26. Februar 2018
"Wir alle lieben Anti-Helden"
Interview geführt von Deborah KatonaElise LeGrow ist eine junge Kanadierin, die sich dem R'n'B verschrieben hat. Die Sängerin ist hierzulande noch ein sehr unbeschriebenes Blatt - das soll sich aber spätestens Anfang 2018 ändern.
Dann kommt ihr Album "Playing Chess" auf den deutschen Markt. Darauf Versionen bekannter Klassiker und weniger bekannter Raritäten, neu arrangiert und interpretiert von Elise LeGrow und einem Erfolgsteam rund um Steve Greenberg. Der Produzent, der unter anderem die Jonas Brothers, Boyzone und Baha Men entdeckte, brachte auch Joss Stone mit einem Coveralbum an die Spitze der Charts. Jetzt sein neuester Coup mit Elise LeGrow - nach dem gleichen Rezept, das hoffentlich noch einmal funktioniert.
Wieso Elise ihre eigene Musik für das Album hintenan stellte, über ihre Zeit als Kindermädchen und Gerichtsschreiberin, und was sie mit Drake, The Weekend und Justin Bieber verbindet erzählt sie im Interview mit laut.de.
Dein Album soll Anfang 2018 rauskommen. Du hast mit ein paar ziemlich bekannten Leuten daran gearbeitet. Wie kam es dazu?
Alles begann bei S-Curve Records in New York, einem BMG Label. Der Chef des Labels ist Steve Greenberg (auch: Jonas Brothers, Boyzone, Baha Men, Anm.d.Red.). Das letzte Mal, dass mein Produktionsteam zusammenarbeitete, war bei Joss Stone. Steve Greenberg, Michael Mangini und Soul-Legende Betty Wright - zum ersten Mal kamen sie wieder für ein Projekt zusammen. Da sagte ich natürlich nicht Nein! Die haben Millionen Platten verkauft und Grammys gewonnen - das Team ist also ein ziemlicher Glücksgriff.
Steve Greenberg hat schon viele Musiker entdeckt.
Es ist eine Ehre, wenn jemand so bekanntes Interesse an dir zeigt. Er war die treibende Kraft hinter dem ganzen Projekt. Steve ist bekannt für seinen guten Geschmack und dass er ein Gespür hat, was beim Publikum funktionieren könnte. Wenn er zum Telefonhörer greift, heben die Leute ab. Das ist die halbe Miete in diesem Business.
Wie ging die Songfindung vonstatten?
Wir einigten uns auf Chess Records als Songquelle. Danach war die größte Herausforderung, eine Auswahl zu treffen. Es gibt Tausende Songs, so viele sind großartig. Wie wählt man da aus? Erstmal recherchierte jeder für sich. Google, Wikipedia, Spotify und all das. Dann schlossen wir uns für sieben oder acht Stunden in einem New Yorker Büro ein.
Und dann im Studio?
Es gab nur einen groben Plan: Liveband, direkte Aufnahme, aber keine Details. Vieles auf dem Album arbeiteten die Musiker und ich im Studio aus. Es funktionierte, also kam es auf die Platte.
Auf dem Album gibt es viel Soul und Blues. Wie kamst du zu diesen Genres?
In meinem Elternhaus lief immer Musik. Meine Mama hörte The Beatles, Rolling Stones, Talking Heads, Neil Young, Bob Dylan. Aber schon als Kind trieb es mich zu R’n’B und „soulful“ Pop. Es begann in meinem Kinderzimmer: Ich sang mit meiner Haarbürste vor dem Spiegel. Damals hörte ich Radiomusik, 90er Jahre R'n'B und Popmusik. Als ich älter wurde, begann ich mit der Jazzmusik. Ella Fitzgerald, Dinah Washington, Nina Simone. Der Rest war eine ganz natürliche Entwicklung. Viele der Künstler von Motown hörten genau die gleiche Musik und so kam ich bei denen an. Dort fühlte ich mich am wohlsten, als ich selbst. Ich bin ein Mix aus Jazz und Blues und Rock'n'Roll - das ist für mich die Heimat von R'n'B.
"Ich war nicht im Gefängnis und hab niemanden umgebracht"
Wie bringst du frischen Wind in alte Songs?
Man sollte gar nicht erst versuchen, so ikonische Aufnahmen zu kopieren. Das macht keinen Sinn, es gibt sie ja schon und jeder liebt sie. Wir benutzten keine Tapes, die digitale Aufnahme gibt der Aufnahme einen gewissen Glanz - das verändert schon den ganzen Sound. Wir wollten mit den Arrangements außerdem etwas wirklich Neues machen. Mir war es wichtig, so bekannte Songs wie "Rescue Me" oder "Who Do You Love" in eine ganz neue Richtung zu treiben.
