laut.de-Kritik
Metallicas kleine Brüder.
Review von Yan Temminghoff"Evil Has No Boundaries", screamten Slayer in ihrer juvenilen Thrash-Phase zwischen "Show No Mercy" und "Reign In Blood'. Evile bewegen sich hingegen in engen Grenzen. Das Genre ist eindeutig Thrash, mit Blick auf die Spielart geografisch in der Bay Area verortet.
Evile greifen auf ihrem sechsten Album auf einen gewachsenen Erfahrungsschatz zurück. Die kleinen Brüder von Metallica - die Ursprünge der Krach-Kollabo liegen in einer Cover-Combo namens Metal Militia - folgen der Entwicklung ihrer Vorbilder. "The Unknown" fußt nicht auf ungezügelten Geschwindigkeitsexzessen der Marke "Kill 'Em All", sondern beruft sich auf das kommerzielle Schwergewicht "Black Album".
Aber auch Pantera zu Zeiten von "Cowboys From Hell" und "Vulgar Display Of Power" oder Slayers Blick in die menschlichen Abgründe mit "Seasons In The Abyss" und "South Of Heaven" haben ihre Boots-Spuren im Sound von Evile hinterlassen.
Die Texte beziehen sich deutlich auf die aktuelle menschliche Realität. Fronter Ol Drake beleuchtet Depressionen, die Überwindung von Verlust und wiederkehrenden Albträumen, den Kampf in der Musikindustrie bis hin zu den Sorgen, in Zeiten multipler Krisenerfahrungen Eltern zu werden.
Die Briten braten sich mit einem hohen Groove-Anteil durch "The Unknown". Gerade einmal drei der zehn Songs folgen der Diktion kurz, knackig, Kopf spaltend. "Sleepless Eyes", "Out Of Sight" und "Balance Of Time" sind schnelle Axt-Attacken mit hoher Silbenzahl und Rammler-Rabbit-Drums. Den Rest bestimmen sorgsam austarierte Midtempo-Hämmer, mal eher balladesk, mal mehr der Grabkammer entstiegen.
In "When Mortal Coils Shed" und "Beginning Of The End" dominieren die Melodien. "Monolith" oder "Reap What You Sow" gehen als bleischwere Nackenbrecher ins Ziel. Bei "The Mask We Wear" übertreibt es die Band mit der Referenz an Hetfield und Co. ein wenig, segelt man hier äußerst nah an ihrem Everblack "Sad But True".
Alle, denen deren letzte Platte "72 Seasons" zu langatmig vorkam, erleben mit Eviles "The Unknown" die größtmögliche Annäherung an den Sound, den Hetfield, Ullrich und Kollegen geprägt haben. Ob das nun sonderlich originell ist, steht auf einem anderen Blatt. Eine respektvolle Ehrerbietung tönt allemal aus den Boxen.
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