laut.de-Kritik
Hits und Schamhaar-Action einer Electro-Legende.
Review von Michael SchuhEines vorweg: Natürlich wendet sich die "Fad Gadget By Frank Tovey"-Liebesbox in erster Linie an jene, die ein komplettes '84er-Konzert aus der Hacienda in Manchester im DVD-Format noch zu schätzen wissen. Doch eigentlich genügt es, ein einziges Mal Zeuge des legendären Fad Gadget-Auftritts in der 80er TV-Musikinstitution "Formel Eins" zu werden, wo der Mann geteert und gefedert im Slip aus einer Kiste steigt, um eine Ahnung vom skurrilen Stage-Gebahren des Pantomime-Fans Frank Tovey zu erhalten (Peter Illmanns verdutztes Gesicht bleibt uns übrigens leider erspart).
Fad Gadget trug mehr Masken als David Bowie und benahm sich auf der Bühne streckenweise verrückter als Iggy Pop. Doch wie es oft so ist mit Künstlern, die rückblickend das Etikett "Kultfigur" angeheftet bekommen, spielte sich auch Fad Gadget zu Lebzeiten nur in die Herzen einer sehr überschaubaren Fangemeinde. Ganz im Gegensatz zu seinem Einfluss: Von Trent Reznor über Daft Punk bis hin zu Marilyn Manson - der minimalistische Soundansatz des exaltierten Bühnentiers fand viele Bewunderer.
Folgerichtig gebührt dem Mann, der im bürgerlichen Leben Frank Tovey hieß, das nicht unerhebliche Verdienst, mit seinen billigen DIY-Demos das Herz Daniel Millers weich gekocht zu haben, so dass dieser überhaupt erst auf die Idee kam, a) für jene experimentelle Synthie-Kunst ein Label zu gründen, auf dem b) nachfolgend Weltstars wie Depeche Mode und Nick Cave reüssieren sollten.
Unfasslicherweise sind diese 1978er Demos des Leedser Kunststudenten tatsächlich erhalten geblieben, als sei es des Schicksals Wille gewesen, jene knapp 30 Jahre nach ihrer Entstehung und vier Jahre nach Toveys tragischem Tod erstmals ans Tageslicht zu bringen. Mit fünf Songs bewarb sich Fad Gadget seinerzeit bei Miller, der ihm von seinem WG-Kollegen vorgestellt wurde.
Bislang ging man ja davon aus, dass vor allem Fads bis heute unkaputtbarer Szene-Hit "Back To Nature" (Single-Katalognummer Mute002 - nach Millers Alleingang "Warm Leatherette" als The Normal) den damaligen Rough Trade Shop-Verkäufer und Mute-Chef in spe zum Kreuzschritt-Tanz animierte.
Dem ist der Legende nach zwar auch so; das hier erstmals veröffentlichte "Back To Nature" Original-Demo (sechseinhalb Minuten Länge, davon sieben Sekunden Rauschen und ca. eine Minute schiefes Analogzwitschern), das noch lange nicht den Druck der Single aufweist, gewährt aber auch einen interessanten Einblick in Millers studiotechnische Fachkenntnisse bzw. auf sein hitorientiertes Feingefühl.
Das auf Gadgeds Debütalbum von 1980 ungemein schleppende Analogmonster "State Of The Nation" bollert als Demo auch noch etwas ungelenk daher, während "The Box" und "Coitus Interruptus" gar nicht so weit von der finalen Version entfernt sind.
Der unvoreingenommene Leser mag mir verzeihen, dass ich die Wichtigkeit dieses Künstlers für die elektronische Musik etwas aus der kajalumrankten Fan-Perspektive zu erläutern versuche. Doch besitzen die verschollen geglaubten Original-Demos Fad Gadgets eben ungefähr jenen Stellenwert, den das Bootleg eines Bridgehouse-Auftritts des Jahres 1980 für Depeche Mode-Fans inne hat. Nebenbei: Das Bridgehouse steht längst nicht mehr, wie die großartige DVD-Dokumentation belegt.