"Who Do You Love" wurde schon so oft neu interpretiert. Was macht den Song für Musiker so spannend?
Er hat einfach eine coole Story. Der Erzähler im Song hat eine ziemlich turbulente Vergangenheit, er ist ein Badboy - oder in meinem Fall ein Badgirl. Definitiv kein Heiliger! Der Erzähler ist gleichzeitig furchtlos und verletzlich. Kulturell lieben wir doch solche Anti-Helden, damit kann man sich identifizieren.
Ich habe gelesen, dass du Songs auf dem Album wolltest, die etwas mit deinem Leben zu tun haben.
Entweder sollte es was mit meinem Leben zu tun haben oder eine interessante Geschichte erzählen. "Who Do You Love" fällt definitiv in die zweite Kategorie. Ich persönlich war nicht im Gefängnis und hab auch niemanden umgebracht, haha. Meistens wird der Song vom Männern gesungen. Ich fand es eine coole Idee, das mal umzudrehen und als junge Frau diesen etwas Macho-mäßigen Song zu singen. Ein lustiges Experiment.
Hast du weitere Songs im Kopf, die du aufnehmen willst?
Jaaa, es gibt ein paar weitere Chess-Songs, ich darf leider grade nicht mehr dazu sagen. Und dann gibt es natürlich noch meine eigene Sachen, an denen ich seit ein paar Jahren arbeite. Mit denen bin ich gerade schon im Studio, sie kommen auf das nächste Album.
Wie klingen deine eigenen Songs?
Ähnlich dem jetzigen Album. Sie spielen in der gleichen Welt: Ein Mix aus Soul, R'n'B, Rock'n'Roll, Jazz.
Warum die Entscheidung, erst ein Cover-Album rauszubringen?
Die Idee kam vom Produzenten Steve Greenberg. Er hatte solchen Erfolg mit Joss Stone, indem sie ein Album voller Cover rausbrachte. Es war eine Art Vorstellung von ihr als Sängerin und es klappte sehr gut. Wir sahen das also als eine Art Erfolgsformel. Steve Greenberg fand es sinnvoll, mich so Märkten außerhalb Kanadas vorzustellen. Wenn die Leute dann mal von mir und meinen Interpretationen gehört haben, sind sie vielleicht offener meiner eigenen Musik gegenüber. Ich meine: Steve Greenberg weiß, was er tut. Wenn jemand wie er zu dir sagt: "Hey, ich habe eine Idee", dann hörst du zu. Ich bin schließlich nicht diejenige, die bereits Grammys gewonnen und Millionen Platten verkauft hat, haha.
"Musik ist meine einzige Leidenschaft"
Ich muss zugeben, dass ich nicht viel über die kanadische Musikszene weiß. Wie ist die so?
Da hat sich einiges getan! Letztes Jahr kamen drei der US-Topacts aus Kanada: Drake, The Weeknd und Justin Bieber. Sie haben definitiv dazu beigetragen, Kanada in puncto Musik zurück ins internationale Gedächtnis zu bringen. Abgesehen davon gibt es in Toronto eine sehr robuste Jazz-Szene. Unter den Musikern unterstützt man sich gegenseitig schon. Aber es ist ziemlich schwer, sich eine Fanbase in Kanada zu erarbeiten. Erst wenn man Erfolg außerhalb des Landes hat, schenken dir die Kanadier auch Aufmerksamkeit.
Wann hast du entschieden, Musikerin zu werden?
Meine Mama hat mir erzählt, dass ich mit fünf sehr deutlich klar gemacht habe, dass ich Sängerin werde. Meine Eltern sind beide keine Musiker, aber Musikliebhaber. Sie haben mich immer ermutigt zu singen. Ich würde nicht behaupten, dass sie mich ermutigt haben, Singen als Karriere einzuschlagen. Als Eltern hatten sie sicher im Hinterkopf, wie hart das Musikbusiness ist. Aber seitdem ich ihnen - als Erwachsene - klar gemacht hab, dass ich genau das tue, unterstützen sie mich sehr.
Hattest du einen Plan B?
Nee, man kann nicht wirklich einen Plan B haben. Ich meine, ich hatte viele andere Jobs, aber diese anderen Jobs laufen ja nicht weg.
Als was hast du denn gearbeitet?
Mein erster Job war Verkäuferin. Ich hab in einem Videoladen gearbeitet, als Kindermädchen, als Gerichtsschreiberin in einer Anwaltskanzlei. Das war mein erwachsenster Job. Aber Musik ist meine einzige Leidenschaft.
Naja, jetzt sitzen wir hier bei der BMG zusammen. Läuft doch.
Ja, absolut, hahaha.
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