielen wie beim letzten Mal. 9.000 Leute.

Eigentlich wäre der nächste logische Schritt die O2-World gewesen. 15.000 Leute, das würden wir schon hinkriegen, denke ich. Aber das wäre nicht gut. Die O2-World ist für uns nicht gut. Ab der Größe findest du nur noch auf der Leinwand statt, der Sound ist grässlich und die Halle ist so teuer, dass du 60, 70 Euro pro Ticket verlangen musst. Das kommt für uns nicht in Frage. Jetzt spielen wir mehrmals im Tempodrom. Für mich als ehrgeizigen Menschen ist das fast eine narzisstische Kränkung, weil ich wollte, das Element of Crime immer weiter wächst. Wir hätten auch in die Max-Schmeling-Halle gehen können. Wir haben die uns sogar angeschaut und dann gesagt: Nein, wir wollen hier nicht hin. Das ist 'ne Halle für Handball-Freaks und solche Sachen, sicher auch schön, aber nicht unser Ding.

Richard: Ist voll okay, wenn The Boss Hoss oder so da auftreten, aber wenn wir dann unsere Lieder spielen, kann man in der Bulettenbraterei dort nicht sagen: Psst, könnt ihr mal kurz ...

Sven: Die sieht auch einfach nicht gut aus. Fucking Mehrzweckhalle. Wir kriegen jetzt goldene Schallplatten und so 'nen Kram, wir können in Berlin vielleicht vor 12.000 Leuten spielen, wenn wir wollen oder die Wuhlheide allein beschallen. Aber das finden wir Quatsch und diese Einstellung finde ich irgendwie cool. Wir haben letztes Jahr gelernt, dass diese Option besteht. Kleinere Hallen sind keine Niederlage, sondern schön. Nicht, dass die anderen, die in große Hallen gehen, doof sind!

Wir haben nichts gegen die, aber zu uns passt das einfach nicht. Das zu wissen und begriffen zu haben, ist für mich eine große Befreiung. Ich bin von diesem Trip runter, zu denken, Element of Crime müsse immer weiter wachsen. Ich muss nicht drei Mal Platin haben wie Helene Fischer. Die Toten Hosen, die kennt jeder. Uns kennt nicht jeder und das ist in Ordnung. Uns kennt man nur, wenn man unsere Musik mag. Wir haben somit eine privilegierte Position. Denn wenn dich jeder kennt, dann kennen dich auch alle, die dich doof finden. Und die sind dann immer in der Mehrheit.

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