In dieser einmaligen History kommt auch Dave Gahan zu Wort, der 1980 bei Depeche Mode als Sänger einstieg. Gary Numan und Fad Gadget hießen damals seine erklärten Bühnenhelden. Am Abend des erwähnten Bridgehouse-Auftritts lässt Miller die Pop-Jungspunde bei Gadget das Vorprogramm bestreiten, womit "ein Traum für uns in Erfüllung" ging (Gahan).
Wie wild es Gadget damals so auf der Bühne trieb, belegen die DVD-Sequenzen eines New York-Auftritts des Jahres 1981 (Stichwort Deckentraverse) und der '83er Gig der "Under The Flag"-Tour, wo Fad dem verdutzten Auditorium einer Schulaula seine legendäre Achsel- und Schamhaar-Show zu "Ladyshave" serviert.
Besagter Song "Ladyshave" (1981) entstand übrigens auf demselben Analogsynthie wie das komplette Depeche Mode-Debütalbum "Speak & Spell", was der geneigte Hörer auf CD2 nachprüfen kann, wo u.a. fünf Fan-Highlights der Gadget-Historie gelistet sind.
Was dieses CD/DVD-Vermächtnis so einzigartig macht, ist denn auch seine Anwendbarkeit für jung, alt, Insider und Frischling. Die Doku öffnet nicht zuletzt dank ausgewählter Interview-Gäste (Daniel Miller, Martin Gore, Familienangehörige) jedem Musikfan das Herz, und das lange vor der wahrhaft tragischen Schlusssequenz, in der Gadgets aktuellste Mitmusiker über ihren Umgang mit der Schock-Nachricht seines Todes berichten.
Selbst für Elektro-Puristen wird plötzlich nachvollziehbar, warum Fad Gadget 1986 einen Schlussstrich zog und - genau umgekehrt wie lange vor ihm Bob Dylan - von der elektronischen hinüber zur akustischen Seite wechselte.
Sein lange verstecktes und plötzlich zum Leben erwachtes Interesse für sozial engagierte Songwriter der Sorte Woody Guthrie, Lou Reed oder eben Dylan verstörte Mitte der 80er naturgemäß so gut wie all seine Fans, weswegen die folgenden, unter dem Namen Frank Tovey veröffentlichten Alben einem eher überschaubaren Kreis bekannt sind.
Der Übergang geriet damals recht fließend, die '86er Platte "Snakes And Ladders" beinhaltete noch reichlich Industrial-Popsongs wie "Luddite Joe" oder "Luxury", bevor "Tyranny And The Hired Hand" 1989 kräftig die Folk-Keule auspackt. Dort findet sich auch das herrliche Traditional "Sam Hall", das schon Johnny Cash interpretierte. Das gemeinsam mit seiner Begleitband The Pyros entstandene Irish Folk- und Blues-Album "Worried Men In Second Hand Suits" (1992) spielte man beinahe komplett live ein. Anschließend zog sich Tovey aus dem Musikleben für mehrere Jahre zurück.
Mit "Sleeper" findet sich noch ein unveröffentlichtes, sehr atmosphärisches Stück ein, das ein wenig Trip Hop-Anleihen bietet. Auch die mir bislang unbekannte Kooperation mit Krawallmacher Boyd Rice von 1985 klingt gar nicht so unhörbar wie erwartet.
Fad Gadgets erklärtes Ziel, nach der erfolgreichen Tournee als Support von Depeche Mode 2001 ein neues Studioalbum zu veröffentlichen, konnte er nicht mehr realisieren. Auch eine USA- und Japan-Tournee blieben Wunschträume. Was bleibt, ist ein von Kreativität geprägtes Vermächtnis eines Mannes, der sich einen Scheiß um Stilvorgaben kümmerte und für diesen Mut kurz vor Ende seines Lebens wenigstens mit Konzerten vor mehreren Tausenden Fans belohnt wurde.
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